Gentrification: Die Debatte in der Schweiz 2010 - eine Bestandsaufnahme

Daniel Mullis - In der Schweiz ist Gentrification und ihre spezifisch lokale Ausprägung noch wenig erforscht und daher liegt auch nur eine kleine Zahl an Arbeiten vor. Das Gros dieser Arbeiten wurde von öffentlichen Behörden selbst in Auftrag gegeben, an unabhängigen Untersuchungen mangelt es bis anhin deutlich. Dennoch, in den Untersuchungen der öffentlichen Hand wurde festgehalten, dass für die Schweiz ein wachsender Trend zur räumlichen Segregation, ausgelöst von einer verstärkten Rückwanderung in die Stadt, auszumachen sei. Daher hat sich der Nationalfonds mit dem Forschungsprogramm (NFP) 54 "Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung" auch der Frage der Gentrification gewidmet, die Ergebnisse der Forschungsgruppe um Prof. Dr. Etienne Piguet an der Universität Neuenburg werden zur Zeit publiziert.

Im Folgenden soll ein Überblick über das Vorhandene geboten werden – ohne aber den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben (Ergänzungen und Hinweise sind erwünscht). Bevor aber auf diese Studien detailliert eingegangen wird, sollen zuerst einige Begrifflichkeiten geklärt werden.

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Titel

Die folgenden Ausführungen stammen aus Mullis 2009: 22ff.



Gentrification in Kürze

Klassische Gentrification
Damit wird ein Prozess benannt, in dessen Verlauf eine tiefgreifende soziale und ökonomische Aufwertung kombiniert mit Verdrängung von statustieferen Schichten und Segregation vollzogen wird. Ärmere Schichten werden dabei aus älteren, zentral gelegenen Stadtbezirken durch den Zuzug von wohlhabenderen Schichten, welche den Charakter, sowie die Annehmlichkeiten der zentrumsnahen Lage und den (zunächst) günstigen Wohnraum schätzen, verdrängt.(Knox/Marston 2001: 536). Im Stadtteil setzt so Haus um Haus eine umfassende soziale und materielle Aufwertung ein (Lees et al. 2008: 4). Die ZuzügerInnen investieren in den Stadtteil und begründen so auch eine symbolische Aufwertung des Ortes, was den Zuzug weiterer wohlhabenderer Personen fördert und den Ort für kapitalorientierte InvestorInnen interessant macht. Diese Form der Gentrification wurde als erstes von Ruth Glass (1964) am Beispiel der Londoner Innenstadt beschrieben.

New-Build Gentrification
Lees und Davidson (2005: 1169f.) benennen damit eine Gentrification, die massgeblich durch Neubautätigkeit - entweder auf Brachflächen oder auf bereits bebauten Gebieten, die für den Neubau abgerissen werden - vorangetrieben wird. Sie betonen, dass im Gegensatz zur klassischen Gentrification andere AkteurInnen involviert sind, andere Landschaften produziert werden, andere sozialräumliche Dynamiken greifen und der Prozess oft nicht direkt verdrängend wirkt. Dennoch sei es aber gerechtfertigt, den Prozess als Gentrification zu verstehen. Dafür spreche im Wesentlichen, dass in vielen Fällen statushebende Neubauten sekundär durchaus verdrängend wirken und in manchen Fällen auch ganze Siedlungen niedergerissen werden, um darauf in einem gehobeneren Status neu zu bauen, wodurch auch direkt verdrängt wird.

Super Gentrification
Das Prefix Super soll aufzeigen, dass der Prozess nicht nur eine höhere Ebene von Gentrification darstellt, sondern dass er eine schon vorher stattgefundene Gentrification überlagert, wodurch eine weitere Steigerung der ökonomischen Wertschöpfung aus dem betroffenen Gebiet erreicht wird (Butler/Lees 2006: 469). Auch wenn diese Ausprägung bis anhin nur in Global Cities anzutreffen ist, zeigt die Supergentrification deutlich auf, dass Gentrification kein stabiles Klimaxstadium erreicht (Lees 2003: 2491), so wie dies Gentrification-Stufenmodelle teilweise postulieren (vgl. Kerstein 1990).

Ein Versuch einer aktuellen Gentrificationdefintion
Davidson und Lees (2005: 1170) plädieren aus der Erkenntnis, dass sich Gentrification erheblich gewandelt, globalisiert und ausdifferenziert hat, dass eine aktuelle Definition im weitesten Sinne vier Punkte enthalten sollte:
  • Reinvestition von Kapital,
  • soziales Aufwerten durch Eindringen von besserverdienenden Schichten,
  • Umwandlung der Landschaft,
  • und direkte oder indirekte Verdrängung von schlechterverdienenden Schichten.
Ursache für Gentrification
In der Literatur werden zwei gegenüberstehende Positionen definiert. Zum einen ist dies eine kulturelle Position, welche die Ursache des Prozesses in der Verschiebung hin zur post-industriellen Gesellschaft erkennt. Dies weil im Zuges dieses Wandels gerade wohlhabende junge und gut ausgebildeten Personen die Stadt als positive Antithese zum vorstädtischen Leben formulieren hätten. Die kulturelle Position ist gesamthaft eine sehr heterogene. Allen Ansätzen gemeinsam ist aber, dass sie Gentrification von einer individuellen, nachfrageorientierten Position herleiten (Craviolini et al. 2008: 10). Zum anderen steht dieser Position eine ökonomische Position gegenüber. Im Zentrum derer stehen die theoretischen Konzepte Value Gap (Lees et al. 2008: 69) und Rent Gap (vgl. Smith 1996: 51-74). So betont etwa Neil Smith, dass das massive Einfliessen von Investitionskapital in die Stadt kombiniert mit der teilweise schlechten Inwertsetzung von Bodenrente, für die zunehmende Verdrängung verantwortlich zeichne.

rentgap
Rent Gap, nach Smith, Abb. angepasst, Quelle: Smith 1996: 65

Lees et al. (2008: 75) betonen, auf den Streit innerhalb der Debatte um die Ursache der Gentrification reagierend, dass beide Positionen ihre Berechtigung hätten und ökonomische Verhältnisse im Kleinen und Individuellen wie im Grossen eine Rolle spielen würden. Dies vor allem auch deshalb, weil Gentrification ein zyklischer Prozess sei, der weitgehend von Investmentflüssen gesteuert werde, aber eben nicht nur, so dass auch kulturelle Verschiebungen und individuelle Beweggründe berücksichtigt werden müssten (Lees 2000: 398). Gesamthaft bedeutet dies, dass eine doppelte Back to the City-Bewegung – die des Kapitals und die der Gentrifier – Ursache für die zunehmende Verdrängung ist.

Die vier Wellen der Gentrification
Gentrification wurde in der Wissenschaft von verschiedenen ForscherInnen als Prozess beschrieben, der sich über vier Wellen in Raum und Zeit ausgebreitet habe. Die vier Wellen sind aber nicht als abschliessend zu verstehen, und werden künftig auch ergänzt werden müssen. Zudem sind die vier Wellen, wie auch das Schweizer Beispiel zeigt, keineswegs auf alle Kontexte chronologisch oder prozesshaft anzuwenden und sind daher eher als Analysehilfe, die einer Einordnung des Prozesses helfen können, als als ein starres zeitliches Entwicklungsmuster von Gentrification zu verstehen.

Erste Welle, Vereinzelte und staatlich getragene Gentrification:
Schon vor der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre waren vereinzelt klassische Gentrificationsmuster auszumachen. Europäische, nordostamerikanische und australische Städte wurden das Ziel von staatlichen Reinvestitions- und Aufwertungsprogrammen. Die ökonomische Krise der 1970er führte schliesslich zum Ende der ersten Welle (Hackworth/Smith 2001: 466).

Zweite Welle, Expansion der Gentrification:
Als in den späten 1970ern die Konjunktur wieder anzog, stieg die Zahl der gentrifizierenden Stadtteile so stark an wie nie zuvor. Städte versuchten mittels investitionsorientierten Strategien privates Investment anzuziehen, um im Wettbewerb um die innenstädtische Aufwertung mithalten zu können. Für diese zweite Welle, welche bis zum Ende der 1980er anhielt, ist charakteristisch, dass Gentrification in einen grösseren Kontext aus kulturellen und ökomischen Prozessen auf nationaler wie globaler Ebene eingebunden wurde (ebd.: 466f.).

Dritte Welle, Rezessionsbedingte Pause und darauffolgende Expansion:
Die dritte Welle unterscheidet sich in mindestens vier Punkten von den vorhergehenden: Erstens, Gentrification weitet sich in den innenstadtnahen Quartieren weiter aus und expandiert deutlich. Zweitens, Restrukturierung und Globalisierung des Finanzsystems haben den Immobilenmarkt globalisiert und international tätige Investmentfirmen spielen nun von allem Anfang an eine wesentliche Rolle (vgl. Davidson/ Lees 2005), womit die Rolle der erstzuwandernden Pioniere – welche gerade für den Prozess der klassischen Gentrification wichtig sind – zunehmend marginalisiert wird. Drittens, der Widerstand hat im Vergleich zu früher drastisch abgenommen. Und viertens, der Staat selbst ist nach einer Zeit der Nichteinmischung als Akteur zurückgekehrt (Hackworth/Smith 2001:468).

Vierte Welle, massive Kapitalisierung des Immobilienmarktes und staatliche Förderung:
Die globalen Geldflüsse in den Immobilienmarkt nahmen nach 2001 ein weiteres Mal deutlich zu (Lees et al. 2008: 179ff.). Gesamthaft gesehen hat sich durch diese weitere Verschärfung auf dem Immobilienmarkt und dem Auftreten von Banken als ein weiterer proaktiver Akteur ein deutlich komplexeres und verfeinertes räumliches Segregationsmuster herausgebildet. Hauptmerkmal der vierten Welle ist aber eine staatliche Politik, die in erster Linie die Interessen der wohlhabendsten Schichten vertritt und gleichzeitig die ausgleichenden sozialstaatlichen Instrumente wegerodiert.


Hier noch ein Interview mit Andrej Holm
zum Thema: Was ist Gentrification? Was ist das Problem? Was können wir dagegen tun? Sind wir als Pioniere Schuld an der Aufwertung?

Andrej meint dazu (link_ikon gentrificationblog.wordpress.com):
Der inhaltliche Reduktion der Antworten korrespondiert mit einem filmische Minimalismus und wirkt wie eine Homage an die Kindertage des Video-Aktivismus. Nicht besonders schön das Ganze, aber als Einstieg in die Thematik vielleicht ganz informativ. Aber seht selbst…



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Gentrification in der Schweiz

Studien der öffentlichen Hand
Auf Bundesebene wurde Gentrification 2005 mit der Studie Soziokulturelle Unterschiede in der Schweiz: Vier Indizes zu räumlichen Disparitäten, 1990-2000 (Hermann et al. 2005a) mituntersucht und festgestellt, dass die grossen Schweizer Städte in der Untersuchungsperiode durch den Zuzug einer gut ausgebildeten und jungen Mittelschicht eine eigentliche Renaissance erlebt haben. Weiter konnten die AutorInnen aufzeigen, dass die Zahl der FürsorgeempfängerInnen und Arbeitslosen am Stadtrand und in den Vorstädten erheblich zugenommen hatte (Hermann et al. 2005b).

Auf der Gemeindeebenen haben einige Schweizer Städte Studien zur räumlichen Segregation veröffentlicht. So etwa die Stadt Zürich, die mit den beiden Studien Segregation und Umzüge in der Stadt und Agglomeration Zürich (Heye/Leuthold 2006) und Das Langstrassenquartier: Veränderungen, Einflüsse , Einschätzungen – 1990 bis 2007 (Craviolini et al. 2008) Forschung zur Gentrification betrieben hat. In Bern existieren zwei Studien in denen der Prozess der Gentrification angesprochen wird: Zum einen die Sozialraumanalysen 1990/2000 Stadt Bern nach Quartieren (Gächter 2006) und zum anderen, die auf ersterer basierende Analyse Sozialräumliche Stadtentwicklung in Bern, Eine Interpretation der Sozialraumanalysen am Beispiel ausgewählter Quartiere (Stienen 2007). Wohl dürften auch andere Schweizer Städte im Rahmen der lokalen Raumplanung Arbeiten zur räumlichen Segregation und Gentrification veröffentlicht haben, die mir aber aktuell nicht vorliegen.

Erste Ansätze zur theoretischen Erfassung
Mit "Une gentrification émergente et diversifiée: le cas des villes suisses" haben Rérat et al. 2008 einen ersten Beitrag zur theoretischen und prozesshaften Einordnung der Gentrification in der Schweiz geleistet. In der Studie werden vier zentrale Faktoren benannt, welche den Prozess in der Schweiz fördern (ebd.:49ff.):
  • Erstens die Bundespolitik, welche mit ihrer institutionellen Organisation in Bund, Kanton und Gemeinde den städtischen Wettbewerb fördert und aus Nachhaltigkeitsgründen sowie zur Verhinderung der Zersiedelung gezielt die Verdichtung nach innen voran treibt,
  • zweitens die Städte, die ihre Strategien angepasst haben und versuchen, ihre Attraktivität als Wohnstandort zu steigern, dies nicht zuletzt, um potente SteuerzahlerInnen anzuziehen,
  • drittens die in den Schweizer Zentren notorisch herrschende Wohnungsnot, die den privaten und renditeorientierten Wohnungsbaumarkt anheizt
  • und viertens das Wiedererstarken einer städtischen Kultur mit dazugehörendem Lifestyle.
Angela Stienen (2007: 9ff.) betont ihrerseits, in einer von der Stadt Bern veröffentlichten Studie, dass es zurzeit zwei wichtige Trends in der Schweiz gebe, welche auch statistisch zu belegen seien. Zum einen ist dies der soziale Aufstieg in den Städten und zum anderen die Vervielfältigung der Lebensstile. Folge davon sei eine einsetzende Gentrification mit der gleichzeitigen Marginalisierung der ArbeiterInnenviertel am Stadtrand, die für alle Schweizer Kernstädte zu beobachten sei. So streicht die Autorin für Bern hervor, dass die Bevölkerungsverschiebung direkt mit aufwertungsbedingter Verdrängung zusammenhängt, die im Zeitraum zwischen 1980 und 2000 vor allem "in den innenstadtnahen Gebieten“ zu beobachten war. Der Prozess habe sich aber zwischen 1990 und 2000 eher in die "Quartiere des mittleren und äusseren Rings um die Altstadt“ verschoben (ebd.: 21, vgl. Abbildungen), so Stienen weiter.

Bern2000
Quelle: Gächter 2006: Beilage 3, 37f., überarbeitet (Mullis 2009: 31)

Bern1990
Quelle: Gächter 2006: Beilage 4, 37f., überarbeitet (Mullis 2009: 31)

Forschung im Rahmen des NFP 54
Im Rahmen des NFP 54 hat die Neuenburger Forschungsgruppe um Prof. Dr. Etienne Piguet die Studie "From Urban Wastelands to New-Build Gentrification: The Case of Swiss Cities" (Rérat et al. 2009a) publiziert. Darin greifen sie zum einen noch einmal die quantitativen Ergebnisse ihrer Studie von (Rérat et al.) 2008 auf. Zum anderen aber befassen sie sich mit dem Prozess der New-Build Gentrification, welchen sie als zentral für die Schweiz erachten.

Im Ersten Teil der Publikation, welche teilweise identisch mit jener von 2008 ist, wird versucht sie Gentrification im Schweizer Umfeld fassbar zu machen. Sie tun dies, indem sie über zwei empirische Indikatoren das Migrationsverhalten einer als gentrifier definierten Kategorie (higher socio-professional categories, SPC+) untersuchen. Sie messen demnach die Migrationsbewegungen der als gentrifizierend definierten Gruppe aus der Stadt hinaus und in die Stadt hinein. Gentrification findet demnach nach dann statt, wenn "in-migration to SPC+ are more numerous than out-migration". Sie kommen dabei zum Schluss, dass Gentrification ein genereller Prozess in Schweizer Städten sei. Dies obwohl der Trend der Abwanderung der SPC+ Gruppe aus den Städten weiter anhalte. Die Abwanderung habe sich aber deutlich verlangsamt, was eine Trendwende in der Entwicklung bedeute und somit legitimiere von einer zunehmenden Gentrification zu sprechen. Gerade Städte wie Zug, Zürich, Chur und weniger ausgeprägt Winterthur und Thun werden als attraktiv und gentrifizierend bezeichnet.

Problematisch an der Studie ist aber, dass lediglich Wanderungszahlen berücksichtigt werden, bei welchen ein Grenzübertritt vollzogen wird. Empirische Untersuchungen zum Wanderungsverhalten aus dem nordamerikanischen Raum belegen nämlich, dass innenstädtische Wanderungen (also nicht grenzüberschreitende Wanderungen) einen wichtigen Faktor darstellen (Smith 1996: 53ff.). Die Kleinräumigkeit der Schweizer Gemeinden dürfte diesem Effekt entgegenwirken. Dennoch, eine Studie der Stadt Bern, welche die ZuzügerInnen von Neubauten zwischen 2001 und 2007 untersuchte, belegt, dass 56.7% innerhalb der Stadtgrenzen umgezogen waren (Stadt Bern 2008: 8), was zumindest als Indiz zu bewerten ist, dass innerstädtische Wanderungen auch in der Schweiz von Relevanz sind.

Ein weiterer problematischer Aspekt der Studie liegt darin, dass sie sich für die quantitative Bewertung der Gentrification auf Wanderungszahlen einer bestimmten Personengruppe (SPC+) abstützt. Dadurch vernachlässigt, sie dass Gentrification von einer relativ zahlungskräftigeren und nicht zwingend absolut zahlungskräftigen Schicht vollzogen wird. Die gentrifizierende Gruppe, muss daher nicht unbedingt absolut in der gesellschaftlichen Oberschicht einzuordnen sein – obwohl dies oftmals der Fall ist. Insofern kann die Anwesenheit von "higher socio-professional categories" zwar als Indikator für den Prozess einer Gentrification verwendet werden, sollte aber nicht als alleiniger Massstab für eine quantitative Abschätzung eingesetzt werden.

Gesamthaft gesehen gibt der erste Teil der Studie – vor allem auch jene von 2008 – einen guten Überblick über die Situation in der Schweiz und den aktuellen Trend. Es muss aber, wegen den oben genannten Punkten, davon ausgegangen werden, dass die aktuelle Gentrification im Schweizer Kontext in der Studie etwas unterschätzt wird.

Der zweite Teil der Studie widmet sich der New-Build Gentrification. Der Prozess sei, so die AutorInnen, zentral weil sich gerade in Neubauten, wie ihre Untersuchung für Zürich West (Ein Teil Zürichs) und Neuenburg aufzeigt, Angehörige einer gut verdienenden und wohlhabenden Schicht niederlassen. Die Neubautätigkeit die im Wesentlichen von kapitalorientierten InvestorInnen getragen worden sei, habe sich somit zu einem grossen Teil auf die Bedürfnisse der Oberschicht ausgerichtet. Die New-Build Gentrification, ist aber gemäss Studie, nicht im grossen Massstab an der Verdrängung ärmerer Schichten aus der Stadt beteiligt. Vielmehr müsse der Prozess als Teil der "normalen" Entwicklung des Häusermarktes verstanden werden – obwohl festzuhalten sei, dass das Angebot an neuem und gehobenem Wohnraum die Nachfrage, welche sich durch die in der Stadt anwesenden angehörigen der Oberschicht begründen liesse, gerade in Kleinstädten übersteige. New-Build Gentrification sei somit weniger als ein integraler Prozess der städtischen Verdrängungsprozesse, sondern eher als Beleg für ein allgemein zwachsendes Interesse der Oberschichten an der Innenstadt zu bewerten.

Im Fazit streichen die VerfasserInnen noch hervor, dass Gentrification in der Schweiz heute nicht als eine state-led Gentrification verstanden werden dürfe. Dies weil Städte Bauaufträge oftmals an Genossenschaften vergeben, oder einen gewissen Anteil an Sozial-Wohnungen von den InvestorInnen einfordern würden. Hier entgegen muss jedoch betont werden, dass genossenschaftlicher Wohnraum nicht per se nicht gentrifizierend wirkt, wie dies etwa in einer Studie der Berner Stadtplanungsdokumente bezüglich deren gentrifizierenden Wirkung am Beispiel des Lorrainequartiers aufgezeigt wurde. Weiter belegt die Studie, dass Bern, zwar nicht direkt eine Gentrification vorantreibt, aber dennoch, im Rahmen des Wettbewerbesgedanken sehr wohl an einer ökonomischen Aufwertung der Stadt und der Quartiere interessiert ist. Diese Aufwertung wird dann auch indirekt massiv gefördert und bisweilen auch ganz direkt beeinflusst, wie etwa bei dem aktuellen Neubauprojekt im Berner Stöckacker, wo eine alte Siedlung zu Gunsten eines Neubauquartiers abgerissen wird (Mullis 2009). Gesamthaft gesehen stehen also doch einige Faktoren einer allzu abschwächenden Perspektive auf die Rolle der Stadt entgegen.

Fazit
Abschliessend kann gesagt werden, dass Gentrification in den Schweizer Städten prozesshaft grösstenteils aus den beiden Konzepten der Klassischen und der New-Build Gentrification bestehen dürfte. Wobei in Städten wie Zürich und Genf auf Grund deren grösserer Exponiertheit auf der globalen Ebene auch Aspekte der Supergentrification vorzufinden sein dürften.

Bezüglich der chronologischen Abfolge ist anzunehmen, dass in der Schweiz Komponenten mehrerer Dimensionen – politisch, ökonomisch wie sozial – der oben beschriebenen vier Wellen gleichzeitig wirken, also keine analoge Wellenchronologie zu erwarten ist. Dies weil in der Schweiz einerseits Gesetze – wie etwa das Gesetz über die Erhaltung von Wohnraum oder Richtlinien bezügliche der Mietpreisanstiege bezogen auf die Bausubstanz – gelten, die einer klassischen Gentrification etwas entgegenwirken. Andererseits aber stehen Schweizer Städte und Kommunen auch im Wettbewerb um SteuerzahlerInnen und InvestorInne. Die Schweiz ist Teil des internationalen Finanzsystems und auch in der Schweiz ist in den letzten Jahren eine Erosion der sozialen Absicherung und öffentlichen Versorgung der ehemals staatlichen Dienstleistungen zu beobachten. Diese Faktoren führen zu einer spezifischen Ausprägung der Gentrification in der Schweiz, welche prozesshaft divers ist, aber deren Folge, die räumlichen Aufwertung, Verdrängung und Segregation nichts desto trotz dei Selben sind.

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Bibliographie

Schweizer Studien
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link_ikon Nachhaltige Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung

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