«Die Oststadt wird Berns Osten nachhaltig verändern»

Bernhard Ott, Der Bund, 05.03.2012

Die Diskussion über die Stadtentwicklung ist neu lanciert – im Osten ergibt sich städtebauliches Potenzial.



Sabine Schärrer sieht die Sache nüchtern. «Seit Jahrzehnten findet Berns Stadtentwicklung im Westen statt», sagt die einstige SP-Stadträtin und Präsidentin der Quartierkommission Kirchenfeld-Schosshalde. Mit der vom Bund geplanten Untertunnelung der Autobahn A 6 im Raum Schosshalde-Saali eröffneten sich aber auch am östlichen Ende der Stadt neue Perspektiven für die Stadtentwicklung.

Offiziell sind zurzeit noch vier Varianten für den Bau eines sogenannten Autobahn-«Bypass» im Gespräch (siehe Box oben links), wobei zwei der vier Varianten das grösste städtebauliche Potenzial frei machen (siehe Karte in Bildstrecke oben). «Wir müssen heute diskutieren, was in 25 Jahren mit diesem Raum geschehen soll», sagt Schärrer. Auch der Stadtteil Kirchenfeld-Schosshalde habe ein vitales Interesse daran, dass die wichtigsten Standpunkte geklärt würden, damit genügend Mittel zur Erstellung eines Masterplans frei werden.

Für Schärrer ist der siedlungsnahe Bau der Autobahn A 6 eine «Bausünde aus einer autofreudigen Epoche». Nun biete sich die Gelegenheit, durch die Beseitigung dieser «Bausünde» eine sinnvolle «Stadtreparatur» aufzugleisen. Zur Lancierung der Debatte hat Sabine Schärrers Partei, die SP, vorgestern Samstag eine Tagung zum Thema abgehalten.

Neue Ringstrasse aus alter Zeit
Um das Potenzial der Oststadt nutzen zu können, braucht es in erster Linie politische Entscheide. Die Grundlagen hierfür liefert das Stadtplanungsamt. «Die Oststadt wird Berns Osten nachhaltig verändern», sagt Stadtplaner Mark Werren. Das Quartier, das heute durch eine Autobahnschneise zweigeteilt ist, werde neu verbunden. Auf dem heutigen Autobahnteilstück zwischen der hinteren Schosshalde und dem Freudenbergerplatz könne die Ringstrasse wieder geschlossen werden, die in den 1920er- und 1930er-Jahren auf der Achse Helvetiaplatz-Thunplatz-Freudenbergerplatz-Guisanplatz existiert habe. Durch die Verschmälerung der Strasse werde eine beachtliche Fläche frei.

Entlang der neu belebten Ringstrasse könnte langfristig ein Bauvolumen von 100'000 bis 150'000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche frei werden. «Damit ist die Wachstumsfrage für die Stadt Bern nicht gelöst», sagt Werren. «Die Oststadt stellt aber einen wesentlichen Beitrag zur Lösung dieser Frage dar.»

Potenzial für 2500 Wohnungen
Laut Ueli Weber, Oberingenieur im kantonalen Tiefbauamt, ist der Variantenentscheid in Sachen Autobahn-Bypass in absehbarer Zeit zu erwarten. Eine vollständige Beibehaltung der bestehenden A 6 im Bereich Freudenbergerplatz sei für den Kanton aber «keine Variante mehr». Städtebaulich gebe es damit im Bereich Galgenfeld-Zentrum Paul Klee ein «beträchtliches Rückbaupotenzial». Mit einem Bypass werde das Quartier von der Durchfahrt von 70'000 Fahrzeugen pro Tag entlastet.

Das eigentliche Siedlungspotenzial ortet Weber aber in den Gebieten Freudenbergerplatz und Wittigkofen-Saali. Letzteres würde bei einer Untertunnelung des Abschnittes Freudenbergerplatz-Saali eine wesentlich geringere Lärmbelastung aufweisen. Gemäss einer Schätzung des Stadtplanungsamtes könnten in diesem Gesamtgebiet Ost maximal 2500 Wohnungen mit einer Bruttogeschossfläche von 250 000 Quadratmetern entstehen.

«Generationenprojekt» für Bern
Die Oststadt sei eine «grosse planerische Herausforderung», sagt Stadtplaner Werren. Sie stelle aber für «eine der bisher stabilsten Wohngegenden» eine planerische Perspektive dar. Werren geht davon aus, dass der Autobahn-Bypass in rund zehn Jahren realisiert werden kann. Die Umsetzung der noch zu beschliessenden baulichen Massnahmen im Bereich Schosshalde-Freudenbergerplatz würde weitere zehn Jahre beanspruchen. «Die Oststadt ist ein Generationenprojekt», sagt Werren.

Für Sabine Schärrer ist klar, dass die Oststadt ein grosses Verdichtungspotenzial im Bereich Schosshalde–Freudenbergerplatz darstellt. Damit sich die teure Untertunnelung der Autobahn rechne, müsse ein Gemeinnutzen entstehen, der nicht alleine im Verflüssigen des Verkehrs und im Lärmschutz bestehen könne. «Heute ist der Freudenbergerplatz zum Beispiel eine einzige Verkehrswüste», so Schärrer

Ob über zwanzig Jahre nach der Annahme der Initiative «Wittigkofen bleibt grün» die grüne Wiese zwischen Wittigkofen, Gümligen und Ostermundigen wieder beplant werden soll, sei eine offene Frage, die nun diskutiert werden müsse, sagt Schärrer.


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