Jeder Gemeinde ihren Vorplatz - von Kirchen und Raumschliff

Trinkende Jugendliche vor der Thomaskirche im Liebefeld sind ein Problem.


Martin Zimmermann, Bund 1.3.12

Wenn der Kirchenvorplatz zum Jugendtreff wird

Bei der Kombination Kirche und Alkohol denkt man normalerweise an die Eucharistie, die Darreichung von Wein und Brot also. Im Falle der Thomaskirche im Könizer Quartier Liebefeld hat der Alkoholgenuss allerdings oft einen ganz profanen Hintergrund: Seit einigen Jahren versammeln sich an Wochenendabenden regelmässig Jugendliche auf dem Vorplatz des evangelischen Gotteshauses zum Schlummertrunk.

Wenig Freude an diesen Versammlungen hat Alfred Hächler. Die letzten Monate seien wegen der Kälte eher ruhig gewesen, sagt der Sigrist der Thomaskirche auf Anfrage. Er erwartet aber, dass das Problem mit dem Anbruch des Frühlings wieder akut wird. "Sobald es warm wird, liegen am Samstagmorgen oft Flaschen, Dosen oder sonstiger Abfall vor der Kirche", sagt er. "Wenn dies das Erste ist, was man hier zu Gesicht bekommt, ist das schon unangenehm."

Blutjunge Vorplatzbesucher
Da er in Oberscherli wohne, habe er die abendlichen Treffen bisher nie beobachten können, so der Sigrist. Wer sich vor der Kirche einfinde, wisse er deshalb nicht. Laut einem Anwohner handelt es sich bei den zechenden Vorplatz-Besuchern um eine "Kerngruppe" von sechs bis acht Jugendlichen aus dem Quartier. Die Anzahl könne stark variieren. "Die Leute sind zum Teil nur 12 bis 15 Jahre alt", sagt der Mann, der anonym bleiben möchte.

Aber wieso ausgerechnet die Thomaskirche? Der mit Nischen und Bänken ausgestattete Vorplatz ist von den umliegenden Strassen kaum einzusehen - und dementsprechend attraktiv, wenn man ungestört bleiben will. "Die Kirche ist ausserdem vom Rest des Quartiers ziemlich isoliert", erläutert der Mann. Aus diesem Grund gebe es auch kaum Lärmklagen der Anwohner. Ihn persönlich störten denn auch weniger allfälliger Lärm oder der Abfall als die gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums auf die Heranwachsenden, wie er sagt. Es könne ja nicht gesund sein, wenn sich diese jedes Wochenende dort "volllaufen" liessen.

Die Behörden reagieren auf die Treffen seit einiger Zeit mit vermehrten abendlichen Polizeikontrollen vor der Kirche. Ob dies auch dieses Jahr nötig sein wird, wird sich zeigen. "Vielleicht ist das Ganze ja nur eine Mode, die bald verschwindet", sagt der anonyme Anwohner. Er betont zudem, dass das Problem nicht bloss das Liebefeld betrifft: "Vor der Schlosskirche in Köniz trinken die Jugendlichen doch auch."

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Das Pilotprojekt Raumschliff Nicht nur Jugend macht Probleme
Das Liebefeld ist kein Problemquartier - rund läuft deshalb noch lange nicht alles. Darin war man sich an der Initial-Veranstaltung des Pilotprojekts Raumschliff einig. 32 Personen - darunter Politiker, Jugendliche und Elternräte - hatten sich am Dienstagabend im Oberstufenzentrum Köniz versammelt. Ziel des Anlasses: die verschiedenen Nutzergruppen des öffentlichen Raums zusammenbringen. Diese sollten sich über allfällige Nutzungskonflikte austauschen und nach Lösungen dafür suchen. Im Fokus des Pilotprojekts steht das besagte Könizer Quartier. Die grössten Probleme orteten die Anwesenden unter anderem in den folgenden Bereichen:

Der Alkoholkonsum Jugendlicher vor der Thomaskirche (siehe Haupttext). Hier kam der Vorschlag, das Gespräch mit den Eltern zu suchen und die Kontrollen auf dem Vorplatz der Kirche zu verstärken.Littering und Vandalismus: Auf Spielplätzen und dem Areal des Hessgut-Schulhauses liessen Jugendliche allzu oft Abfall und Glasscherben liegen, hiess es. Die Lösungsansätze reichten von grösseren Abfallbehältern über die nächtliche Öffnung der Turnhalle bis zur Einrichtung von Jugend-Plätzen, die von den Jugendlichen selbst mitgestaltet und unterhalten werden.

Die Jugend ist aber nicht an allem schuld: Littering, so zeigte sich, ist auch ein Problem der Erwachsenen. Zudem verhielten sich Senioren dem Nachwuchs gegenüber oft unnötig aggressiv, monierten die anwesenden Jugendlichen. Von den Älteren war an der Veranstaltung übrigens niemand zugegen.

Eine Arbeitsgruppe wird die am Workshop gesammelten Erfahrungen und Vorschläge nun in den nächsten Monaten auswerten und bis zum Spätsommer in konkrete Massnahmen zuhanden der Politik umsetzten. Das von der Gemeinde und der Jugendarbeit Köniz sowie der Stiftung Berner Gesundheit initiierte Pilotprojekt soll 2013 abgeschlossen werden. (mzi)




Lucia Probst BZ 1.3.12

Friedlicher zusammenleben dank des Projekts Raumschliff

Köniz · Mit einem neuen Projekt will die Gemeinde Probleme an öffentlichen Orten im Liebefeld angehen. Betroffene sehen diese vor allem beim Abfall, Alkohol, Vandalismus und bei Streitereien.

Ein Blick an die Wand machte am Ende klar: Vor allem die Schulareale, aber auch die Strassen und die Plätze sind im Liebefeld problematische Orte. Nirgends sonst klebten so viele Zettel wie unter diesen drei Punkten. Erarbeitet haben die Zettel rund 30 Personen, die an einem Kickoff-Anlass für ein Projekt im Liebefeld teilgenommen haben. "Raumschliff" heisst dieses Projekt. "Schleifen, das heisst etwas fein und schön machen", führte Gemeinderat Ueli Studer (SVP) in den Abend ein. Als früherer Maler muss er es wissen. Die Gemeinde und die Stiftung Berner Gesundheit wollen Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum angehen (siehe Kasten). Es gebe im Liebefeld keine akuten Brennpunkte. "Aber es ist auch nicht alles gut", sagt Studer. Vernetzung sei das A und O, um Probleme anzugehen. "Dieses Projekt entsteht nicht am Schreibtisch, deshalb stehen die Chancen gut, dass es nicht für die Schublade ist."

Stark genutzte Schulareale
Jugendarbeit, Eltern, Quartier- und Kulturorganisationen, Kirchen, Schulen und die Verwaltung: Sie alle waren vertreten. Die rund 30 Anwesenden diskutierten in Gruppen, wo sie die grössten Probleme im Liebefeld orten, und suchten auch nach Verbesserungsvorschlägen. Was die Schulareale betrifft, hielten gleich mehrere Gruppen fest, dass diese auch in der Freizeit stark genutzt werden. Das führt zu viel Abfall, der herumliegt. Und auch zu Konflikten unter den Nutzern. "Ich habe schon gehört, dass Erwachsene Jugendliche zum Teil fortjagen", erzählte eine Mutter. Sorgen machen auch der starke Verkehr im Liebefeld und der Vandalismus auf den Spielplätzen. Eine andere Gruppe brachte aufs Tapet, dass bei der Thomaskirche regelmässig Jugendliche Alkohol trinken.

Vorschläge im Herbst
"Es soll nicht nur um die Jugendlichen gehen", sagt Projektleiterin Isabel Uehlinger von der Berner Gesundheit. Allzu oft würden Jugendliche als jene hingestellt, die Probleme verursachen. Das Liebefeld entwickle sich stark. "Der öffentliche Raum wird immer intensiver genutzt, das bringt Konflikte mit sich." Der 16-jährige Gion-Andri Sahli jedenfalls ist am Ende des Abends positiv gestimmt. "Das war ein cooler Anlass, es ging klar um Lösungen." Auch seine 15-jährige Kollegin Dominique Staub wertet das Treffen als Erfolg: "Ich hätte gar nicht gedacht, dass sich so viele Leute Gedanken zu diesen Problemen machen." Alle Ideen und Inputs wird nun eine rund zehnköpfige Kerngruppe weiterbearbeiten und mit eigenen Recherchen ergänzen. Im Herbst will diese Gruppe der Gemeinde Verbesserungsvorschläge unterbreiten.

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Pilotprojekt

Kantonsweit Die Stiftung Berner Gesundheit hat das Projekt Raumschliff lanciert. Es soll Gemeinden helfen, Lösungen für Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum zu finden. Köniz, Neuenegg und Belp haben sich als erste Gemeinden interessiert. Mit ihnen wird "Raumschliff" bis Ende 2013 als Pilotprojekt durchgeführt. Bereits jetzt können sich aber auch andere Berner Gemeinden für diese Problematik an die Stiftung wenden. Deren Angebote sind kostenlos.lp




20 Minuten 1.3.12

"Göttis" statt Knatsch auf Plätzen

BERN. Vandalismus, Nachtruhestörungen und Littering: Um Konflikte im öffentlichen Raum zu entschärfen, startet das Pilotprojekt "Raumschliff" in drei Berner Gemeinden.

Der öffentliche Raum wird immer wieder zum Schauplatz von Gewalt, übermässigem Alkoholkonsum und Littering. "Neben dem Verantwortungsgefühl fehlt es oft auch an Toleranz der verschiedenen Nutzergruppen", meint Isabel Uehlinger von Bern Gesundheit.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, wurde das Pilotprojekt "Raumschliff" ins Leben gerufen. Darin werden in Projektgruppen - bestehend aus Institutionen, Verwaltung und verschiedenen Nutzern - Probleme analysiert und nachhaltige Massnahmen gesucht. So wird allen Beteiligten eine Stimme gegeben. Denn: "Der öffentliche Raum gehört allen und soll von allen genutzt werden können", meint Ueli Studer, Direktor von Bildung und Soziales Köniz. Er gibt ein Beispiel für eine mögliche Massnahme im Bezug auf Littering: "Schulklassen könnten sich nach dem ?Götti-Prinzip? um gewisse Plätze kümmern."

Auch die Meinung der Öffentlichkeit ist gefragt: Für Rückmeldungen und Anregungen wurde ein Blog errichtet. Dieser soll Erkenntnisse und Ergebnisse des Projekts, das neben Köniz auch in Belp und Neuenegg stattfindet, der Öffentlichkeit zugänglich machen. Schlägt der Pilotversuch in den drei ausgewählten Gemeinden an, wird das Projekt ausgeweitet.

Nathalie Jufer
http://www.raumschliff.ch


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