Bern: «Trend zurück in die Stadt ist ungebrochen»

Bernhard Ott, Der Bund, 1.7.2010

In der Stadt Bern herrscht Wohnungsnot. Der Leerwohnungsbestand ist erneut unter die 0,5-Prozent-Marke gesunken. Die Ankurbelung des Wohnungsbaus vermag die Nachfrage kaum zu befriedigen. Der Mieterverband fordert mehr billigere Wohnungen.

Wer in der Stadt Bern eine 3-Zimmer-Wohnung für maximal 1800 Franken im Monat sucht, hat es nicht leicht. «Günstige Wohnungen an guter Lage gehen meist unter der Hand weg», sagt eine 31-jährige Zuzügerin aus Zürich, die demnächst Mutter wird. Die im Anzeiger oder im Internet publizierten Wohnungen seien entweder zu teuer – oder die Interessenten stünden bei der Wohnungsbesichtigung Schlange.

Massenaufmärsche bei Wohnungsbesichtigungen wird es noch längere Zeit geben. Gemäss einer Mitteilung der Stadt standen am 1. Juni bloss 335 Wohnungen oder 0,45 Prozent aller Wohnungen leer. Am gleichen Stichtag des Vorjahres gab es noch 443 leere Wohnungen (0,6 Prozent). Somit hat der Bestand innerhalb eines Jahres um 24,4 Prozent abgenommen. Am knappsten ist der leere Wohnraum in der inneren Stadt und in der Länggasse (siehe Box). Bei einem Leerwohnungsbestand unter 0,5 Prozent spricht man gemeinhin von Wohnungsnot.

«Extremer Nachholbedarf»
«Die 0,5-Prozent-Grenze ist einfach eine Zahl», sagt Regula Buchmüller, Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung. Die Statistiker seien sich nicht einig, ob bereits ein Leerwohnungsbestand unter einem Prozent oder erst einer unter 0,5 Prozent als Wohnungsnot gelte. Sicher sei indes, dass die Nachfrage das Angebot übersteige. Der Trend zurück in die Stadt sei nach wie vor ungebrochen. Bei der letzten Zählung im Vorjahr sei die Einwohnerzahl der Stadt Bern noch deutlich unter 130 000 gelegen. Heute zähle die Stadt schon fast 131 000 Einwohner. «Wir haben einen extremen Nachholbedarf bei grösseren Wohnungen.» In den letzten Jahren seien zwar zahlreiche Neuüberbauungen realisiert oder geplant worden. «Aber es reicht offensichtlich noch nicht.»

Bezüglich Einwohnerzahl hat sich der Gemeinderat hohe Ziele gesteckt: So soll die Stadt bis 2012 auf 135 000, bis 2020 gar auf 140 000 Menschen anwachsen. «Will man die Einwohnerzahl derart erhöhen, soll man auch etwas tun dafür», sagt Grossrat Michael Aebersold (SP), Präsident des Mieterverbandes Bern und Umgebung. Bereits als Stadtrat hat sich Aebersold verschiedentlich für die Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus eingesetzt. «In der Stadt Bern gibt es zu wenig Wohnraum für Leute mit kleinem Budget», sagt Aebersold. Bei Sanierungen würden die Mieten oft unverhältnismässig ansteigen. Auch beim Neubauprojekt im Stöckacker zum Beispiel, einem ökologischen Vorzeigeprojekt, werde mit dem Abriss der alten Wohnblöcke billiger Wohnraum vernichtet. «Durch die Förderung des genossenschaftlichen Wohnbaus entstünden auch wieder bezahlbare Wohnungen», sagt Aebersold.

«Eher teure Neubauwohnungen»
«Die Hälfte aller Wohnungen in den letzten sechs Jahren wurde von Genossenschaften gebaut», hält Regula Buchmüller fest. Neubauwohnungen seien in der Tat eher teuer, zumal vermehrt nachhaltig gebaut werde. Neubauten trügen aber auch dazu bei, «dass der Druck auf die Altwohnungen abnimmt».

Natürlich wolle die Stadt auch gute Steuerzahler anziehen und habe daher nicht nur billige Wohnungen im Portfolio. Bei Bauvorhaben verfolge der stadteigene Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik aber nicht nur Rendite-Überlegungen. So sei die Realisierung der Überbauung am Centralweg in der Lorraine auch auf preisgünstigen Wohnraum ausgerichtet. Und beim Projekt an der Mutachstrasse in Holligen strebe man den Bau von Niedrigstandardwohnungen an. «Mit der Wohnbaupolitik soll nicht zuletzt auch eine gute soziale Durchmischung der Quartiere gewährleistet werden», sagt Buchmüller.

Bis zum Bezug dieser Überbauungen mag die 31-jährige Zuzügerin aus Zürich aber nicht warten. Zudem sucht sie eher eine Wohnung in der Länggasse, wo der Leerwohnungsbestand besonders tief ist. Ganz ohne Beziehungen dürfte es da in der Tat nicht gehen. «Ich bin zurzeit für eine Wohnung im Gespräch, die auf Facebook ausgeschrieben war», sagt die junge Frau.


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