Die Gefahr einer Schweizer Immobilienblase steigt

Robert Mayer, Tages-Anzeiger, 07.06.2010

Die Hypothekarforderungen steigen steil, Häuser im Kanton Zürich sind so teuer wie nie, und die Banken nehmen es mit der Tragbarkeit der Darlehen nicht mehr so genau.


Quelle: newsnetz.ch

Die Schweiz könnte auf dem besten Weg in eine Immobilienblase sein. Das zumindest will Patrik Schellenbauer, Projektleiter der Denkfabrik Avenir Suisse, nicht ausschliessen. Damit lehnt sich Schellenbauer weiter zum Fenster hinaus als viele seiner Kollegen. Die Symptome eines aufkeimenden Problems beschäftigen allerdings auch die Nationalbank (SNB). Sie hat den Hypothekenmarkt unter erhöhte Beobachtung gestellt.

Ein neues Allzeithoch
Zum einen sind die Immobilienpreise im Kanton Zürich zuletzt stark angestiegen. In den ersten drei Monaten 2010 legten sie aufs Jahr hochgerechnet um 9 Prozent zu - und erreichten damit ein neues Allzeithoch. Gleichzeitig verharren die Zinsen auf dem tiefsten Stand seit 30 Jahren. Variable Hypotheken sind für 2,5 Prozent zu haben, bei 10-jährigen Festhypotheken liegt der günstigste Zinssatz gegenwärtig bei 2,875 Prozent.

Diese niedrigen Zinsen animieren viele Mieterinnen und Mieter zum Kauf von Wohneigentum. Das sieht man etwa daran, dass die Hypothekarforderungen in der Statistik der Nationalbank schneller wachsen. Dabei vergessen die Käufer laut Adrian Wenger vom Zürcher Vermögenszentrum leicht, dass die Zinsen nicht ewig so tief bleiben werden. Die meisten seien sich nicht bewusst, dass die Hypozinssätze noch im Jahr 2000 bei über 5 Prozent lagen - und kalkulierten mit 3 Prozent als «Worst-Case-Szenario».

Banken opfern Teil der Marge
Hinzu kommt, dass die Banken ihre Kunden nicht in die Realität zurückholen. In der Finanzbranche ist ein erbitterter Kampf um Hypothekarkunden entbrannt.

Der Preisdruck ist offenbar so gross, dass die Finanzinstitute nur noch halb so viel an Hypotheken verdienen wie vor zehn Jahren. Um Kunden an sich zu binden, opfern Banken aber nicht nur einen Teil ihrer Marge, sondern auch einen Teil ihrer Grundsätze. So hat etwa die Raiffeisen-Gruppe den kalkulatorischen Zinssatz heruntergeschraubt, mit dem sie bemisst, ob ein Kunde sich die Hypothek leisten kann. Statt mit 5 rechnet sie neu mit 4,5 Prozent. Nicht gerüttelt wird hingegen an der Eigenkapitalquote. Diese liegt zwingend bei 20 Prozent.

Die effektiven Konsequenzen der grossen Nachfrage und der lascheren Vergabe werden sich zeigen, sobald die Zinsen relativ rasch steigen. Experten prognostizieren deutlich mehr Kreditausfälle.



Bruno Schletti, Tages-Anzeiger, 22.05.2010

Bei Zinsanstieg ist die Festhypothek nicht immer die beste Wahl

Wie reagieren, wenn die Zinsen steigen? Viele empfehlen die Festhypothek, um die tiefen Zinsen anzubinden. Über die Dauer ist die Geldmarkthypothek aber günstiger.

Die Zinsen sind heute so tief, dass sie eigentlich nur noch steigen können. Die Frage ist nur: Wann steigen sie? Wie schnell? Und: Wie stark? Die Bankberater sind vorsichtig mit Prognosen. Denn nur ungern stecken sie später die Vorwürfe ein, sollte sich ihre Voraussage als falsch erweisen.

«Wir gehen noch eine gewisse Zeit von einer Seitwärtsbewegung aus», heisst es bei der Raiffeisengruppe. Die UBS nimmt an, dass die Nationalbank «voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2010» die Zinsen erhöhen wird. Otto Mächler, Leiter Kredite bei der Clientis Zürcher Regionalbank, rechnet mit einer «flachen Entwicklung bis in den Spätsommer, dann mit einem leichten Anstieg».

Anstieg wird erwartet
Am Markt geht man also allgemein davon aus, dass sich in der zweiten Jahreshälfte die Zinsen nach oben zu bewegen beginnen. Die Kreditnehmer sind gewarnt. Schnell spielt der Reflex: Zinsen anbinden, Abschluss einer Festhypothek. Diese garantiert, wie ihr Name sagt, einen über eine bestimmte Periode fixierten Zinssatz.

Das ist der Moment, in dem sich Adrian Wenger zu Wort meldet. Der Leiter der Hypothekarberatung beim Vermögenszentrum VZ rät nicht vorbehaltlos zum Abschluss von Festhypotheken, sondern sagt: «Auch wenn ein Zinsanstieg bevorsteht, sind Geldmarkthypotheken oft die bessere Wahl.» Diese – man nennt sie auch Libor- oder Flexhypotheken – haben einen veränderlichen Zins, der alle drei oder sechs Monate neu festgelegt wird. Grundlage ist der Libor, der für Banken gültige Satz für kurzfristige Geldaufnahmen. Darauf schlägt die Bank eine Marge. Gestern sank dieser Libor auf unter 0,2 Prozent.

Wenger zeigt auf, dass in den letzten zehn Jahren der Durchschnittszins einer Geldmarkthypothek wesentlich unter dem einer Festhypothek lag (siehe Grafik). Zehnjährige Festhypotheken kosteten durchschnittlich 4 Prozent, fünfjährige 3,5 Prozent, Geldmarkthypotheken 2,4 Prozent. Bei einer Hypothek über 500 000 Franken hätte ein Eigenheimbesitzer mit einer Geldmarkthypothek damit 55 000 Franken gespart gegenüber seinem Nachbarn mit einer entsprechenden Festhypothek, rechnet Wenger vor.

Den Einwand, dass 2001 die Zinsen wesentlich höher lagen als heute, dass deshalb in den nächsten Monaten und Jahren eher von steigenden Zinsen auszugehen ist, lässt Wenger nicht gelten. Kurzfristig geliehenes Geld – wie bei der Geldmarkthypothek – sei immer günstiger als langfristiges. «Wer länger auf Geld verzichtet», so Wenger, «will mehr dafür haben.»

Hypothek als Belastung
Wenger argumentiert aber nicht nur mit dem langfristig tieferen Durchschnittszins der Geldmarkthypothek. Er sagt auch: «Wer sich jetzt für eine langfristige Festhypothek entscheidet, hat noch mehrere Quartale oder sogar mehrere Jahre lang höhere Zinskosten zu tragen als mit einer Geldmarkthypothek, auch wenn die Zinsen tatsächlich bald steigen.»

Dennoch wäre es falsch, die Geldmarkthypothek in jedem Fall zu empfehlen. Denn bei einem rasanten Zinsanstieg kann die Hypothek zur Belastung werden. «Wenn der Libor abgeht, geht er wirklich ab», warnt Otto Mächler von der Clientis Zürcher Regionalbank. Er empfiehlt deshalb in vielen Fällen einen Mischsatz – die Verteilung des Kredits auf verschiedene Hypothekarmodelle.

Auch Adrian Wenger räumt ein, dass die Geldmarkthypothek nicht für jedermann die richtige Lösung ist. Gut sei sie für Leute, die einen Zinsanstieg verkraften könnten. Für einen Familienvater mit engem Budget sei sie das falsche Modell. «Grundsätzlich enthält die Festhypothek eine Versicherungsprämie», sagt Wenger. Der Durchschnittszins ist wohl höher, der Kreditnehmer gewinnt aber Budgetsicherheit. Darauf weisen auch alle angefragten Banken hin.


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