In Bern werden wieder mehr Leute weggewiesen

Bernhard Ott, Der Bund, 18.3.10 : Quelle, MEDIENSPIEGEL 18.3.10

Letztes Jahr hat die Polizei in der Stadt Bern 438 Wegweisungen verfügt. Dies sind 59 mehr als im Vorjahr.

Erstmals seit drei Jahren ist die Zahl der Wegweisungen in der Stadt Bern im letzten Jahr wieder gestiegen: Nach Angaben der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie (SUE) hat die Polizei in 438 Fällen Personen von öffentlichen Orten weggewiesen. Im Jahr 2008 waren es 379 Wegweisungsverfügungen. Laut kantonalem Polizeigesetz kann die Polizei Personen vorübergehend von einem Ort wegweisen, wenn der "begründete Verdacht" besteht, dass sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder stören. Seit einem Bundesgerichtsurteil im Jahr 2006 ist diese Praxis rechtlich etabliert. Politisch ist sie in der Stadt Bern aber nach wie vor ein heikles Thema.

Kantonspolizei äussert sich nicht
Gemeinderat Reto Nause (cvp) will die Zunahme nicht überbewerten. Wegen des Umbaus des Bahnhofplatzes und der Euro sei 2008 ein besonderes Jahr gewesen. Die Bauarbeiten beim Bahnhof und die erhöhte Polizeipräsenz rund um das Fussballfest hätten die Wegweisungszahlen übermässig sinken lassen. "2009 sind wir zahlenmässig wieder im Bereich der vorhergehenden Jahre", sagt Nause. Ob die Polizei mehr Drogendealer oder mehr Randständige weggewiesen hat, kann der Sicherheitsdirektor nicht sagen und verweist diesbezüglich auf die Kantonspolizei. Diese will auf Anfrage jedoch nicht Stellung nehmen. Sprecherin Ursula Stauffer Hodel verweist auf die Zahlen der nationalen Kriminalstatistik, die Anfang nächster Woche veröffentlicht werden. Die Kantonspolizei werde sich erst dann zu statistischen Fragen äussern, sagt Stauffer Hodel.

Brennpunkt Heiliggeistkirche
Sicherheitsdirektor Nause weist aber auf einen weiteren Grund für die Zunahme der Wegweisungen im letzten Jahr hin. "Im Bereich Heiliggeistkirche hat der Gemeinderat Ansammlungen von 30 bis 40 Personen nicht tolerieren wollen." Die Stadtregierung habe die Polizei daher wiederholt angewiesen, an diesem Ort Präsenz zu markieren. Die gezielten Kontrollen hätten die Zahl der Wegweisungen in die Höhe schnellen lassen, sagt Nause.

Für den Gemeinderat ist die Wirksamkeit der Wegweisungspraxis nach elfjähriger Anwendung in der Stadt Bern erwiesen. "Dank den Wegweisungen konnte die Situation in und um den Bahnhof entschärft werden." Die Wegweisungspraxis sei heute ein anerkanntes Instrument in der Polizeiarbeit, sagt Nause.

Stadtrat Hasim Sancar (gb) ist da anderer Meinung. Das Grüne Bündnis (GB) steht der Wegweisungspraxis seit jeher skeptisch gegenüber. "Auch die 379 Wegweisungen im Jahr 2008 sind zu viel." Die Leute vor der Heiliggeistkirche seien schliesslich ja keine Kriminelle. Und für Drogendealer gebe es die Bestimmungen des Strafrechts. Der Ärger Sancars gilt auch der Informationspolitik von Kantonspolizei und Gemeinderat. "Die Kantonspolizei sagt nichts und der Gemeinderat weiss nichts - das sind nun die Folgen der Kantonalisierung der Polizei", sagt Sancar.


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