Singapurs Schutz vor den Fluten

Von Werner Catrina erschienen in der NZZ am Sonntag vom 7. Februar 2010

Ein Damm staut das Wasser des Singapore River an seiner Mündung.
So erhält die City ein einzigartiges Süsswasserreservoir und schützt sich vor dem steigenden Meeresspiegel.


Die Bürotürme in der City von Singapur verschwimmen im Monsunregen – innert Minuten schwellen der Singapore River und seine Nebenflüsse an. Wo sich der Fluss ins Meer ergiesst, steht seit knapp zwei Jahren die Marina Barrage, ein technisch raffinierter Damm, der das Süsswasser des Flusses vom Salzwasser des Meeres trennt.

Rasch steigt bei tropischen Niederschlägen der Wasserspiegel im aufgestauten Mündungssee. Techniker werfen die sieben gewaltigen Pumpen an, um das überschüssige Wasser ins Meer zu befördern. «Jede Pumpe kann in einer Minute so viel Wasser in den Ozean pumpen, wie ein olympisches Schwimmbecken fasst», sagt William Yeo Wee Yeow, General Manager der Anlage. «Die Pumpen wurden in den Niederlanden gebaut, wo man grosse Erfahrung mit Flutkontrolle hat.»

Singapurs Problem ähnelt dem der Niederlande, denn auch der südostasiatische Stadtstaat liegt teilweise nur knapp über Meereshöhe. Die Innenstadt wurde bis in die sechziger Jahre bei Monsun und hochgehender See regelmässig überschwemmt. Abflusskanäle haben das Problem inzwischen eingedämmt, doch genügte dies für den Schutz der Metropole nicht.

Antiseptische Metropole
Der Stadtstaat Singapur liegt auf einer Insel vor der Südspitze Malaysias und ist kaum grösser als der Kanton Glarus. Mit einer Bevölkerung von 4,6 Millionen Menschen ist Singapur eines der am dichtesten besiedelten Länder der Erde. Die einstige britische Kolonie, unabhängig seit 1963, hat gelernt, ihre Ressourcen generalstabsmässig zu planen. Das Management von Frisch- und Abwasser liegt in der Verantwortung der National Water Agency PUB, die in den vergangenen Jahrzehnten ein in Asien beispielloses System von Trinkwasserversorgung, Abwasseraufbereitung und Hochwasserschutz aufgebaut hat. Das autoritär regierte Land huldigt der Perfektion und plant oft einen Schritt voraus, wo sich andere Staaten der Region nur durchwursteln.

Die zuweilen antiseptisch wirkende Metropole hat als erste Stadt der Welt Strassenbenutzungsgebühren eingeführt, die elektronisch eingezogen werden. Der Changi Airport auf aufgeschüttetem Land, Heimatflughafen von Singapore Airlines, gilt als einer der besten Flughäfen weltweit, die Nahverkehrsmittel zirkulieren sekundengenau, und ein neuer «Grün-Plan» verpflichtet Bauherren, das überbaute Land durch Dachgärten und andere Massnahmen möglichst der Natur zurückzugeben. Die Ende 2008 in Betrieb gestellte 229 Mio. Sing Dollar (170 Mio. Fr.) teure Marina Barrage ist Ausdruck dieser Philosophie.

«Mit der Barrage entstand das siebzehnte Süsswasserreservoir der Stadt, das auch der Trinkwasserversorgung dient, das einzige in der City, alle andern liegen erhöht in den Hügeln», erklärt Yeow auf der Aussichtsplattform. Bereits vor zwanzig Jahren skizzierte man in den Planungsbüros der PUB das Projekt, lange bevor der durch die Klimaerwärmung steigende Meeresspiegel zum weltweit debattierten Thema aufstieg. Der junge Manager weist auf eine helle, zusätzliche Barriere im Damm: «Diese Sperre haben die Ingenieure eingebaut, um das Süsswasserreservoir und die City in Zukunft vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen.»

Draussen im Meer warten Dutzende von Schiffen auf das Löschen der Ladung im Containerhafen, andere sind wegen der Wirtschaftskrise auf offener See geparkt; die See vor der Geschäftsmetropole war bisher Umschlagplatz, kaum Erholungszone. Singapur, bis in die jüngere Zeit für Bewohner und Touristen vorwiegend eine Flussstadt, wendet sich mit der Barrage und dem neuen Süsswassersee dem offenen Wasser zu. Lim Siew Wee, Medienchefin bei PUB: «Das neu erschlossene Gebiet rund um das Reservoir wird zur Lifestyle-Destination.»

Auf dem entlang der Bucht aufgeschütteten Land ist kürzlich der Singapore Flyer, das grösste Riesenrad der Welt, errichtet worden. Auf der andern Seite des Süsswasserbeckens steht Marina Bay Sands vor der Fertigstellung, ein 5,5 Milliarden Franken teurer Komplex mit Konferenzzentrum, Kasino, Shoppingcenter und drei Hoteltürmen, über die sich ein tropischer Dachgarten wie ein gigantisches Surfbrett spannt. Scharen von Gärtnern pflanzen zurzeit einen neuen botanischen Garten an, der sich vom Ufer des Süsswassersees bis hinunter zum Damm am Meer erstrecken wird.

Familien-Picknick
Das elegante, muschelförmige Bauwerk mit Dachbegrünung am Rande der Barrage enthält nicht nur die mächtigen, von ABB entwickelten Pumpen, sondern auch eine Ausstellung, die mit modernsten technischen Mitteln die Funktion der Barrage und das Wassermanagement des Landes erklärt, sowie Tagungsräume und ein Restaurant. Schulklassen kommen hierher, Familien picknicken auf dem mit Skulpturen und Springbrunnen geschmückten Gelände.

Der begehbare Damm hat sich innert kurzer Zeit zu einer der Sehenswürdigkeiten Singapurs entwickelt. Der Stadtmarathon führt neu über die Sperre, und der Süsswassersee wird für Angler und Wassersport geöffnet. Dieses Jahr finden auf dem Gewässer internationale Kanu-Wettbewerbe statt. Die Pumpen der Marina Barrage kommen im Übrigen nur dann zum Einsatz, wenn im Meer Flut herrscht. Steigt der Seepegel wegen Regengüssen bei Ebbe an, so öffnet man die Tore und lässt das überschüssige Süsswasser ins tiefer liegende Meer ab: ein spektakuläres Schauspiel für die Besucher.

Singapurs Wassermanagement gewinnt immer wieder internationale Preise, die Singapore International Water Week vom 28. Juni bis 2. Juli 2010 steht denn auch unter dem Motto: «Sauberes und erschwingliches Wasser». Beides ist in manchen südostasiatischen Metropolen eine unerreichbare Utopie. Während des Interviews mit General Manager Yeo Wee Yeow wird «New Water» kredenzt, Wasser aus Kläranlagen, das auch im Supermarkt zu kaufen ist. Perfekt gereinigt.

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