Klassenkampf mit Brandbeschleuniger

Von David Nauer, In: Der Bund, 22.1.2010

Linksextreme Aktivisten fackeln in Berlin Nacht für Nacht Autos ab. Damit wollen die Zündler die Aufwertung ganzer Stadtviertel verhindern.

Ein Stück Brandbeschleuniger auf den Pneu, anzünden – davonrennen. Über 200 Mal haben im vergangenen Jahr in Berlin Autos gebrannt. Meist waren es teure Wagen, die in Flammen aufgingen. Meist vermutet die Polizei eine «politische Tatmotivation». Entsprechend blank liegen die Nerven. «Wir dürfen den roten Terror nicht zulassen», tobt Frank Henkel, Chef der Berliner CDU. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) betitelt die Autoanzünder als «rot lackierte Faschisten» – und die «Bild» fragt: «Versinkt unsere Hauptstadt in Anarchie?»

Ein Donnerstagmittag im Kreuzberg-Quartier. Hier darf Berlin noch etwas schmuddelig sein. Die Häuser sind Graffiti-verschmiert, beklebt mit Plakaten. Beamte in Zivil führen gerade einen Dealer ab. Kreuzberg: Das ist Multikulti und Laisser-faire, Döner Kebab und Revoluzzertum.

«Gezielte Regelverletzungen»

Im Backhaus Simitdchi knabbert Florian Schmidt*, 26, wilde Locken, an einem türkischen Gebäck. Der Geschichtsstudent ist Sprecher der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin. Im Gegensatz zu vielen anderen Aktivisten aus der linksautonomen Szene versteckt er sich nicht – er redet gerne. Nur seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Eine Vorsichtsmassnahme, schliesslich hat ihn der Verfassungsschutz im Visier.

Autos anzünden? «Dazu habe ich ein gespaltenes Verhältnis», sagt Schmidt. Er selber arbeite nur legal, organisiere Demos, texte Flugblätter. Schliesslich sei es schwierig, mit einer Brandaktion «die Richtigen» zu treffen. «In einer spätkapitalistischen Gesellschaft kann die Klassenzugehörigkeit nicht mehr anhand des Autos ermittelt werden», lehrt der linke Aktivist. Mit anderen Worten: Zündete man in den Achtzigerjahren einen Mercedes an, traf man bestimmt einen «reichen Spiesser». Inzwischen kann ein teurer Schlitten auch einem «türkischen Asylbewerber» gehören.

Dennoch, glaubt Schmidt, ist das Anzünden von Autos nicht einfach sinnlos. «Es handelt sich um eine geeignete Methode, um auf soziale Missstände aufmerksam zu machen.» In der Tradition der Linken habe es immer wieder «exemplarische Aktionen» gegeben, «gezielte Regelverletzungen». Die Strategie sei erfolgreich. «Seit in Berlin Autos brennen, gibt es eine Debatte über Gentrifizierung», so Schmidt.

Das Kapital macht sich über Kreuzberg her

Die Gentrifizierung, die Aufwertung ganzer Stadtviertel: Viele Städte der Welt haben sie erlebt, Berlin ganz besonders in den vergangenen zwanzig Jahren. Nach dem Fall der Mauer steckten die Investoren ihr Geld zunächst in den Prenzlauer Berg, ein ehemals ostdeutsches Arbeiterquartier. Sie haben es herausgeputzt und die langjährigen Anwohner vertrieben. Auch im benachbarten Friedrichshain steigen die Mieten. Nun, so befürchten viele, könnte sich das Kapital auch noch über Kreuzberg hermachen.

Schon tauchen die ersten Boutiquen auf, Delikatessen-Geschäfte und teure Restaurants. Viele Häuser werden saniert. Ein schleichender Prozess, einer, den man kaum aufhalten kann. Manche versuchen es trotzdem. Mit Gewalt.

So wie an der Reichenberger Strasse. Friedlich wirkt das Wohnquartier an diesem Nachmittag. Alt-Berliner Mietskasernen, etwas schäbig, aber mit Charme, breite Strassen, kaum Verkehr. Ein Handwerker belädt seinen kleinen Lastwagen, einer mit Kapuzenpullover führt seinen Hund aus. An einer Ecke steht ein moderner Block, um nicht zu sagen: ein Klotz. Carloft heisst die Überbauung für Superreiche. Besonderer Gag: Die Bewohner können mit ihren Karossen bis in die Wohnung fahren. Das Auto wird, so die Idee, dann sicher nicht abgefackelt.

Chronist der Brandstifter

Nur: Carloft hat es schwer in Kreuzberg. Der Klotz steht halb leer; der Eigentümer soll schon viel Geld verloren haben. Niemand will hier wohnen – wegen permanenter Angriffe durch Autonome. Farbbeutel, eingeschlagene Scheiben, Pöbeleien. Sichtbar auch jetzt: Im Erdgeschoss hat jemand alle Fenster mit einem schweren Gegenstand zertrümmert. «Bonzen sind hier unerwünscht – das ist die Botschaft», heisst es aus der autonomen Szene.

Uwe Frers, 42, findet solche Sprüche absolut inakzeptabel. «Die können doch nicht diktieren, wer in Kreuzberg wohnen darf», enerviert sich der Berliner Internetunternehmer. Frers, schwarzer Pullover, Dreitagebart, ist so etwas wie der Chronist der linken Brandstiftungen in Berlin.

Auf seiner Website www.brennende-autos.de rapportiert er täglich, wo es gebrannt hat. Eine Karte zeigt die Geografie des Feuers: Nicht in den noblen Vororten im Westen, wo die meisten Mercedes- und Porsche-Besitzer wohnen, sind die Brandstifter unterwegs. Es brennt vor allem in Kreuzberg und in umliegenden Bezirken. Auslöser für das Projekt war ein, wie Frers sagt, «trauriges Ereignis». Vor drei Jahren spazierte er in der Mittagspause durchs Quartier. Am Ufer des Landwehrkanals: zwei ausgebrannte Autos, ein ausgebrannter Roller. Es stank nach verbranntem Gummi. «Ich war entsetzt», so Frers.

Ein Praktikant seiner Firma durchforstete daraufhin das Polizeiarchiv, eine Website war schnell programmiert. Seither bildet Brennende-autos.de die Lage ab. Wie an einer Front. 510 Brandanschläge haben Frers und seine Kollegen schon gezählt. Am häufigsten brennen Mercedes (113), VWs (67) und BMWs (55). Einen richtigen Feuersturm gab es zwischen Weihnachten und Neujahr. Seit Silvester blieb es verhältnismässig ruhig. Ein Zufall, wie Frers glaubt. Oder: eine Folge des kalten Wetters. Berlin und mit ihm sämtliche parkierten Autos liegen unter einer dicken Schneeschicht.

Kulinarische Versöhnung

Das Klima der Unsicherheit bleibt ohnehin – auch wenn es einmal ein paar Tage lang nicht brennt. Eigentlich absurd, wie Unternehmer Frers erläutert. Berlin zeichne sich gerade dadurch aus, dass es eine tolerante Metropole sei. «Aber gerade die, die davon am meisten profitieren, kämpfen dagegen.» Frers jedenfalls würde einem Porsche-Fahrer nicht mehr empfehlen, sein Auto in Kreuzberg abzustellen. Auch ein allfälliger Wohnungskauf will gut überlegt sein. «Wer hier kauft, kauft Ärger», steht schwarz auf einer Fassade im Quartier. Unweit davon hat jemand die Forderung hingekritzelt: «Immobilienhaie zu Fischstäbchen».

Besorgt zeigt sich inzwischen der Verfassungsschutz. Im November veröffentlichte er erstmals eine Studie zum Thema «Linke Gewalt in Berlin». Auf dem Titelbild sieht man zwei Feuerwehrleute, die ein brennendes Auto einschäumen. Tenor der Studie: Berlin sei besonders stark von linker Gewalt betroffen, Tendenz steigend. 835 Delikte haben die Verfassungsschützer gezählt in den vergangenen Jahren, darunter Brandanschläge auf staatliche Einrichtungen, demolierte Autos, Gewalt gegen Polizisten. Als Reaktion soll die linke Szene künftig stärker überwacht werden. Innensenator Körting fordert zudem ein Umdenken in der Gesellschaft. Es gebe einen Konsens, dass rechte politische Gewalt nicht hinzunehmen sei, so der Innensenator. «Jetzt gilt es, einen ähnlich demokratischen Konsens auch in der Ausgrenzung links motivierter Gewalttäter zu erzielen.»

Freilich gibt es auch Hoffnung: Eine Versöhnung zwischen dem kapitalistischen Erzfeind und den linken Aktivisten ist möglich. Sie geht durch den Magen. So geschehen bei der McDonald’s-Filiale in Kreuzberg. Als der Fast-Food-Konzern seine erste Niederlassung im Quartier plante, gab es wütenden Widerstand. Anwohner organisierten Protest-Picknicks mit Gurkenstäbchen und Vollkornbrot. Noch während der Bauphase flogen Steine und Farbbeutel. Ein Arbeiter wurde bedroht. McDonald’s liess sich nicht einschüchtern und brät seine Hamburger seit gut zwei Jahren auch in Kreuzberg. Die einst so ungeliebte Filiale gilt inzwischen als eine der bestbesuchten der ganzen Stadt.

* Name geändert.


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