Recht auf Stadt – Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt

von Andrej Holm, link_ikon gentrificationblog.wordpress.com

Erschienen als:
Holm, Andrej (2009): Recht auf Stadt – Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. In: Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e.v. (Hrsg.): Die Stadt im Neoliberalismus. Erfurt: RLS/Gesellschaftsanalyse, 27- 37.


Ziel der Veranstaltungsreihe „Die Stadt im Neoliberalismus“ war nicht nur eine Bestandsaufnahme verschiedener Tendenzen einer neoliberalen Stadtentwicklung sondern auch die Vorstellung von Alternativen und die Diskussion zu den Möglichkeiten von sozialen Bewegungen in städtischen Kontexten.

Unter dem Stichwort „Right to the City“ („Recht auf Stadt“) konstituieren sich weltweit neue städtische Protestbewegungen, die gegen die neoliberale Hegemonie eigene Ansprüche in den städtischen Entwicklungen einfordern. Inhaltlich geht die Forderung nach einem „Recht auf Stadt“ auf den französischen Soziologen Henri Lefebvre zurück, der schon in den 1960er Jahren das “Recht auf Stadt” als eine “Recht auf den Nichtausschluss” von den Qualitäten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft konzipierte (Lefebvre 1990: 160). Das Verständnis von Stadt bleibt bei Lefebvre jedoch nicht auf der physisch-materiellen Ebene städtischer Infrastrukturen stehen, sondern schließt die Ebenen einer Repräsentatione des Städtischen mit ein. Gemeint sind damit alle Formen des diskursiven und instrumentellen Entwurfs künftiger städtischer Entwicklungen. Recht auf die Stadt – so ließe sich dieses Verständnis zusammenfassen – beschränkt sich nicht auf die konkrete Benutzung städtischer Räume, sondern umfasst ebenso den Zugang zu den politischen und strategischen Debatten über die künftigen Entwicklungspfade. Neben den praktischen Ausschlüssen thematisiert die “Right to the City”-Forderung also auch die Beteiligungsformen an der Diskussion um die künftigen Schwerpunkte der Stadtentwicklung. Diese inhaltliche Breite hat das „Right to the City“ zu einer attraktiven und vielfach aufgegriffenen Legitimationsformel für städtische Protestbewegungen werden lassen.

Doch städtische soziale Bewegungen lassen sich nicht auf eine Parole oder Forderung verkürzen, sondern begleiten mit unterschiedlichen Zielen, Organisationsmodellen und Aktionsformen die Geschichte der kapitalistischen Urbanisierung seit den Jahren der Industrialisierung. Im Beitrag will ich versuchen einige Erfahrungen aus der sehr wechselhaften Geschichte der städtischen Proteste zu skizzieren, die für heutige Auseinandersetzungen von Interesse sein könnten. Ich werde daher im ersten Abschnitt die Geschichte der städtischen Kämpfe kurz umreißen, in einem zweiten Abschnitt auf die als „social urban movements“ bezeichneten sozialen Auseinandersetzungen in den Städten Westeuropas und Nordamerikas seit den 1960er Jahren eingehen, um in einem dritten Abschnitt die aktuellen Bewegungsansätze vorzustellen. Im abschließenden vierten Abschnitt des Textes werde ich versuchen, aus den historischen und internationalen Erfahrungen einige Perspektiven für eine stadtbezogenen Protestpraxis in der Bundesrepublik zu entwickeln.

1. Moralische Ökonomie in städtischen Kämpfen des 19. Jahrhunderts
Ohne hier tiefergehend auf die Beschreibung des sozialen Elends bei der Herausbildung einer kapitalistischen Wirtschaft einzugehen, sei dennoch auf die dramatischen Verstädterungsprozesse verwiesen, die mit der Entstehung der Manufakturen und später der Industrien einhergingen. Millionen von Landarbeiter/innen wurden in die Fabriken und Städte gezwungen, weil unter dem Diktat des Eigentums die bäuerlichen Existenzbedingungen zerstört wurden. Der britische Sozialhistoriker Edward P. Thompson hat mit seinem Hauptwerk „The making of the English working-class” (Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse) eine eindrucksvolle Beschreibung der damaligen Lebensverhältnisse und Überlebenskämpfe vorgelegt. Folgt man seinen Beschreibungen dann war der Urbanisierungsprozess fast das gesamte 18. und 19. Jahrhundert von sozialen Unruhen und Aufständen begleitet (Thompson 1980). Die Herausbildung der großen Städte bedeutete zugleich, dass mit der Stadt ein neuer Ort und Gegenstand von sozialen Protesten entstand. Insbesondere Hungerrevolten und Marktaufstände waren Reaktionen auf die katastrophale Versorgungslage der ausgebeuteten Proletarier/innen. Thompson beschreibt diese Empörung über die unerträglichen Lebensverhältnisse als „Rebellion des Bauches“ (Thompson 1980: 67), deutet die Aufstände aber in einem größeren Kontext als Proteste gegen die ursprüngliche Akkumulation und die Unterwerfung unter die Zwänge der kapitalistischen Industrieproduktion. Für seine Perspektive als Sozialhistoriker von besonderem Interesse waren die Motivationen und moralischen Begründungen der Unruhestifter/innen. Nach der Analyse von Dutzenden Beispielen erlangt er zu der Überzeugung: „In fast jeder Aktion der Volksmenge im 18. Jahrhundert können wir Legitimationsvorstellungen entdecken“ (Thompson 1980: 69). Als wesentliche Mobilisierungsressource der „erste Generation mobilisierter Proletarier“ beschrieb Thompson das „Sozialrecht der Dorfgemeinschaften“, welches noch nicht Vergessenheit geraten war. Dabei ging es insbesondere um ein Bewusstsein, traditionelle Rechte und Gebräuche zu verteidigen und sich auf eine breite Zustimmung des Gemeinwesens stützen zu können. Thompson fasst dieses Bewusstsein über traditionelle Rechte als einen „Volkskonsens“ auf und zeigt an vielen Beispielen, dass dieser teilweise auch durch Freiräume der Obrigkeit gewährt oder bekräftigt wurden. Konkret bezogen auf die Hungerrevolten, die sich oftmals an den zu hohen Preisen auf den Lebensmittelmärkten entzündeten, beschreibt er einen „volkstümlicher Konsens darüber, was auf dem Markt, in der Mühle, in der Backstube legitim und was illegitim sei“. Abstrakter gesprochen handelt es sich dabei um eine moralische Ökonomie, also eine „geschlossene, traditionsbestimmte Auffassung von sozialen Normen und Verpflichtungen und angemessener wirtschaftlicher Funktionen“ (Thompson 180:100). Die Aktionen und Unruhen interpretiert Thompson als Aktionen der Einschüchterung zur Wiederherstellung einer moralischen Ordnung: „Männer und Frauen, die dem Verhungern nahe waren griffen Mühlen und Kornspeicher an, nicht etwa um Nahrungsmittel zu stehlen, sondern um die Besitzer zu strafen“ (ebenda: 104). An anderer Stelle heißt es ähnlich: „Die Armen wussten, dass der einzige Weg, die Reichen zum Nachgeben zu bringen, darin bestand, ihnen den Arm umzudrehen“ (ebenda: 106). Die Historikerin Karin Hausen ging in ihren kritischen Ansätzen zu einem historischen Forschungsansatz sogar soweit, dieses „Gewaltpotential“ zum Definitionskriterium für die sozialen Proteste der frühen Industrialisierung/Urbanisierung zu erheben: Soziale Proteste, so fasst sie zusammen sind „illegale Mittel und Wege, um kollektiv erkannte Interessen gegenüber herrschenden und privilegierten Gruppen anzumelden und durchzusetzen“ (Hausen 1977).

Auch der Historiker Eric Hobsbawm widmet seine Studien zu „Revolution und Revolte“ (Hobsbawn 1977) den Großstädten als Orten des Aufstandes und verweist auf ein eigenes Argument, die Fülle an städtischen Unruhen zu erklären. Seine Begründung für städtischen Aufstände ist zunächst überraschend phänomenologisch: Städte seien Orte „an dem Arme dicht beieinander wohnen“ und „gleichzeitig Sitz der Macht“ (Hobsbawn 1977: 302). Dies habe enorme Auswirkungen auf die Mobilisierungsfähigkeit (dichte Besiedlung, homogene Erfahrungswelten, zentrale Plätze/Einrichtungen) und die Wirksamkeit (Sitz von Regierungen, Reichenviertel, zentralen Infrastruktureinrichtungen) von städtischen Protesten. Doch allein aus den geografischen und baulichen Gegebenheiten heraus will auch Hobsbawn die urbanen Revolten nicht erklären. Am Ende seines lesenswerten Bandes stellt er noch einmal klar: „Revolutionen entstehen aus der politischen Situation und nicht, weil sich ein paar Städte von ihrer Struktur her gut für einen Aufstand eignen“ (Hobsbawn 1977: 320).

Doch nicht nur die Durchsetzung der neuen ökonomischen Verhältnisse, sondern auch die städtische Lebensbedingungen selbst wurden zum Gegenstand der sozialen Kämpfe. Insbesondere Proteste gegen Mietwucher, Räumungskrawalle und Mietstreikkampagnen begleiteten die Phasen der kapitalistischen Urbanisierung. So bieten die häufigen Wohnungsräumungen in Folge der ungesicherten rechtlichen Verhältnisse der Mieter/innen – Mietverträge, wenn es sie überhaupt gibt, konnten oft ohne Gründe und Kündigungsfristen aufgekündigt werden – in fast allen Städten Anlass zu spontanen und oft gewalttätigen Solidarisierungen mit den betroffenen Familien (siehe Rada 1991). In Reaktion auf die Verschärfung der Wohnungsnot nach dem 1. Weltkrieg etablierten sich in vielen europäischen Großstädten Formen der öffentlichen Regulation des Wohnungsmarktes. Mit Zwangsabgaben für Wohnungseigentümer, Mietpreisbindungen und öffentlichem Wohnungsbau wurden marktfernen Elementen der Wohnungsversorgung durchgesetzt (Ruck 1988). Mit dieser Zunahme an staatlichen und kommunalen Interventionen in den Wohnungsmarkt einher geht die Institutionalisierung städtischer Auseinandersetzungen – statt spontaner Proteste steht nun immer öfter der Kampf um politische Mehrheiten im Vordergrund. Mit dieser Zunahme an staatlichen und kommunalen Interventionen in den Wohnungsmarkt einher ging die Institutionalisierung städtischer Auseinandersetzungen – statt spontaner Proteste stand immer öfter der Kampf um politische Mehrheiten im Vordergrund.

2. Städtische Protestbewegungen nach 1968
Mit den gesellschaftlichen Aufbrüchen der 68er Bewegung und ihren Kritiken an der autoritären Formation von Staatlichkeit entstehen auch neue städtische Bewegungen. Unter dem Begriff der urban social movements (städtische soziale Bewegungen) zusammengefasst werden vielfältige Initiativen und Bewegungsansätze, die sich stärker als die frühen städtischen Proteste Fragen der sozialen Gerechtigkeit mit Partizipationsansprüchen koppeln. Im Vordergrund stehen nicht mehr in erster Linie die unzumutbaren Lebens- und Wohnverhältnisse, sondern eine Kritik an den bürokratischen und autoritären Formen der Stadtplanung und der Zerstörung nachbarschaftlicher Strukturen. Manuel Castells fasst die Zielkoordinaten der urban social movements mit den drei Zielen kollektive Konsumption, kulturelle Identität und politische Selbstbestimmung zusammen (Castells 1983). Der Begriff der kollektiven Konsumption steht dabei für die Gesamtheit der städtischen Infrastrukturen und öffentlichen Dienstleistungen, zu denen der Zugang auch in der fordistischen Phase der Stadtentwicklung keineswegs gleichermaßen für alle soziale Gruppen der Städte offen war.

Seit den 1960er Jahren jedoch haben sich die Rahmenbedingungen der Urbanisierung mehrfach verändert. Dies spiegelt sich in den Themensetzungen, Forderungen, Akteurszusammensetzungen und Organisationsweise der sozialen Bewegungen in Städten wider. Um die aktuellen Bewegungsansätze rund um das „Right to the City“ Konzept zu analysieren, lohnt sich also ein Blick zurück in die Geschichte. Die Politikwissenschaftlerin Margit Mayer hat verschiedene Wellen der urban social movements beschrieben (Mayer 2008).

Für die Phase der der 1960/70er Jahre – also der Krise des Fordismus – sieht sie eine Verschiebung der politischen Protestbewegung von Fabrik in die Stadt, die Manuel Castells als Kombination aus Klassenkampf, Community und Solidarität beschrieben hat (Castells 1983). Losungen wie das „Wir wollen alles“ der italienischen Autonomiebewegungen stehen für progressive und emanzipative Alternativen der Stadtentwicklung aber auch für die Forderung nach einem uneingeschränkten Zugang zu den Wohlfahrtsleistungen des Sozialstaates für alle.

In den 1980er Jahre – also mit der neoliberalen Transformation – sind städtische Proteste durch eine Mischung von alten (Arbeitslosigkeit, Armut, Segregation) und neuen Themen (Wohnungspolitik, Hausbesetzungen, Freiräume) geprägt. Margit Mayer verweist zudem auf eine Mittelklassedominanz in den Bewegungen, die zu neuen Aufspaltungen führt: insbesondere zwischen denen, die durch die Proteste gesellschaftlichen Einfluss erlangen konnten und den in den neuen Partnerschaften Ausgegrenzten. Während dies auf der einen Seite zu Radikalisierungen führte, etwa in den oft militant geführten Hausbesetzungsbewegungen – veränderte sich für viele das Verhältnis zum Lokalstaat, der sich vor allem angesichts nationalstaatlicher Kürzungspolitiken in den Augen vieler vom Gegner zum Partner wandelte. Diese neue Form der Institutionalisierung von Protestbewegungen wird von Margit Mayer sehr plastisch in der Metapher „vom Protest zum Programm“ beschrieben.

Seit den 1990er Jahren und dem Übergang zu einem „roll-out-Neoliberalismus“ sind soziale Bewegungen in den Städten mit kommunalen Institutionen konfrontiert, die bewegungsnahe Verfahren (z.B. Partizipationsverfahren) zur Optimierung des Regierens in ihr eigenes Handeln übernehmen. Insbesondere die scheinbar mühelose Integration linker Bewegungsmuster/Forderungen in die Entwicklungsvisionen der Stadtregierungen hat auch die Ausgangsbedingungen für städtische Protestbewegungen verändert. Linke Stadtpolitik orientiert sich nun stärker an den sozialen Rändern der städtischen Gesellschaften und setzt auf eine Aktivierung der städtischen Unterklassen. Schwerpunkte der Aktivitäten sind oftmals Anti-Gentrification-Kämpfe, Kämpfe um Teilhabe insbesondere von marginalistisierten Gruppen und Auseinandersetzungen um die zunehmende Privatisierung und Überwachung öffentlicher Räume. Aktivitäten wie die Innenstadtaktionstage, Reclaim the Streets aber auch die Proteste gegen die Residenzpflicht stehen für diesen Protestzyklos. Typisch für diese Phase städtischer Protestbewegungen sind thematische und personelle Verknüpfung mit den erstarkenden globalisierungskritischen Bewegungen und ein trotz der Randgruppenorientierung gesamtstädtischer Gestaltungsanspruch. Die Forderungen der Proteste wollen nicht geringeres als eine andere Gesellschaft und ihre Losungen lauten: „Wessen Stadt ist die Stadt?“, „Eine andere Stadt ist möglich“ und eben „Right to the City“ (Mayer 2008).

3. Right to the City gegen die neoliberale Stadt
Wie auch in den früheren Phasen der Geschichte sind die Städte auch im Zeitalter des Neoliberalismus Ausdruck, Motor und Arena gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Als zentrale Merkmale einer neoliberalen Neuordnung des Städtischen können der Übergang zu unternehmerischen Stadtpolitiken[1], eine zunehmende Globalisierung der Stadtentwicklung[2] sowie neue Formen des kommunalen Regierens[3] beschrieben werden

Diesen Entwicklungstrends entsprechend werden verschiedene Linien der Mobilisierungen gegen die Neoliberalisierung des städtischen Regierens sichtbar. Zum einen sind Aktivitäten gegen Orientierungen an einer unternehmerischen Stadtentwicklung, Wachstumskoalitionen und Großprojekte (z.B. Anti-Gentrification-Kampagnen, aber auch Widerstand gegen Privatisierung) zu benennen. Daneben sei auf die traditionellen soziale Proteste und Arbeitskämpfe verwiesen, die Fragen der „social urban justice“ thematisieren. Ein weiteres Themenfeld der aktuellen städtischen Protestbewegungen ist die Stadt als Ort der Globalisierung. So formieren sich verschiedenen Aktivitäten um Fragen der Demokratisierung internationaler Investitionen aber auch für die Legalisierung papierloser Migrant/innen (Grell 2007).

Bezeichnend für die neue Generation städtischer Proteste sind Bedingungen, die eine globale Artikulation städtischer Proteste ermöglichen. So koordinieren sich gewerkschaftliche Auseinandersetzungen zum Teil über die Kontinente hinweg, weil auch die Unternehmensstrukturen sich über lokale und nationalstaatliche Grenzen hinweg ausgedehnt haben. Auch Widerstandstrategie gegen eine zunehmende Fondisierung der städtischen Infrastruktur haben oft einen internationalen Charakter, weil die lokalen Lebensbedingungen direkt mit internationalen Finanzkreisläufen werden. Ein anderes Beispiel für die hier beschriebene Internationalisierung städtischer Bewegungen sind die oftmals internationalen Proteste gegen Häuserräumungen von sozialen Zentren oder selbstorganisierten Kultureinrichtungen. So gab es in Reaktion auf die Räumung des für die Szene in Kopenhagen zentralen Ungdomshuset Demonstrationen und zum Teil Straßenschlachten in mehr als 30 Städten in über 10 europäischen Ländern (Birke/Larsen 2008). Auch das seit 1990 besetzte Hausprojekt Köpi in Berlin setzt bei Räumungsdrohungen seit Jahren auf eine internationale Mobilisierung und lädt zu Aktionstagen eine, zu denen Aktivist/innen aus vielen Ländern anreisen und mit der latenten Drohung der Bereitschaft zu einer militanten Hausverteidigung eine Räumung bisher verhindern konnten.

Aktuell stellen sich viele dieser neuen Bewegungsansätze unter den gemeinsamen Rahmen eines Right-to-the-City-Ansatzes. Mit diesem Label erhoffen sich die oft lokal organisierten Protestbewegungen eine Akkumulation der bisherigen single issue Proteste in verschiedenen Konfliktfeldern. Die Forderung nach einem Recht auf die Stadt steht dabei ganz im theoretischen Sinn von Lefebvre für einen Teilhabeanspruch an den städtischen Leistungen, Räumen und Ressourcen. Der Rechtsbegriff der Kampagnen wird dabei weniger auf einen juristisch einklagbaren Anspruch bezogen als vielmehr im Sinne einer Legitimität der Wiederaneignung verwandt. Der Bezug auf die Stadt bietet nicht nur einen räumlichen Fokus der eigenen Aktivitäten und Organisierungsversuche sondern benennt zugleich einen Adressaten der Forderungen. Einen expliziten Bezug auf das „Right to the City“ Konzept haben verschiedenen Initiativen 2006 angesichts „Post-Katrina-Katastrophe des Wiederaufbaus“ in New Orleans (Davis 2005) formuliert. In ihrem Kampf gegen die soziale Säuberung und Aufwertung der Stadt im Zusammenhang mit den Wiederaufbauplänen (Jakob/Schorb 2008) hieß es in einem Grundsatzpapier des Bündnisses: “ We all have the right to remain and return to our cities, to take back our streets and neighbourhoods, and to ensure that they exist to serve people rather than capital. We all have a right to the city”.

Doch auch in anderen US-amerikanischen Städten haben sich in den letzten Jahren stadtpolitische Initiative als “Right to the City”-Kampagnen zusammengeschlossen um die verschiedenen Formen der städtischen Ausgrenzung zu thematisieren und eine “Recht auf Stadt für alle” einzufordern. Die Stadt als Ort und Mechanismus der Ausgrenzung und Integration wird dabei zum Rahmen für die Verbindung von sonst eher getrennt organisierten Sphären sozialer Auseinbandersetzungen. Im Januar 2007 gründeten Basisaktivist/innen, Stadtforscher/innen und Anwält/innen eine landesweite „Right to the City Alliance“ (RTTC) und versuchen stadtbezogenen Proteste und Forderungen zu koordinieren (siehe http://www.righttothecity.org/). Konkrete Dimensionen der Forderungen nach einem Recht auf die Stadt sind in den gemeinsamen Prinzipien formuliert. Gefordert werden unter anderem ein Recht auf Wohnen (und Landnutzung) frei von Marktspekulation und zur Förderung der Nachbarschaftsstrukturen, nachhaltiger lokaler Ökonomien und kultureller sowie politischer Räume; ein Recht auf dauerhaftes öffentliches Eigentum für öffentliche Nutzungen; ein Recht auf ökonomische Gerechtigkeit; ein Recht auf ökologische Gerechtigkeit (insbesondere Lebens- und Umweltqualitäten an Wohn- und Arbeitsplätzen); ein Recht auf Unversehrtheit vor Polizei- und Staatsgewalt sowie Einwanderungsrechte; das Recht auf öffentliche Dienstleistungen (insbesondere zur Unterstützung der sozialen und kulturellen Integrität der Nachbarschaften) und ein Recht auf Teilhabe und Mitbestimmung an städtischen Planungsprozessen. Aus einer bewegungstheoretischen Perspektive bietet der “Right to the City” Ansatz die Möglichkeit, die fragmentierten Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen in Städten in einen gemeinsamen Rahmen zu stellen und die Auseinandersetzung um verschiedene Formen der Benachteiligung mit einander zu verbinden.

In Europa wurde der Ansatz unter anderem von der International Alliance of Inhabitants (IAI) (http://eng.habitants.org/) aufgegriffen, die sich mit einer internationalen Kampagne gegen Zwangsräumungen („Zero-Eviction-Campaign“) vor allem auf den Bereich der Wohnungsversorgung konzentriert. Im Zentrum stehen Forderungen nach einem uneingeschränkten Zugang zur Wohnungsversorgung für marginalisierte Gruppen („Recht auf Wohnen“), die Unterstützung bei der Aneignung preiswerter Wohngelegenheiten durch Hausbesetzungen und bei Auseinandersetzungen um den Erhalt von Nachbarschaften gegen Abriss und Kommerzialisierung sowie die Forderung nach einer sozial orientierten Wohnungspolitik in Europa.

In den stadtpolitischen Debatten in der BRD wird das Konzept bisher nur als Parole, jedoch noch nicht als Organisationsansatz aufgegriffen. Zwar luden im vergangenen Jahr gleich mehrere größere Konferenzen und Tagungen unter dem Motto „Right to the City“ ein[4] doch trotz einer Zunahme an lokalen Initiativen gegen städtische Umstrukturierungen und Wohnungsprivatisierungen[5] gibt es bisher noch kein übergreifendes Netzwerk für städtische Protestbewegungen.

4. Vom Right to the City zur Visionen eines kommunalen Sozialismus
Als Bestandteil der lokalen „Right to the City Alliance“ hat die Organisation Tenants & Workers United (TWU) in Virginia (http://www.tenantsworkers.org) ein mögliches Programm für einen kommunalen Sozialismus erarbeitet. Die Forderungen und Vorschläge beziehen sich dabei konsequent auf die kommunale Ebene der Staatlichkeit. Jon Liss und David Staples stellten im letzten November auf der „Right to the City“ Konferenz in Berlin die Konturen ihres Programms vor und zeigten, dass sich im Rahmen der „Right to the City“ Kampagnen im Gegensatz zu traditionellen Organisationsansätzen neue Mehrheitsbewegungen (majority movements) aufbauen lassen. Mit dem Zusammenschluss zu solchen majority movements sollen die Beschränkungen von traditionellen und oft marginalisierten Organisationsansätzen verschiedener Minderheiten aufgebrochen werden (Liss/Staples 2008). Ihr Programm eines kommunalen Sozialismus beschreiben sie als einen von vielen möglichen Wegen, das Recht auf Stadt in die Praxis umzusetzen. Eine zentrale Forderung dabei bezieht sich auf eine kommunale Kontrolle der öffentlichen Finanzen. Damit verbunden ist die Einrichtung von öffentlichen Kontrollgremien, die bei der Vergabe öffentlicher Gelder sicherstellen sollen, dass diese Gelder für vernünftige Zwecke ausgegeben werden und mit den daraus gezahlten Gehältern ein Überleben tatsächlich möglich ist. Auch bereits bekannte Elemente finden sich in dem Programm wieder, wie die partizipativen Haushalte, über deren Vergabe basisdemokratisch entschieden wird. In den Vorstellungen des lokalen Sozialismus sollen die kommunalpolitischen Ressourcen der Verwaltungen zur Organisation gegen das globale Kapital genutzt wird. Dabei gehen die Aktivist/innen von TWU davon aus, dass linke Stadtregierungen sich den Zwängen der internationalen Finanzmärkte nicht voll entziehen können, aber sie können – so die Forderung – ihre Infrastruktur den sozialen Bewegungen zur Verfügung stellen. Im Sinne einer bewussten Förderung von Minderheiten sollen darüber hinaus die Städte Verantwortung bei der Versorgung von Minderheiten mit öffentlichen Jobs übernehmen. In einem ganz ähnlichen Mechanismus soll ein neuer kommunaler Konsens hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse farbiger Frauen aufgebaut werden. Bezogen auf die Wirtschaftspolitik beschränkt sich der Sozialismus der TWU auf die Förderung von Kooperativen im Produktionssektor und genossenschaftlichen Wohnprojekten. Ungleich weitgehender und dennoch praktikabel ist die Forderung zur Einrichtung von Immigrant Sanctuary Zones (Schutzzonen für Migrant/innen), in denen es den Polizeikräften und öffentlichen Verwaltungen explizit untersagt wird, die nationalstaatlichen Behörden bei der Durchsetzung von Einwanderungs- und Aufenthaltsbestimmungen zu unterstützen (siehe Grell 2008). Komplettiert wird das Programm des kommunalen Sozialismus um die Forderungen nach lokalen Festlegungen zu Arbeitszeitverkürzungen und Programmen zu einer ökologischen Erneuerung der Stadt (Liss/Staples 2008).

Auch wenn viele der Forderungen sich explizit auf US-amerikanische Verhältnisse beziehen und sich nicht einfach auf die Verhältnisse hierzulande übertragen lassen, aus den organisatorischen und politischen Ansätze der Right to the City Bewegungen können dennoch einige Impulse für stadtpolitische Initiativen hier gewonnen werden. So zeigt die relative Präsenz der Protestbewegungen, dass eine (Re)Politisierung der Stadtentwicklung ist möglich ist. Vor allem wenn es gelingt, verschiedene Themenfelder zu verknüpfen und neue Mehrheitsbündnisse zu bilden. Inhaltlich orientieren sich die Forderungen nach einem Recht auf die Stadt an einer Wiederaneignung der Stadt und ihrer Versprechen für die zurzeit davon ausgeschlossenen. Solch ein Protagonismus der Ausgegrenzten könnte zu einem Ausgangspunkt und Kriterium einer linken Stadtpolitik werden – doch um den Preis, eine solche Parteilichkeit in den Forderungen auch politisch vertreten zu müssen. Die damit verbundenen Umverteilungen werden im System der Parteiendemokratie kaum Unterstützung finden, weil Orientierungen an den Benachteiligten in der Regel keine parlamentarischen Mehrheiten finden. Eine Entwicklung hin zu einer anderen Stadtentwicklung wird daher immer nur so stark sein, wie die Basisbewegungen, die sie durchsetzen wollen. Aus den Erfahrungen der städtischen Proteste in der Vergangenheit und in anderen Ländern erscheint eine Orientierung an möglichst breiten Bündnissen und möglichst vielfältigen Aktionsformen – von administrativen Lösungsvorschläge über Massenproteste bis hin zu konkreten Wiederaneignungen und direkten Aktionen – das Gebot der Stunde zu sein.

Literatur:

Birke, Peter; Larsen, Chris Holmsted (2008): Besetze deine Stadt! – BZ din by! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen, Berlin, Assoziation A.
Castells, Manuel (1983): The City and the Grassroots, London, Edward Arnold.
Davis, Mike (2005): Gentrifying Disaster, In: Mother Jones, 25.10.2005 (http://www.motherjones.com/commentary/columns/2005/10/gentrifying_disaster.html, zuletzt aufgerufen am 19.01.2009).
Grell, Britta (2007): Immigrant Rights Campaigns. Transnationale Migranten als Träger neuer städtischer sozialer Bewegungen in den USA, In: Prokla, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 149, 37. Jg., 2007, Nr. 4, 579-595.
Harvey, David 1989: From managerialism to entrepreneurialism: The transformation in urban governance in late capitalism, In: Geografiska Annales, B, Vol. 71, No. I, 3-18.
Hobsbawn, Eric 1977: Revolution und Revolte. Aufsätze zum Kommunismus, Anarchismus und Umsturz im 20. Jahrhundert, Frankfurt/M., Suhrkamp.
Jakob, Christian; Schorb, Friedrich (2008): Soziale Säuberung. Wie New Orleans nach der Flut seine Unterschicht vertrieb, Münster, Unrast Verlag.
Jessop, Bob (1997): The Entrepreneurial City: Re-Imaging Localities. Redesigning Economic Governance, or Restructuring Capital? In: Jewson, Nick; MacGregor, Susanne (eds.): Transforming Cities. Contested Governance and new Spatial Divisions. London: Routledge, 1997, S. 28-41.
Lefebvre, Henri (1990): Die Revolution der Städte, Frankfurt/M., Hain.
Liss, Jon; Staples, David (2008): New Folks on the Historic Bloc – Worker Centers and Municipal Socialism, Vortrag auf der „Right to the City Konferenz“, 7. November, Berlin.
Mayer, Margit (2008): Shifting Mottos of Urban Social Movements, Vortrag auf der „Right to the City Konferenz“, 7. November, Berlin.
Ruck, Michael (1988): Die öffentliche Wohnungsbaufinanzierung in der Weimarer Republik, In: Schildt, Axel; Sywottek, Arnold (Hg.): Massenwohnung und Eigenheim. Frankfurt/M., New York: Campus, 150-200
Smith, Neil 1996: The New Urban Frontier: Gentrification and the Revanchist City. New York: Routledge.
Thompson, Edward P. (1980): Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse, Frankfurt a. Main, Suhrkamp Verlag.
Uwe Rada (1991): Mietenreport. Alltag, Skandale und Widerstand, Berlin, Chr.Links.

[1] Als unternehmerische Stadtpolitik werden die Ausrichtung der Stadtpolitik im Rahmen einer interurbanen Raumkonkurrenz, die Ökonomisierung bzw. Verbetriebswirtschaftlichung städtischer Aufgaben und Leistungen sowie eine unternehmerische Orientierung städtischen Agierens im schumpeterschen Sinne einer kreativen Steuerung ökonomischer und administrativer Prozesse verstanden (Harvey 1989; Jessop 1997).

[2] Als Zeichen für die Globalisierung der Stadtentwicklung gelten sowohl die zunehmende Einbettung städtischer Ökonomien in globale Wirtschafts- und Finanzkreisläufe und die Fondisierung der Immobilieninvestitionen als auch die Orientierung von Stadtpolitiken an global verfügbaren Modellen, Leitbildern und Instrumenten oder die Ausrichtung der Stadtentwicklung an globalen Events und globalen Akteuren.

[3] Als neue Formen des Regierens werden insbesondere kommunale Governance-Regimes bezeichnet, die anderes als das klassische Verwaltungsregieren von Partnerschaften mit privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren gekennzeichnet ist. Zudem ist in vielen Städten eine verschärfte Ausgrenzung von als störend empfundenen Bevölkerungsgruppen zu beobachten, die von dem kritischen Geographen Neil Smith treffend als „revanchistischen Stadtpolitik“ (Smith 1996) bezeichnet wurde.

[4] Im April lud der Arbeitsschwerpunkt Stadt und Raum bei der BUKO (http://www.buko.info/index.php?id=20) zu einer Tagung „Right to the City – Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt“ (http://artalk.de/righttothecityuebersicht.pdf) ein, im November fand ebenfalls in Berlin anlässlich des 80. Geburtstages von Peter Marcuse eine „Right to the City Conference“ (http://www.geschundkunstgesch.tu-berlin.de/fachgebiet_neuere_geschichte/menue/veranstaltungen_aktuelles/the_right_to_the_city/) statt.

[5] Verwiesen sei hier auf vielfältige Initiative zu verschiedenen Themen, wie etwa: Anti-Gentrification-Kampagnen in Berlin, Hamburg (http://esregnetkaviar.wordpress.com/, http://wilhelmsburg.blog.de/) und Leipzig (http://www.sozelei.net); Proteste gegen Großprojekte wie MediaSpree (http://www.ms-versenken.org/), Kampagnen um Freiräume und besetzte Häuser (http://wba.blogsport.de/); Anti-Privatisierungs-Kampagnen (http://www.kommunal-ist-optimal.de, http://wgdw.minuskel.de) sowie Antidiskriminierungskämpfe wie etwa gegen die Residenzpflicht von Flüchtlingen (http://nolager.de/blog, http://www.thevoiceforum.org/); soziale Kämpfe vor allem zu Hartz IV (http://www.bag-shi.de) und Kampagnen gegen die Privatisierung öffentlicher Räume und Überwachung (z.B. http://leipzigerkamera.twoday.net). Einen Einblick in verschiedene Stadtteilmobilisierungen und Mieter/innenkämpfe gibt es unter anderem auf dem Gentrificationblog (www.gentrificationgblog.wordpress.com).


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