Klimagipfel in Kopenhagen: «Schande, Farce und Desaster»

Zwischenfall in Kopenhagen: Aktivisten werden von einem Sicherheitsbeamten vom Podium geführt.

vin/sda/ap, ebund, 19.12.2009

Der Klimagipfel in Kopenhagen ist mit einem Mini-Kompromiss zu Ende gegangen. Während manche Politiker das Ergebnis beschönigen, sprechen die Umweltschützer Klartext. Die Reaktionen aus der Schweiz sind geteilt.

Nach einem 13-tägigen Verhandlungsmarathon schlossen die Delegierten der 193 Länder am Samstagnachmittag ihre letzte Plenarsitzung am Klimagipfel in Kopenhagen ab. Wenige Stunden zuvor hatten sie sich auf eine um die ursprünglichen Ziele deutlich abgespeckte und unverbindliche Klima-Übereinkunft geeinigt. Eines der unverbindlichen Ziele ist, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Zahlreiche Länder äusserten heftige Kritik am Ablauf: Dem «Mini-Abkommen» war eine Einigung im kleinen Kreis um die USA und China vorangegangen. Für Beobachter und Experten ist klar: Ein neues Weltklimaabkommen im Kampf gegen die Erderwärmung ist nach wie vor in weiter Ferne.

Der Chef des Uno-Klimasekretariats, Yvo de Boer, wertet den Kopenhagener Gipfel als «Wegbereiter» für weitere Schritte der Weltgemeinschaft gegen den globalen Temperaturanstieg. «Wir können jetzt mit der gewaltigen politischen Energie aus diesem Treffen nach vorn blicken», sagte De Boer zur der Einigung auf ein Kompromiss-Papier. Er erwarte bei den Klimakonferenzen des nächsten Jahres in Bonn und Mexico City die bindenden Klimavereinbarungen, die Kopenhagen nicht gebracht habe. «Natürlich habe auch ich vorher gehofft, dass wir das schon hier erreichen können.» Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach von einem Erfolg.

Für US-Präsident ist die Kopenhagener Klimavereinbarung trotz fehlender verbindlicher Vorgaben zur Reduzierung von Treibhausgasen ein Durchbruch. «Dieser Durchbruch legt den Grundstein für das internationale Handeln in den kommenden Jahren», sagte Obama am Samstag wenige Stunden nach seiner Rückkehr von den Klimaverhandlungen in Washington. Auf diesen Impuls müsse aufgebaut werden - als Ziel für den US-Kongress nannte er die Verabschiedung verbindlicher Einschnitte für den Ausstoss von Schadstoffen. Gegen die globale Erderwärmung müsse mehr getan werden, sagte er.

Klimagipfel faktisch gescheitert
Umweltschützer, Kirchen und Globalisierungskritiker kritisierten das Ergebnis des Klimagipfels dagegen als faktische Scheitern und sprachen von «Schande, Farce und Desaster». Die grossen Verlierer seien das Klima und die Bevölkerung der ärmsten Länder der Erde, erklärten Organisationen wie Greenpeace. Es handle sich um eine Bankrotterklärung der Staats- und Regierungschefs.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac bezeichnete das Ergebnis als «reine Farce». «Kopenhagen war höchstens in Bezug auf das Ausmass seines Scheiterns ein historischer Gipfel», erklärte Attac-Klimaexperte Chris Methmann. «Dies nun mit einem Formelkompromiss noch als Fortschritt verkaufen zu wollen, ist ein Schlag ins Gesicht der Milliarden Menschen, die unter den Folgen des Klimawandels leiden werden, ohne etwas zu seinen Ursachen beigetragen zu haben.»

Greenpeace Schweiz kritisiert, dass ohne definierte Massnahmen das Ziel, die Erderwärmung auf höchstens 2 Grad zu begrenzen, wertlos sei. Die Schweiz müsse ihre CO2-Emissionen um 40 Prozent reduzieren, schreibt Greenpeace in einer Mitteilung.

Greenpeace Deutschland erklärte: «Kopenhagen ist zum Symbol für Politikversagen geworden. Obwohl alle die katastrophalen Gefahren des Klimawandels anerkennen, sind die Politiker unfähig, sich gegen die Interessen ihrer Industrien durchzusetzen und entschieden dagegen anzugehen.» Hauptverantwortlich seien die Staaten mit dem grössten CO2, allen voran die USA und die EU, aber auch China und Indien.

Reaktionen aus der Schweiz
Die Urteile in der Schweiz über den Klimagipfel sind geteilt. Parteien und Organisationen sind sich einig, dass das Klimaproblem nur international zu lösen ist. Darüber, welche Schritte die Schweiz von sich aus unternehmen sollte, gehen die Meinungen auseinander. Die einzelnen Staaten seien nun gefordert, dass mindestens der beschlossene Minimalkonsens eingehalten werde, schreibt die SP in einer Mitteilung. Für die Schweiz fordert die Partei eine Absenkung des CO2-Ausstosses um mindestens 30 Prozent bis 2020. Die SP setzt dabei auf ihre Initiative «Neue Arbeitsplätze dank erneuerbaren Energien», die sie Anfang nächstes Jahr lancieren will.

Auch die FDP bedauert, dass in Kopenhagen keine verbindlichen Ziele festgelegt werden konnten. Für die Schweiz spricht sich die Partei für eine CO2-Reduktion um 20 Prozent aus, allerdings nur im Zusammenhang mit einem internationalen Abkommen, wie sie in einer Mitteilung schreibt. Das Klimaproblem könne nur in internationaler Kooperation gelöst werden. Dort sieht auch die CVP das Problem: Ein anderes Resultat sei in Kopenhagen nicht zu erwarten gewesen, wenn sich die USA und China nicht einigen könnten, sagte CVP-Sprecherin Alexandra Perina-Werz

Hohe Forderungen
«Extreme» Enttäuschung herrscht bei den Grünen, wie Parteipräsident Ueli Leuenberger auf Anfrage sagte. Die Partei stellt nun hohe Forderungen: Statt wie vom Bundesrat geplant eine Senkung des CO2-Ausstosses um 20 Prozent müsse die Schweiz 40 Prozent erreichen. Im Unterschied zu den Ländern des Südens habe die Schweiz das Geld und die Technologie, beim Klimaschutz voranzugehen.

Dies sieht SVP-Präsident Toni Brunner anders: Die wichtigsten Verursacher wie die USA, China oder Indien hätten ihren Beitrag nicht geleistet, sagte er auf Anfrage. Nun dürfe auch die Schweiz «nicht reinschiessen». «Wenn wir einseitig unsere Wirtschaft und den Verkehr belasten, verteuert dies die Binnenwirtschaft gegenüber dem Ausland.»

Auch der Wirtschaftsdachverband economiesuisse steht auf die Bremse: Die Schweiz müsse wie bisher auf die bewährten Instrumente setzen und in Abstimmung mit dem Ausland handeln, forderte Urs Näf, Klimaspezialist bei economiesuisse. Die Forderung, bis 2020 den CO2-Ausstoss allein im Inland um 30 Prozent zu senken, sei zu extrem.


Grundzüge der Klimavereinbarung


Eine Gruppe von 30 Staats- und Regierungschefs hat sich am Freitag auf dem UN-Gipfel in Kopenhagen auf einen Minimalkonsens zum Klimaschutz geeinigt. Im Folgenden einige Grundzüge der nichtbindenden Einigung, die bislang bekannt wurden:

Ausstoss von Treibhausgasen:

Der Text verpflichtet kein Land auf bestimmte Emissionsbeschränkungen, sondern enthält lediglich das allgemeine Bekenntnis, dass die globalen Temperaturen im Rahmen dessen bleiben sollen, worauf sich führende Staaten bereits im Juli verständigt hatten. Für Industriestaaten enthält der Text keine allgemeinen Minderungsziele. Die bereits vereinbarten Emissionskürzungen bleiben weit hinter jenen zurück, die nötig wären, um potenziell gefährliche Folgen des Klimawandels zu verhindern. Folgende Reduzierungen des Ausstosses von Treibhausgasen sollen bis 2020 greifen:

Für die USA gilt demnach eine 17-prozentige Reduzierung gegenüber dem Stand von 2005 (oder drei bis vier Prozent gegenüber 1990). China strebt eine Reduzierung im Verhältnis zur Industrieproduktion von 40 bis 45 Prozent an, gemessen am Stand von 2005. Indien will die Emissionen um 20 bis 25 Prozent verglichen mit 2005 kürzen. Die EU will die Emissionen um 20 Prozent, möglicherweise sogar 30 Prozent gegenüber 1990 kürzen. Japan will seine Emissionen um 25 Prozent gegenüber 1990 reduzieren.

Kontrolle:

Länder sollen ihr Vorgehen auflisten, mit dem der Ausstoss von Treibhausgasen um eine bestimmte Menge begrenzt wird. Um die Kürzungen zu verifizieren, verständigt man sich auf eine Methode.
Industriestaaten, die bereits unter das Kyoto-Protokoll von 1997 fallen - also nicht die USA - lassen ihre Emissionskürzungen überwachen. Verfehlen sie sie, drohen Sanktionen.

Finanzierung:
Reiche Staaten bringen bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar auf, um ärmeren Staaten bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels wie etwa Dürren und Überschwemmungen zu helfen. Dies ist abhängig von einer umfassenderen Vereinbarung, zu der auch eine Überwachung der chinesischen Emissionen zählt.
Kurzfristige Zahlungen von etwa 30 Milliarden Dollar über drei Jahre ab 2010, um Entwicklungsstaaten bei der Anpassung an den Klimawandel und dem Wechsel zu sauberer Energie zu helfen. ap



Fauler Kompromiss in Kopenhagen?
vin/sda/ap, ebund, 19.12.2009

Der Uno-Generalsekretär Ban Ki-Moon spricht von «einem Anfang» in Kopenhagen. Umweltschützer und Politiker sind teilweise bestürzt über den Ausgang des Klimagipfels.

Mit einem Formelkompromiss in letzter Sekunde hat die Weltgemeinschaft den Klimagipfel von Kopenhagen vor einem völligen Scheitern bewahrt. Die UN-Konferenz rang sich am Samstagmorgen in einem dramatischen Finale durch, eine politische Schlusserklärung zur Zukunft des weltweiten Klimaschutzes zumindest zur Kenntnis nehmen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einem Erfolg. Bundesumweltminister Norbert Röttgen zeigte sich jedoch ernüchtert vom Ergebnis der zweiwöchigen Konferenz.

«Das ist viel weniger als gedacht», sagte der CDU-Politiker am Samstagmittag. «Aber das ist jetzt die Basis, die man in konkrete Politik einführen kann. Es ist ganz wichtig, jetzt den Blick nach vorn zu richten.» Schon in der Nacht hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt, sie trage die Vereinbarung nur mit «gemischten Gefühlen» mit.

Merkel hatte den «Copenhagen Accord» (Vereinbarung von Kopenhagen) zusammen mit 25 Staats- und Regierungschefs wie US-Präsident Barack Obama und dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao in stundenlangen Gesprächen am Freitag ausgehandelt. Das Papier enthält die zentrale Forderung Deutschlands: Die Erwärmung der Erde soll auf weniger als zwei Grad im Vergleich zu vorindustrieller Zeit begrenzt werden.

Keine verbindlichen Emissionsziele
Ausserdem versprechen die Industrieländer offiziell den Entwicklungsländern Finanzhilfen für den Klimaschutz. Sie sollen zunächst zehn Milliarden Dollar pro Jahr, später bis zu 100 Milliarden Dollar bekommen.

Merkel sagte aber, es sei nicht gelungen, verbindliche Emissionsziele zu vereinbaren. So fehlt die Ansage, dass der Ausstoss von Treibhausgasen bis 2050 halbiert werden muss, obwohl dies als Voraussetzung für das Zwei-Grad-Ziel gilt.

«Die Verhandlungen waren extrem schwierig, und ich muss auch sagen, dass ich das Ergebnis mit sehr gemischten Gefühlen sehe», sagte Merkel in der Nacht. Letztlich habe sie zugestimmt, um ein völliges Scheitern abzuwenden. Der Weg zu dem eigentlich geplanten Weltklimaabkommen, also einem rechtlich verbindlichen UN-Vertrag, sei «noch sehr weit».

«Ein wichtiger Anfang»
Nach dem Abflug der Staats- und Regierungschefs geriet selbst dieser Minimalkonsens noch einmal in akute Gefahr. Im Plenum der 193 Staaten auf der UN-Konferenz regte sich massiver Widerstand gegen die Vereinbarungen der Regierungschefs. Zahlreiche Redner aus Entwicklungsländern übten in einer mehrstündigen Plenarsitzung heftige Kritik, darunter die Vertreter von Tuvalu, dem Sudan, Kuba, Bolivien und Venezuela.

Wegen des offiziellen Widerspruchs konnte das Papier danach nicht mehr als offizielle UN-Entscheidung verabschiedet werden. Schliesslich fand die Konferenzführung die Lösung, das Papier zur Kenntnis nehmen zu lassen.

UN-Generalsekretär Ban betonte, dass es damit wirksam werde und zum Beispiel die versprochenen Gelder fliessen können. «Es mag nicht alles sein, was sich alle erhofft hatten», sagte Ban. «Aber es ist ein Anfang, ein wichtiger Anfang.» Nun bleibe die Aufgabe, ein rechtlich verbindliches UN-Klimaabkommen abzuschliessen. Dies soll frühestens Ende 2010 geschehen.

Nicht der ersehnte Durchbruch
Umweltschutzorganisationen und Beobachter reagierten bitter enttäuscht. «Die Verhandlungen in Kopenhagen haben den ersehnten Durchbruch nicht geschafft», erklärte die deutsche WWF-Expertin Regine Günther. Der Klimagipfel habe sein Ziel nicht erreicht, meinte auch Germanwatch. Misereor sprach von einer «Schande für die Industrieländer», der BUND von einer «Ohrfeige» für Entwicklungsländer.

Der als historisch gewertete Klimagipfel in Kopenhagen war zwei Jahre lang vorbereitet worden. Das ursprüngliche Ziel, dort einen verbindlichen Vertrag zustande zu bekommen, wurde bereits Wochen vorher aufgegeben.

Leuenberger ist verhalten positiv
Der Schweizer Umweltminister Moritz Leuenberger hat die Weltklimakonferenz in Kopenhagen trotz dem mageren Ergebnis verhalten positiv gewürdigt. Klimapolitisch habe man einen Schritt vorwärts gemacht, sagte er am Samstagmittag in einem Interview der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens.

Jene Länder, auf die weltweit mehr als 90 Prozent des CO2-Ausstosses entfielen, hätten sich verbindlich zu einer Absenkung verpflichtet - «zum Teil sehr weitgehend, zum Teil zu wenig weitgehend wie die USA». Und dies gelte schon etwas. Als eher betrüblich bezeichnete Leuenberger jedoch die Tatsache, dass eine gigantische Organisation wie die Vereinten Nationen offensichtlich nicht in der Lage sei, «hier einen Konsens zu schaffen». Da müssten vermutlich andere Regeln gefunden werden.

Zudem hätten auch politische Masslosigkeiten, wie sie zum Beispiel zwischen Venezuela und den Vereinigten Staaten zum Ausdruck gekommen seien, die Konferenz belastet. Aus Sicht von Leuenberger wäre trotz dem schwierigen Verhandlungsverlauf eine allumfassende Lösung möglich gewesen. Nun aber müsse man nüchtern feststellen, dass die Konferenz nicht so viel gebracht habe, wie man sich aus Schweizer Sicht gewünscht habe.

Für die Schweizer Klimapolitik bedeute die Konferenz allerdings, dass man am bisherigen Kurs zur Reduktion der CO2-Belastung um 20 Prozent festhalten wolle und sich mit voraussichtlich rund 50 Millionen Franken an den beschlossenen Vereinbarungen zum Schutz des Klimas beteiligen werde. Dieser Betrag müsse letztlich aber noch vom Parlament bewilligt werden.


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