Kultivierung der Stadt: Die Urbanen Gärten der Stadt Barcelona

Stefanie Fock, de.indymedia.org, 19.09.2009
http://de.indymedia.org/2009/09/261333.shtml

Ein urbaner Garten wächst auf der Fensterbank, auf dem Dach (link_ikon Foto 1), in Kulturzentren und Schulen, in Innenhöfen und neben Bahngleisen (link_ikon Foto 2), unter aufgebrochenem Asphalt oder in brachliegender Erde, er kann parzelliert oder gemeinschaftlich organisiert werden, seine Früchte landen im Kühlschrank eines einzelnen Haushalts oder im gigantischen Kochtopf einer Volxküche. In ihm entstehen Freundschaften oder sogar Kooperativen zum Vertrieb von ökologischen Lebensmitteln. Alle Arten von urbanen Gärten stellen eine Form der Wiedergewinnung ungenutzter Räume dar; sie füllen diese mit Sinn.

Präsentationen der Gartenprojekte

link_ikon Anbautradition
link_ikon Die Gärten der Stadt Barcelona
link_ikon Gemeinschaftsgärten

Während der Städter gewohnt ist, jegliches Gemüse in jedem Moment des Jahres kaufen zu können, richtet er sich bei der Bepflanzung seines Gartens nach der Saison. Das Land in die Stadt zu setzen, bedeutet also, ihren Rhythmus dem der Natur anzupassen. Andererseits charakterisiert den urbanen Garten, dass er wiederum der konstanten Wandlung der Stadt untergeordnet ist.

Während immer mehr Menschen gelangweilt darauf warten, im urbanen Umfeld entertaint zu werden, gibt es in Barcelona und Umgebung viele Personen, die mit der aktiven Nutzung von Räumen dafür sorgen, die Natur und das Wissen über unsere Nahrungsmittel in die Stadt zu tragen und damit gleichzeitig eine gesündere und bewusste Ernährung zu fördern. Diese Reportage visualisiert die Gärten Barcelonas so heterogen, wie es auch ihre Bewohner sind, wobei sie auch die Unterschiede zwischen der Aneignung von Räumen und der kontrollierten Vergabe von Parzellen durch die Stadt aufzeigt.

Anbautradition
Im Falle von Barcelona handelt es sich um eine Stadt, die traditionell eng mit der Hortikultur verbunden ist. Von den “historischen” Gärten der Stadt bleiben nur noch wirklich wenige, wenn man sich vor Augen führt, dass Viertel wie Horta (link_ikon Foto 3) oder die Hügel des Montjüic oder des Carmelo (link_ikon Foto 4) durch den Gartenbau hervorstachen. An einigen Orten, wie im Viertel Sagrera (link_ikon Foto 5), haben nur noch die NachbarInnen grüne Erinnerungen an das, was jetzt der Boden für eine neue Baustelle ist.
Bereits zur Hochzeit der Gärten in Barcelona gab es verschiedenste Beweggründe und Arten anzubauen: Ländereien privater Anwesen; Arbeiterviertel, in denen Häuser mit kleinen Gärten vermietet und diese in Orte der Selbstversorgung verwandelt wurden; Freizeitgärten, die von den StädterInnen geschaffen wurden, um am Wochenende aus dem Zentrum zu fliehen; Begleiterscheinung der so genannten ´Barracken`, in denen die MigrantInnen aus anderen Teilen Spaniens ihr zu Hause fanden. Mit dem Wachstum der Hauptstadt und ihrer Nachbarstädte wird die Trennung zwischen Zentrum und Peripherie immer schwieriger und so haben sich auch viele der ehemals periurbanen landwirtschaftlichen Zonen in urbane Gärten verwandelt.
Wenn das Kultivieren historisch nicht ausschließlich Sache der Peripherie war, sondern auch der Städte, ist die Aufnahme dieser Praktiken in zeitgenössische urbanistische Konzepte keine Innovation, sondern vielmehr die Übernahme von Praktiken, die lange Zeit nicht anerkannt wurden.
Die Gartenprojekte, die nicht mit der Idee der Umweltpolitik Barcelonas übereinstimmen, werden noch heute kriminalisiert, viele der traditionellen Anbauzonen und Gartenviertel befinden sich in Gefahr, durch das anhaltende Wachstum der Stadt verschluckt zu werden. Aber ihre NutzerInnen versuchen den historischen und alimentativen Wert dieser Orte zu bewahren, indem sie nicht nur ökologisch, sondern vor allem selbstbestimmt anbauen.

Die Urbanen Gärten der Stadt Barcelona
Während im Internet ein Modularsystem für den Anbau in einer Ecke des Balkons als urbaner Garten verkauft wird, eignet sich die Stadt Barcelona den Begriff für die zusammenhängenden Parzellen an, die sie verwaltet und in denen »versucht wird, dass sie ökologisch anbauen«. Diese , bislang 12, Gärten befinden sich ebenso im Zentrum, zum Beispiel im Viertel Raval (link_ikon Foto 6), wie an den Rändern der Stadt (link_ikon Foto 7). Bis 2011 sollen drei weitere entstehen, wenngleich der Verantwortliche von Parcs i Jardins die Schwierigkeit betont, geeignete Flächen zu finden, da diese immer rarer würden.
Das Programm, dass 1996 startete und von der Stiftung der Bank La Caixa gesponsort wird, richtet sich an Personen über 65 Jahre, die physisch in der Lage sind, die Arbeit des Anbaus auszuführen (»da sie ansonsten unter ein anderes Programm fallen würden«). Da es normalerweise 2,5 mal so viele Bewerbungen wie Parzellen gibt, werden diese über eine Verlosung verteilt, die alle 5 Jahre wiederholt wird. Während dieser Zeit überlässt die Stadt den NutzerInnen die Schlüssel und diese sorgen dafür, dass niemand ohne Genehmigung eintritt.
Auf der Internetseite der Stadt beschreibt diese ihre Gärten als »neue grüne, öffentliche Räume« und das Programm als partizipativ, mit der Ergänzung, dass »der Garten der Protagonist« sei. Obwohl der Verantwortliche den Charakter des Gärtners als »individualistisch, jemand der sich nur um seine Parzelle kümmert« beschreibt, betont das Programm den großen sozialen Wert für die Teilnehmenden und für den Austausch zwischen Generationen, der sich auf Grund der Möglichkeiten zur Umwelterziehung für Kinder ergibt (link_ikon Foto 8).
Die Verkündung des Bürgermeisters, dass es sich um »einen neuen Fortschritt für alle BarcelonesInnen« handele, ruft konträre Reaktionen hervor. Die NutzerInnen der anderen Arten von Gärten bedauern den beschränkten Zugang für wenige, die Tatsache, dass die Gärten nur für Pensionierte angeboten werden und das Fehlen von Selbstverwaltung. Der Interviewte des Projekts Can Masdeu meint: »Es ist nötig, das Thema der Gärten auf irgendeine Weise zu organisieren, aber nicht soweit, bis man wieder als Konsument endet.«

Gemeinschaftsgärten
Davon ausgehend, dass die Identität einer Stadt sich nicht von außen (und von oben) planen lässt und dass sie sich nicht nur durch ihre Architektur charakterisiert, ist die Praxis des urbanen Kultivierens in Barcelona Teil der Aktivitäten sozial-politischer Bewegungen geworden. Es werden freie Räume besetzt (link_ikon Foto 9), um spekulative Praktiken zu denunzieren und gleichzeitig gemeinschaftliche und selbstbestimmte Orte zu kreieren (link_ikon Foto 10).
Diese konkrete Interaktion zwischen Mensch und Raum, in Zusammenhang mit dem Thema der Ernährung, folgt der Tradition dieser Stadt und zeigt die Möglichkeiten der Aktion und Restrukturierung auf, die ungewisse Räume im immer kontrollierteren urbanen Umfeld begünstigen.
Es sind vor allem junge Menschen, die Projekte gemeinschaftlicher urbaner Gärten oder landwirtschaftlicher Zonen in Bewegung setzen, um das Wissen über die Herkunft unseres Essens zurückzugewinnen, gegen Transgenetik zu kämpfen und den Konsumalltag in einen produktiven zu verwandeln (link_ikon Foto 11). Es geht darum zu lernen (link_ikon Foto 12)und zu teilen (link_ikon Foto 13): sowohl Räume, als auch Wissen und Ernten; mit FreundInnen, NachbarInnen des Viertels und interessierten Leuten von überall, aller Geschlechter und jeden Alters, da es sich nicht um ein für eine Gruppe von Menschen reserviertes Thema handelt (link_ikon Foto 14).
Mit einer territorialen Sichtweise der Ernährung wird eine Zwischenzone des Ökologischen und des Sozialen geschaffen. Ein Garten sollte nicht die Sache eines/r Einzelnen sein, sondern eine Kooperative. Durch die Organisation in Versammlungen, »kann man mehr große Räume fordern, statt sich sein eigenes kleines Fleckchen zu suchen«, was eines Tages dazu führen könnte, dass diese alimentative Praxis wirklich die BewohnerInnen der Viertel ernährt.
Bislang handelt es sich in vielen Fällen noch mehr um ein Experiment (link_ikon Foto 15), bei dem erste Kontakte zwischen ruralen und urbanen Problematiken geknüpft werden. Unter dem Asphalt befindet sich weder Erde, die einfach zu bepflanzen ist, noch die, die man ökologisch nennen würde (link_ikon Foto 16). Dennoch wird dieser Art des Anbaus große Wichtigkeit zugeschrieben, um zu dem Genuss zu gelangen, eine bessere Qualität zu essen, als die, die es zu kaufen gibt (link_ikon Foto 17). Damit fassen die NutzerInnen eine der Basisbedürfnisse mit den Werten der Nachhaltigkeit und der Autonomie zusammen, um kulturelle Orte einer anderen Art zu leben zu schaffen (link_ikon Foto 18).


Unter dem Motto ›Eine Fotoausstellung über Tomaten, Zwiebeln und Feigenbäume, Tradition, Stadtplanung und soziale Bewegungen‹ war vom 2. bis zum 13. August 2009 mit weiteren Fotos und Texten, die auf Interviews mit den NutzerInnen der Gärten basieren, die Reportage ›Kultivierung der Stadt: Urbane Gärten in Barcelona‹ im Centro Sociale im Hamburger Stadtteil St. Pauli zu sehen (link_ikon Foto 19). Ab Ende September tourt die Ausstellung durch die verschiedenen fotografierten Gärten und dazugehörige Sozialzentren in Barcelona.

Mehr Infos auf
link_ikon squat.net/usurpa/
link_ikon stefaniefock.wordpress.com


Creative Commons LicenseDieses Werk ist unter einer
Creative Commons-Lizenz
lizenziert.

Trackback URL:
https://rageo.twoday.net/stories/5972089/modTrackback