Crime-Mapping und Zürichs Angst vor der Ghettoisierung


Martin Huber/ Benno Gasser, Tages-Anzeiger, 30.09.2009


Fachleute befürchten, dass Stadtpläne des Verbrechens einzelne Quartiere in Verruf bringen könnten.

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Quelle: link_ikon Crime Map Bosten

In zahlreichen europäischen und amerikanischen Grossstädten lässt sich mit dem Internet herausfinden, wo und in welcher Strasse Verbrechen geschehen sind. Auf den Crime-Maps ist – wie etwa in der US-Stadt Boston – der genaue Tatort, der Zeitpunkt der Tat und die Art der Straftat ersichtlich. Die Taten werden mit verschiedenen Symbolen visualisiert.
Für die Stadt Zürich gibt es ebenfalls solche interaktiven Deliktskarten – allerdings nur für die Polizei. Über eine Einführung eines Crime-Mapping-Dienstes auf der Homepage der Stadtpolizei wurde laut Informationschef Marco Cortesi gesprochen. Doch sei man zum Schluss gekommen, dass eine Publikation einer Crime-Map keinen Mehrwert für die Bevölkerung ergebe.

Bloss Straftaten pro Stadtkreis
Wer sich ein Bild über die Verbrechensgeografie von Zürich machen will, muss auf die jährliche Kriminalstatistik zurückgreifen. Die erfassten Straftaten werden in dieser Statistik aber nicht nach Strassen, sondern nach Stadtkreisen aufgeschlüsselt. So gesehen verzeichnete der Kreis 1 im Jahr 2008 am meisten Straftaten: 12 876. Dies entspricht einem Anteil von 18,1 Prozent. Auf den Plätzen zwei und drei folgen der Kreis 4 (14,5 Prozent) und der Kreis 11 (13,1 Prozent). Das Schlusslicht bildet der Kreis 12 (3,2 Prozent). Bei fast 60 Prozent der Delikte handelt es sich um verschiedene Arten von Diebstählen.
Crime-Mapping ist deshalb unter Fachleuten nicht unumstritten, wie der Kriminalsoziologe Patrik Manzoni vom Kriminologischen Institut der Universität Zürich sagt: «Es gibt Gründe dafür und dagegen.» Dafür spreche etwa das Argument, die Bevölkerung habe ein Recht zu wissen, wie sicher ihre Umgebung ist und was in ihrem Quartier läuft. Zudem übten solche Karten einen gewissen Druck auf die Behörden aus, in einem bestimmten Gebiet aktiv zu werden. Und: «Sie sind ein sehr nützliches Instrument der Polizeiarbeit und für die Prävention.»
Aber öffentliche Crime-Maps können laut Manzoni auch zu Fehlinterpretation und Verzerrungen führen. Manche Karten zeigten zwar, wo ein Delikt verübt wurde, nicht aber, ob die Polizei den Täter auch verhaften konnte. Zudem könnten die Liegenschaftspreise in Gebieten mit vielen ausgewiesenen Delikten ins Rutschen geraten, was längerfristig zu einer Segregation führt: «Anwohner und Geschäftsinhaber, die es sich leisten können, ziehen weg.»

Transparenz oder Verzerrung?
Letztlich gehe es um eine Güterabwägung: Auf der einen Seite stehe das Recht der Öffentlichkeit auf Information über die lokale Kriminalität, auf der andern Seite der Respekt für die Privatsphäre der Opfer.
Für Manzoni überwiegen am Ende die Nachteile von Crime-Maps im Internet: «Man sollte das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht unnötig strapazieren.» Es sei eine politische Frage, ob solche Karten online publik gemacht werden. «Man könnte ja auch auf die Idee kommen, solch detaillierten Karten über die Vermögensverteilung in den Quartieren ins Netz zu stellen», sagt er.
Bei Zürcher Gemeinderäten ist die Meinung über die Crime-Maps gespalten. Mauro Tuena (SVP) wünscht sich solche Karten, weil sie die Transparenz erhöhen würden und einen präventiven Charakter hätten. Für den FDP-Politiker Monjek Rosenheim sind sie «unnötig», weil Zürich bereits eine sehr sichere Stadt ist. Claudia Nielsen (SP) findet Crime-Maps interessant und prüfenswert. Sie glaubt aber, dass solche Karten beispielsweise die Langstrasse in einem verzerrten Bild darstellen würden, weil die soziale Kontrolle ausgeblendet wird.


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