Freiräume und Stadtentwicklung

Im Rahmen der Freistil-Reihe fand am 19.6.2009 im Potsdamer Hans-Otto-Theater die Veranstaltung “My Freiraum is my castle” statt. Neben einer wirklich großartigen Performance bei der Schauspieler/innen und Aktivist/innen Zitate von ehemaligen Hausbesetzer/innen in Potsdam lasen, war Andrej Holm eingeladen, einen Input zu den Fragen Wie und warum sich Städte ändern? Wie urbane Freiräume erschaffen, erhalten und (mit)bestimmen werden können?

Hier das Manuskript seines Beitrages...

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Andrej Holm, (Beitrag auf der Veranstaltung “FREISTIL: Freiräume II (My Freiraum is my castle) im Hans-Otto-Theater Potsdam am 19.06.2009)

Freiraum und Stadt sind zwei mit vielen Bedeutungen aufgeladene Begriffe.

Freiräume können als unbebaute Flächen verstanden werden, wie es etwa in der Freiraumplanung geschieht, Freiräume können im Alltagsverständnis aber auch Entfaltungsmöglichkeiten sein, die jenseits festgelegter Normen das experimentieren mit neuen Formen der Kreativität ermöglichen, Freiräume werden oft aber auch als konkrete Orte einer städtischen Gegenkultur verstanden, etwa wenn es um die Durchsetzung von unabhängigen Jugendzentren, Wagenburgen oder Besetzten Häusern geht.

Auch das Verständnis von Stadt ist keineswegs ein einfaches: aus geographischer Perspektive sind Städte Agglomerationsräume mit einer hohen Dichte an Funktionen, Bebauungen und Menschen, in der Soziologie werden Städte vor allem als Orte von erheblicher Größe, Dichte und Heterogenität verstanden, in denen sich menschliche Gemeinschaften niederlassen, aus einer politischen Perspektive kann ‘die Stadt’ für die lokalstaatlichen Regierungen und Institutionen stehen oder auch als Träger öffentlicher Infrastrukturen (etwa das städtische Schwimmbad, der städtische Kindergarten etc.) verstanden werden. Bei dieser Fülle an Definitionsangeboten macht also wenig Sinn, sich abstrakt mit den Freiräumen oder der Stadt auseinanderzusetzen. Um das Verhältnis von Freiräumen und Stadt zu beleuchten, werden wir uns etwas grundsätzlicher mit den aktuellen Stadtentwicklungstendenzen auseinandersetzen müssen, da sie die Kontexte und Rahmenbedingungen für städtische Freiräume setzen.

Ich werde zunächst versuchen einige Entwicklungslinien der Stadtentwicklung und Stadtpolitik zu beschreiben. In einem zweiten Schritt werde ich auf die Rolle von Subkultur und Kreativität im Kontext städtischer Entwicklungen eingehen um zum Anschluss unter dem Stichwort eines „Recht auf Stadt“ eine politische Perspektive für den Erhalt und den Ausbau von Freiräumen vorzustellen. Meine Perspektive ist dabei die eines in sozialen Bewegungen aktiven Wissenschaftlers, so dass ich als Input für die weitere Diskussion vor allem kritische wissenschaftliche Konzepte und akademische Diskussionen wiedergebe.

1. Stadt im Neoliberalismus

Städtische Entwicklungen sind seit jeher an die wirtschaftlichen Zyklen der Gesellschaft gekoppelt. Ob im Mittelalter Handelsstädte an wichtigen Marktrouten entstanden, sich durch die Industrialisierung riesige Arbeiterstädte entwickelten oder rund um neue Technologiestandorte Dienstleistungsmetropolen errichtet wurden. Auch die oft als „schrumpfenden Städte“ bezeichneten Abwanderungsprozesse in vielen ostdeutschen Städten sind vor allem Effekte der Deindustrialisierung in vielen Regionen der ehemaligen DDR. Doch Städte sind dabei nicht nur ein Abbild von den lokalen Produktionsbedingungen, sondern auch das Ergebnis von Wanderungsbewegungen, etwa wenn das Elend der ländlichen Armut Tausende in die Städte trieb oder wenn gutverdienende Mittelklassefamilien auf der Suche nach dem Eigenheim im Grünen in die Vororte zog. Das heißt soziale Veränderungen und auch neue Lebensstile können Städte verändern. Wenn wir also die aktuellen Veränderungen in den Städten verstehen wollen, sollten wir auf die ökonomischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen der Gesellschaft schauen.

In den Sozialwissenschaften wird dabei die aktuelle Phase oft als Übergang vom Fordismus zum Postfordismus bezeichnet. Darunter zu verstehen ist zunächst das Ende der großen industriellen Massenfertigungen (für das die Autofirma Ford namensgebend war) und der Übergang zu einer sogenannten Dienstleistungsökonomie, die zunehmend in globale Wirtschaftskreisläufe eingebunden ist. Dieser Wechsel der Produktionsweise hat Auswirkungen auf fast alle anderen gesellschaftlichen Bereiche. Aus einer politischen Perspektive zentral dabei ist der Abschied vom Wohlfahrtsstaat. Denn um das System der Massenproduktion aufrecht zu erhalten, wurde lange Zeit eine Politik der Umverteilung betrieben: die Wachstumsideologie ging davon aus, dass durch die Sicherstellung eines Massenkonsums eben auch eine Massenproduktion aufrechterhalten werden kann. Auch die Städte übernahmen in diesem System wichtige Aufgaben und stellten mit öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen Ausgaben einen steigenden Wohlstand sicher.

Der erhoffte Kreislauf von ‚viel Kaufen’ und ‚viel Produzieren’ hatte jedoch den Haken, dass ein profitables Geschäft nur so lange zustande kam, wie dieser Kreislauf erweitert oder räumlich ausgedehnt werden konnte. Seit den 1970er Jahren beobachten Ökonomen ein Ende dieser fordistischen Wachstumsökonomie.

Profitabilität wurde nun verstärkt durch die Verlagerung von industriellen Anlagen in Niedriglohnländer und die Ausrichtung auf hochwertige Markenprodukte angestrebt. Doch dieser Abschied und die Verlagerung von der Massenproduktion hatten Auswirkungen, die weit über die Produktionsbeziehungen hinausgingen. Steigende Arbeitslosenzahlen und eine zunehmende soziale Polarisierung waren die Folge. Kulturell verabschiedeten sich die Lebensstile seit den 1970er Jahren von den einheitlichen Konsumvorstellungen und individuelle Eigenheiten wurden besonders betont. Statt der Angleichung eines Lebensstandards (Eigenheim, Auto und Kühlschrank) wurde nun die Differenz der eigenen Lebensführung oder des eigenen Konsumgeschmacks betont. Soziolog/innen sprechen in diesem Zusammenhang gerne von ‘Kulturen der Differenz’ und der ‘Vervielfältigung von Lebensstilen’. Letztendlich ist auch der viel zitierte Prozess der Individualisierung und Versingelung der Gesellschaft ein Ausdruck dieses Wandels. War die Kleinfamilie um den fest angestellten (meist männlichen) Facharbeiter das ideale Familienmodell für den Fordismus, werden Familien und Kinder für die flexiblen Anforderungen der heutigen Dienstleistungsökonomie immer öfter als Hindernis wahrgenommen.

Wie beschrieben, haben diese Veränderungen erhebliche Auswirkungen auf die Funktion von Städten und die Rahmenbedingungen von Stadtpolitik. Insbesondere durch die verstärkten sozialen Polarisierungen und den damit verbundenen Anstieg von ärmeren Haushalten in den Städten wächst der Handlungsbedarf für städtische Unterstützungs- und Dienstleistungen. Auf der anderen Seite verzeichnen viele Städte sinkende Steuereinnahmen (durch Deindustrialisierung, Funktionsverluste und vielerorts auch durch die Abwanderung der Bevölkerung). Die ‘leeren Haushaltskassen’ sind in diesem Zusammenhang die wohl beliebteste Metapher zur Beschreibung dieser Situation. Um diese Schere zwischen steigenden Handlungsbedarfen und verringerten Handlungsmöglichkeiten zu schließen, setzen viele Städte auf die Ansiedlung von Unternehmen und möglichst gut bezahlten Arbeitskräften sowie die Werbung von Tourist/innen. Das Argument dafür ist die vage Hoffnung, dass eine solche Stadtentwicklung wieder Geld in die öffentlichen Kassen spült und letztendlich allen zu Gute kommt. Das Problem an solchen Orientierungen ist jedoch, dass tendenziell alle Städte genau dies wollen und einzelne Städte sich nun in Konkurrenz zu anderen verorten: Wer bietet die besten Konditionen für neue Unternehmen? Wer stellt die attraktivsten Wohngelegenheiten für Besserverdienende her? Wer entwickelt das beste touristische Angebot? Um in diesen Konkurrenzsituationen die eigenen Stadt ‘gut zu platzieren’ werden die knappen öffentlichen Ressourcen nun verstärkt für diese umworbenen Gruppen (Unternehmen, Besserverdienende, Touristen) mobilisiert – für alle anderen (also vor allem die Bewohner/innen der Stadt selbst) bleiben so noch weniger Ressourcen übrig. Neben materiellen Einrichtungen und Infrastrukturen (den harten Standortfaktoren) setzen viele Städte dabei auch auf die sogenannten ‚weichen Standortfaktoren’, also das Image der Stadt, das Lebensgefühl und das kulturelle Angebot. In vielen Städten wurden seit Anfang der 1990er Jahre Stadtmarketingabteilungen gegründet, die für die Vermarktung der Stadt zuständig sind. Oftmals sind dies die einzigen städtischen Verwaltungsbereiche, die trotz der angespannten Haushaltslagen in den vergangenen Jahren steigende Budgets zu verzeichnen hatten.

In kritischen Forschungsansätzen wird diese Entwicklung als Übergang zur „Unternehmerischen Stadt“ beschrieben. Zum einen weil die Städte nun wie Unternehmen miteinander konkurrieren, zum anderen weil die Stadtpolitiken selbst sich zunehmend nach unternehmerischen Gesichtspunkten orientieren. So werden städtische Aufgaben verstärkt nach betriebswirtschaftlichen Kriterien bewertet, insbesondere öffentliche Unternehmen werden nur noch selten danach beurteilt, welchen Nutzen sie für die Bewohner/innen der Städte haben, sondern ob sie ‘rote oder schwarze Zahlen’ schreiben. Insbesondere städtische Unternehmen, die keine oder wenige Gewinne abwerfen, wurden und werden oft privatisiert. Wie ein guter Unternehmer trennt sich die Stadt von den unrentablen Unternehmensbereichen.

Diese Ökonomisierung der Stadtpolitik hat oft konkrete Auswirkungen auf die Toleranz und die Unterstützung von alternativen Kulturstandorten oder selbstorganisierten Freiräumen. Das unentgeltliche Überlassen eines städtischen Grundstücks oder Gebäudes etwa passt nicht in die Logik von Vermarktung und Effizienz. Auch die Förderung von Projekten jenseits einer touristisch vermarktbaren Hochkultur wird in vielen Städten kontinuierlich zurückgefahren.

2. Kreativität und Subkultur

Nun gibt es auch Studien, die solche Stadtpolitiken für ihre Kurzsichtigkeit kritisieren, schließlich seien es gerade selbstorganisierte und subkulturelle Einrichtungen von denen Bilder der Attraktivität und Lebendigkeit einer Stadt ausgehen. Andere sehen in solchen Räumen der Subkultur sogar die Orte an denen Kreativität entsteht, die langfristig von Vorteil für den Standort wären. Selbst die für ihre kritischen Einstellungen zur Stadtpolitik bekannten Hausbesetzer/innen in Berlin haben in ihren Kampagnen gegen die Räumung von Wohnprojekten und Wagenburgen das ‘kreative Image’ der Stadt aufgegriffen um eine öffentliche Unterstützung zu erlangen.

Tatsächlich ist dies aber eine zumindest zwiespältige Argumentation, denn solange die Logik der Ökonomisierung und Stadtkonkurrenz nicht durchbrochen wird, wird es immer eine selektive Kreativität sein, die als erhaltenswert und förderfähig angesehen wird. Insbesondere Kultur- und Jugendprojekte, die gar nicht vorhaben, sich im Laufe der Jahre zu unternehmerisch erfolgreichen Veranstaltungseinrichtungen zu entwickeln oder Impulse für eine neue Dienstleistungsökonomie zu geben, werden auch mit diesen Wir-sind-das-kreative-Potential-der-Stadt-Argumentationen wenig Überzeugungskraft entwickeln.

Doch die drohende Selbstaufgabe durch Kommerzialisierungsprozesse ist nur die eine Seite der Krativitätsorientierung. In größeren Städten können subkulturellen Einrichtungen stadträumliche Aufwertungsprozesse auslösen, die im Ergebnis oftmals zu Verdrängungsprozessen und steigenden Mieten führen. So gelten insbesondere in bislang vernachlässigten Nachbarschaften besetzte Häuser oder subkulturelle Clubs und Kneipen als Raumpioniere, die solche Wohnquartiere für andere Nutzer interessant machen. Oftmals sind es unkommerzielle und selbstorganisierte Projekte, die das Image eines Stadtteils verändern und ein bisher unauffälliges und meist preiswertes Wohngebiet in einen ‚Geheimtip’ der Reiseführer und Programmzeitschriften verwandeln. Schnell werden ehemalige Arbeiterquartiere dann zu Galerienvierteln und Szenebezirken ‘herbeigeschrieben’. Insbesondere für ein linksalternatives, oft mit höheren Bildungsabschlüssen ausgestattetes Milieu werden solche Viertel dann auch zur beliebten Wohnadresse. Mit anderen Worten laden die subkulturellen und selbstorganisierten Aktivitäten solche Gebiete mit ihrem spezifischen kulturellen Kapital auf und kreieren einen ‘besonderen Ort’. Das ist für sich nicht weiter problematisch, wäre da nicht der kapitalistisch organisierte Wohnungsmarkt. Insbesondere die Immobilienbranche ist ja immer auf der Suche nach einer möglichst hohen Verwertung ihrer Grundstücke. Als Argument für einen höheren Preis halten in der Regel zwei Argumente her: die Ausstattung und die Lage. Die ‘Lage’ ist dabei das zentrale Argument, wenn es darum geht, einen Aufpreis für eine sonst (und v.a. hinsichtlich der Herstellungskosten) vergleichbare Wohnung zu verlangen. In Immobilienanzeigen werden deshalb besondere Lagequalitäten auch betont: ‘Zentrale Lage, ‘Seeblick’ oder ‘exklusive Nachbarschaften’ sind typische Werbebotschaften um höhere Preise zu rechtfertigen. Durch die beschriebenen kulturellen Aktivitäten und symbolischen Aufwertungen von Szenequartieren werden auch diese als „besondere Lagen“ vermarktet und zu höheren Preisen verkauft und vermietet. Oft lösen solche Attraktivitätssteigerungen spätere Modernisierungsarbeiten und Aufwertungen aus. Die Aufwertungspioniere der ersten Stunde verwandeln sich dann oft in tragische Gestalten solcher Stadtentwicklungsprozesse, können sie doch nun selbst die steigenden Preise nicht bezahlen und werden aus diesen Gebieten verdrängt. Die Betonung einer eigenen Kreativität kann also langfristig die ökonomischen Grundlagen der Projekte selbst zerstören. Insbesondere Künstler/innen diskutieren daher in vielen Städten, sich schon in Frühphasen ihrer Ansiedlung in solchen potentiellen Aufwertungsgebieten mit den Nachbarschaftsentwicklungen auseinanderzusetzen und sich gemeinsam mit den Bewohner/innen zu organisieren, um die wohnungswirtschaftliche Ausbeutung ihrer Aktivitäten einzuschränken. Eine solche Nachbarschaftsbindung setzt aber voraus, sich von der subkulturellen Distinktion, des ‚Anders-und-dagegen-sein-Wollens’ zu emanzipieren und soziale Beziehungen zu den vielleicht als Spießern wahrgenommenen Nachbar/innen aufzunehmen. Um jetzt hier aber nicht die Lust an subkulturellen Orientierungen zu nehmen sei auch auf Beispiele verwiesen, in denen solche Projekte, insbesondere, wenn sie dauerhaft eine eigene Ausstrahlung entwickeln, nicht von immobilienwirtschaftlichen Verwertungsprozessen vereinnahmt werden konnten. So stellt die seit 20 Jahren besetzte ‘Köpi’ in der Köpenicker Straße in Berlin mit ihrer expressiven Punk- und Trash-Ausstrahlung ein regelrechtes Investitionshindernis dar. Die Mobilisierungsfähigkeit des Hausprojektes hat bereits mehren Verkaufsversuchen widerstanden und selbst die Nachbargrundstücke haben – trotz bester und zentraler – Lage bisher noch keinen Investor gefunden. Solche Abschreckungsstrategien sind jedoch oft mit erheblichen Konflikten mit der unmittelbaren Nachbarschaft und den Stadtverwaltungen verbundenen, denen solche Projekte schnell eine Dorn im Auge sind.

3. Recht auf Stadt
Ich habe jetzt erklärt, warum ich eine Begründung von Freiräumen und selbstorganisierten Projekten mit dem Argument der Kreativität problematisch finde und will einen alternativen Ansatz vorstellen, der auf theoretische Debatten um eine sogenanntes „Recht auf Stadt“ zurückgeht. Ein solches „Recht auf Stadt“ hat der französische Philosoph und Soziologe Henri Lefebvre bereits in den 1960er Jahren gefordert. Seine Argumentation damals war: Die Funktion der Stadt sei es, die wesentlichen Voraussetzungen zur Reproduktion des Einzelnen aber auch der Bewohnerschaft als Ganzes sicherzustellen. Wesentliche Aspekte der Alltagsgestaltung sind in Städten individuell gar nicht mehr zu lösen: Kanalisationsleitungen, öffentliche Verkehrswege, Infrastrukturen wie Park, Sport- und Grünanlegen ebenso wie der Zugang zu Bildung und Kultur können in verstädterten Gesellschaften nur als Form einer ‘kollektiven Konsumption‘ organisiert werden. Diese Qualitäten des Städtischen haben die Stadt auch lange Zeit zu einer Integrationsmaschine für Neuhinzukommende gemacht. Durch die bereits damals von ihm beobachteten Prozesse der Ökonomisierung wurden die städtische Kollektivfunktionen zunehmend einer Verwertungslogik unterworfen und der Zugang nach ökonomischen Kriterien reguliert. Als „Recht auf Stadt“ bezeichnete Lefebvre ein „Recht auf Nichtausschluss“ von den städtischen Qualitäten und Dienstleistungen. Insbesondere für die ökonomisch benachteiligten Gruppen der Gesellschaft sei der Zugang zu den öffentlichen/städtischen Ressourcen von besonderer Bedeutung. Soziale Auseinandersetzungen, so sein Argument müssten sich daher zentral um ein solches „Recht auf Stadt“ formieren. Dieses zunächst theoretische Konzept ist in den vergangenen Jahren vor allem im Kontext von sozialen Protesten aufgegriffen worden. So gibt es in vielen Städten der USA inzwischen „Right to the City“ Kampagnen, in denen insbesondere ökonomisch und ethnisch marginalisierte Gruppen ihr Recht auf Stadt einfordern. Die konkreten Auseinandersetzungen umfassen dabei so unterschiedliche Bereiche wie die uneingeschränkten Zutrittsrechte in alle öffentlichen Räume, die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur in benachteiligten Stadtvierteln, den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen oder die Legalisierung von illegalisierten Zuwander/innen, die aus kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind. Die Kampagne für eine ‘Recht auf Stadt’ stellt dabei einen Rahmen für die Verknüpfung von sonst isolierten und unverbundenen sozialen Kämpfen dar.

Wenn wir die Inhalte eines solchen „Rechts auf Stadt“ anschauen, dann geht es immer darum die Qualitäten der Stadt in verschiedenen Bereichen zu verbessern und den Zugang für alle einzufordern. Sehr abstrakt gesprochen geht es um eine allen zugängliche Verbesserung des Gebrauchswerts der Stadt. Wie ich die aktuellen Stadtentwicklungsprozesse der Ökonomisierung und Konkurrenz jedoch beschrieben habe, orientieren sich die unternehmerischen Stadtpolitiken vor allem an der Steigerung der Verwertungsmöglichkeiten für Unternehmen, Besserverdienende und auch der Stadt selbst. Abstrakt gesprochen orientieren sich die aktuellen Stadtpolitiken also an einer Steigerung der Tauschwerte in der Stadt. Das „Recht auf Stadt“ kann also als Austragungsort zwischen gebrauchswertorientierten Interessen der Bewohner/innen und Tauschwertorientierungen von Grundstückseigentümer/innen, Bauunternehmen und der städtischen Verwaltungen angesehen werden. Immer dann, wenn ein selbstorganisiertes Wohn- oder Kulturprojekt von Eigentümer/innen oder auch der Stadt zur Kasse gebeten wird und die geforderten Summen für die Nutzung eines Grundstücks oder Gebäudes nicht aufzubringen vermag, erlangt der Konflikt zwischen Gebrauchs- und Tauschwert eine spürbare Materialität.

Freiräume, so mein Fazit, sollten in ein solches Spannungsverhältnis von Gebrauchswert- und Tauschwertorientierung eingeordnet und auch auf dieser Ebene politisiert werden – denn schließlich geht es um nichts Geringeres als die Aneignung der Stadt durch ihre Bewohner/innen. Die Recht-auf-Stadt-Argumentation für Freiräume bietet darüber hinaus einen guten Ansatz für das Entstehen von Bündnissen mit anderen, die ebenfalls ihr ‚Recht auf Stadt’ einfordern. Und solche Bündnisse werden nötig sein, denn letztlich wird es Freiräume dauerhaft in der Stadt nur geben, wenn auch eine andere Stadtpolitik durchgesetzt werden kann. Ein „Recht auf Stadt“ kann dafür die möglichen Argumente liefern. Durchgesetzt werden kann eine andere Stadtpolitik aber letztendlich nur in tatsächlichen Auseinandersetzungen und möglichst breiten städtischen Bündnissen. Der Kampf um Freiräume sollte daher nicht als etwas der Stadt Gegenüberstehendes, sondern als ganz selbstverständlicher Teil der Stadt verstanden werden.


Zum Weiterlesen:
Neoliberale Stadtpolitik / Standortkonkurrenz / Unternehmerische Stadt:
  • Heeg, Susanne; Rosol, Marit 2007: Neoliberale Stadtpolitik im globalen Kontext. Ein Überblick. In: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 149, Vol. 37 (4), Münster, 491-509
  • Mattissek, Annika 2008: Die neoliberale Stadt. Diskursive Repräsentationen im Stadtmarketing deutscher Großstädte. Bielefeld: transcript
  • Mullis, Daniel 2009: „Neoliberale Stadt“ – Entwicklungen und Folgen einer neoliberalen Stadtpolitik. (https://rageo.twoday.net/stories/5551717/)
  • Ronneberger, Klaus; Lanz, Stephan; Jahn, Walther 1999: Stadt als Beute. Bonn: Dietz-Verlag
Subkultur / Kreative Stadt / Aufwertung / Freiräume:
  • Birke, Peter; Larsen, Chris (Hrsg.) 2008: Besetze Deine Stadt! – BZ din by!: Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen. Berlin/Hamburg: Assoziation A
  • Heßler, Martina 2007: Die kreative Stadt. Zur Neuerfindung eines Topos. Bielefeld: transcript
  • Lebuhn, Henrik 2008: Stadt in Bewegung. Mikrokonflikte um den öffentlichen Raum in Berlin und Los Angeles. Münster: Westfälisches Dampfboot
  • Scharenberg, Albert; Bader, Ingo (Hrsg.) 2005: Der Sound der Stadt. Musikindustrie und Subkultur in Berlin. Münster: Westfälisches Dampfboot
  • Springer, Bettina 2007: Artful Transformation. Kunst als Medium urbaner Aufwertung. Berlin: Kulturverlag Kadmos
Recht auf Stadt / Städtische Soziale Bewegungen
  • Grell, Britta 2007: Immigrant Rights Campaigns. Transnationale Migranten als Träger neuer städtischer sozialer Bewegungen. In: In: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 149, Vol. 37 (4), Münster, 579-595
  • Holm, Andrej 2009: Recht auf Stadt – Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. In: Löffler, Bernd (Hg.): Die Stadt im Neoliberalismus – Hintergründe und Analysen. Erfurt: Rosa-Luxemburg-Stiftung/Gesellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V., 27-37
  • Lefebvre, Henri 1990 (1968): Die Revolution der Städte. Frankfurt am Main: Hain
  • Mayer, Margit 2009: “Das ‘Recht auf die Stadt’ – Slogans und Bewegungen” In: Forum Wissenschaft, 26/1, 14-18


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