Bahnhof wird "bettelfreie Zone"

Jäggi, Bund, 2.6.08

Bahnhofreglement Ein klares Votum für mehr Ordnung und Anstand im Bahnhof: 74,8 Prozent der Berner und Bernerinnen haben gestern für das Bahnhofreglement gestimmt.

Mit dem Ja wird der gesamte Berner Bahnhof zur "bettelfreien Zone", wie es der Gemeinderat angestrebt hat. Die Hausordnung der SBB sieht bereits heute ein Bettelverbot vor - mit dem Ja gilt nun im gesamten Bahnhof eine einheitliche Bahnhofordnung: Wer bettelt, auf Böden oder Treppen sitzt, mit Velo, Skateboard oder Rollschuhen umherfährt, Hunde frei laufen lässt oder Abfall auf den Boden wirft, kann mit maximal 2000 Franken gebüsst werden. Mit einer Ausnahme: Unterschriften zu sammeln ist auf Stadtboden erlaubt, im SBB-Teil aber verboten.

Stadtpräsident Alexander Tschäppät (sp) deutete das Resultat gestern als "ein deutliches Zeichen, dass die Leute im Bahnhof Ordnung wollen". Das Votum richte sich aber auch an SBB und Rail-City, die Zirkulation der Passanten dürfe nicht zu stark durch kommerzielle Nutzung behindert werden: "In letzter Zeit fanden zu viele Anlässe statt." Anlässlich der Bahnhofplatz-Eröffnungsfeier gelobte SBB-Chef Andreas Meyer am Freitag diesbezüglich "angemessene Selbstbeschränkung".

Die restriktiven Massnahmen, die das neue Regime vorsieht, würden mit Augenmass angewendet, versprach Tschäppät. Und deren Konsequenzen werde der Gemeinderat genau beobachten - etwa, wo sich die Randständigen-Szene künftig aufhalten werde.

"Wir sehen es als Erfolg, dass das Reglement überhaupt zur Abstimmung gebracht wurde", sagt GB-Stadtrat Hasim Sancar vom Nein-Komitee. Die Abstimmung wurde nötig, weil eine Allianz von kleinen Linksaussen-Parteien, Organisationen und der Gewerkschaftsbund das Referendum ergriffen hatten; SP und GB waren in der Frage gespalten. Durch die Formulierungen im Reglement - zum Beispiel "ungebührliches Verhalten" sei viel Spielraum vorhanden, so Sancar - damit dieser nicht "diskriminierend angewendet" werde, wollen die Gegner die Umsetzung genau verfolgen.

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Interview:Christoph Aebischer, BZ, 2.6.08

"Das Bettelverbot ist vertretbar"


Das Berner Stimmvolk nimmt das Bahnhofreglement mit fast 75 Prozent Ja-Stimmen-Anteil an. Künftig ist unter anderem Betteln in der Christoffelpassage verboten. Der Stadtpräsident (SP) erklärt, was das bringt.

Alexander Tschäppät, die Bernerinnen und Berner heissen das Bahnhofreglement gut. Sind Sie als Stadtpräsident zufrieden?
Alexander Tschäppät: Ja. Am Bahnhof herrschten tatsächlich Missstände. Dazu haben Stadt und SBB nun eine einheitliche Benutzerordnung.

Die SBB kann mit der Stadt zufrieden sein.

Die Stadt sorgt nun dafür, dass Bahnkunden Platz haben. Von der SBB erwarten wir im Gegenzug, dass sie die Bahnhofhalle weniger mit Ständen und Anlässen wie dem Pokerturnier verstellt.

Das Bettelverbot, das nun eingeführt wird, ist kein Lieblingskind von Ihnen,
oder?

Am Bahnhof hats nichts für jede Interessengruppe Platz. Zu allererst ist er für jene da, die den öffentlichen Verkehr benutzen. Solange eine Einschränkung nicht zur Ausgrenzung führt, finde ich das Verbot vertretbar. Mit dem Alkistübli auf der Bahnhofplatte, der Drogenanlaufstelle und anderen Angeboten wirkt die Stadt der Ausgrenzung entgegen.

Hat der Druck von rechts der letzten Monate gefruchtet?
Das Bahnhofreglement habe ich lange vor dem Bern-Bashing und all den Initiativen angekündigt.

Das Bettelverbot in der Unterführung und bis zehn Meter ausserhalb der Ausgänge ist ein Testlauf. Wann wird über eine Ausdehnung diskutiert?
Jetzt müssen wir zuerst Erfahrungen sammeln. Nach einem halben oder dreiviertel Jahr sehen wir weiter. Vielleicht hat sich das Problem bis dann erledigt. Bern ist neben Lausanne die einzige grössere Schweizer Stadt ohne Bettelverbot.

Weshalb stemmt sich Bern dagegen?
Ich weiss nicht, ob das so ist. Im Stadtrat wurde es kürzlich sehr knapp per Stichentscheid abgelehnt. Bern ist aber auch eine tolerante Stadt mit Verständnis für Randgruppen. In erster Linie geht den Leuten das organisierte Betteln mit der ganzen Ausnützerei von Menschen auf die Nerven. Dafür brauchts kein Bettelverbot. Das ist Aufgabe der Fremdenpolizei. Trotzdem rechne ich damit, dass früher oder später an der Urne über das Thema abgestimmt wird.

In Bern müsste eigentlich niemand betteln.

Das ist schon so. Die sozialen Institutionen in der Schweiz sorgen für die Sicherung der Existenz.

Ist das Reglement mit dem Bettelverbot ein Beitrag zu mehr Sauberkeit und Sicherheit?
Es ist ein Beitrag für ein ungestörtes Ankommen in und Abreisen von Bern. Gewisse Szenen an den Treppenaufgängen waren zwar nicht gefährdend, aber zum Teil sehr ungemütlich. Die engen Platzverhältnisse machten ein Ausweichen schwierig. Insofern trägt es wohl tatsächlich zu einer Verbesserung des subjektiven Empfindens bei. Die objektive Sicherheit misst sich jedoch eher an gut durchmischten Quartieren, in denen auch gewohnt wird.

Innenstädte sind nachts oft verwaist. Was sagen Sie zu verstärkter Videoüberwachung, wie sie Luzern nach dem Abstimmungswochenende einführen will?

An neuralgischen Punkten wie der Fricktreppe oder dem Durchgang vom Bahnhofparking zur Schanzenbrücke kann dies die Sicherheit verbessern. Flächendeckend sehe ich Videokameras nicht. Primär müssen wir dafür sorgen, dass in der Altstadt wieder vermehrt gewohnt wird.


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