Rail City heisst Geldspieler willkommen

Daniel Vonlanthen, Bund, 22.5.08

Erstes Pokerturnier im Bahnhof Bern: Die Rail City Bern erweist sich als begehrte Werbeplattform für Trendiges und Ausgefallenes
Fetter Sound, protzige Autos, Spiel und Wettbewerb: Die Rail City Bern steht - nebst der Funktion als Reisezentrum - weit offen für Kommerz. Bettler haben Hausverbot - Geldspieler indes sind willkommen.

Offroader und dröhnende Bässe begleiten die Reisenden in der Berner Bahnhofhalle: Unter dem Titel "Standaktion" warb ein Grosskonzern dieser Tage am belebtesten Ort der Stadt für "den zeitgemässen Energy Drink". Passantinnen und Passanten durften ein Müsterli mit auf die Reise nehmen. Gestern machte sich Swisscom im Zentrum der Bahnhofhalle breit: Statt auf die Anzeigetafel der abfahrenden Züge, fiel des Reisenden Blick vorerst auf Plakatständer und Bilder von Fussballstars.

Über 20 Werbeaktionen stehen laut Homepage www.railcity.ch für den Monat Mai auf dem Programm. Hinzu kommen Sonderanlässe und Publikumsaktionen. Der jüngste Anlass ist ein Novum in der Bahnhofgeschichte und fällt ausgerechnet in eine Zeit, da wieder einmal besonders kontrovers über das Betteln im öffentlichen Raum debattiert wird: Heute Donnerstag und übermorgen Samstag ziehen Geldspieler im Bahnhof Bern ein. Eine Woche später entscheiden die Stimmenden der Stadt Bern über das neue Bahnhofreglement, das auf der Hausordnung der SBB mit Bettelverbot und weiteren Benimmregeln gründet.

Pokerturnier als Novum

"Das Pokerfieber greift um sich: Kommen Sie in die Rail City Bern, und nehmen Sie an einem richtigen Pokerturnier teil", lautet der Hinweis von Rail City und Swiss-Pokerturnier. Am ersten Tag können Interessierte am Geldspiel schnuppern, am Samstag dann findet das Turnier mit 100 Spielerinnen und Spielern statt. Der Spieleinsatz beträgt 100, der Unkostenbeitrag 20 Franken. Aber "Achtung", die Veranstalter warnen vor "Ansteckungsgefahr".

Alexander Lienhard aus Gümligen ist Veranstalter des Swiss-Pokerturniers. Er habe den Bahnhof ohne Hintergedanken als Spielort ausgewählt, berichtet Lienhard: "Wir wollen etwas Neues bieten und haben bei Rail City sofort ein offenes Ohr gefunden." Für das Glücksspiel in der Öffentlichkeit verfügt Swiss-Pokerturnier über die nötige Bewilligung der Eidgenössischen Spielbankenkommission.

"Nichts Verwerfliches"
SBB-Sprecher Roland Binz sieht "nichts Verwerfliches" im öffentlichen Pokerspiel: "Beim Jassen in der Beiz ist manchmal auch Geld im Spiel. Davon wird niemand spielsüchtig." Und die kommerziellen Events in der Bahnhofhalle beeinträchtigten den Bahnhof nicht in seiner Funktion als Umsteigeort - im Gegenteil: "Solche Anlässe bringen zusätzliches Leben in den Bahnhof." Je belebter öffentliche Orte seien, desto sicherer seien sie, erklärt Binz. Kundenbefragungen hätten zudem gezeigt, dass die Events und Promotionen geschätzt werden. Trotz Umbauarbeiten im Bahnhof hätten die Geschäfte in der Rail City den Umsatz gesteigert. Die SBB verdienen dank einem Umsatzanteil mit an diesem Geschäft. Binz weist überdies auf die Ausgewogenheit der kommerziellen und kulturellen Anlässe hin: Von Mode bis zum Weihnachtsmarkt habe alles Platz, was unpolitisch sei, die religiösen Gefühle nicht verletze und nicht diskriminierend sei. Die Auswahl erfolge "ohne Ideologie", da dürfe hin und wieder auch ein Auto ausgestellt werden. Schliesslich würden in der Bahnhofhalle auch Velos verkauft.
Die Zahl der Events bleibt laut Binz limitiert auf "einen Grossanlass" pro Monat. Zudem würden die SBB darauf achten, dass die Halle in der Verkehrsspitze für die Pendlerströme frei sei. Mit 150000 Menschen pro Tag ist der Bahnhof Bern nach Zürich die zweitgrösste Umsteigeplattform der Schweiz. Sie diene in erster Linie dem Zugang zu den Zügen und zur Stadt, lautet die Zweckbestimmung. Künftig sollen im städtischen Teil und im SBB-Aufnahmegebäude die gleichen Regeln gelten. "Die Leute, die im Bahnhof ein und aus gehen, nehmen diesen als Einheit wahr", betont Binz.

Allgemeines Bettelverbot
Betteln, Herumsitzen auf Treppen, Versperren von Fluchtwegen und "ungebührliches Verhalten" und anderes mehr ist gemäss SBB-Hausordnung verboten. Nun sollen die Verbote auch auf Stadtboden übertragen werden, wenn das entsprechende Reglement gutgeheissen wird.

Die Gegner der Abstimmungsvorlage wollen den städtischen Teil des Bahnhofs nicht in die Entscheidungsbefugnis der Rail City abtreten. "Es darf aus grundrechtlicher Sicht nicht sein, dass der öffentliche Raum dem Kommerz geopfert wird und eine private Institution über die ideelle Nutzung des öffentlichen Raums bestimmen kann", schreiben die Gegner.

Catherine Weber, ehemals GB-Stadträtin und Mitglied des Gegenkomitees, sieht ihre Befürchtungen durch den jüngsten Anlass bestätigt: "Irgend jemand entscheidet, was opportun ist und was nicht." Es sei willkürlich und eigenartig, dass Geldspieler im Bahnhof willkommen geheissen würden, während Bettler draussen bleiben müssten. Ganz zu schweigen von den Aspekten Jugendschutz und Suchtverhalten. "Da wird uns immer wieder weisgemacht, der Bahnhof sei ein Reisezentrum und die Pendlerströme dürften nicht beeinträchtigt werden."


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