SP-Mann Sönmez fordert Bettelverbot für Berner Innenstadt

Markus Dütschler, Bund, 15.3.08

"Sönmez hat eine Rose verdient"

Um ein Haar hätte der Berner Stadtrat einem Vorstoss des SP-Mannes Hasim Sönmez für ein Bettelverbot zugestimmt. Der Berner SP-Stadtrat und Geschäftsinhaber Hasim Sönmez wollte das Betteln in der Innenstadt verbieten. Seine Genossen runzelten die Stirn, die Bürgerlichen unterstützten ihn. Doch die Motion scheiterte ganz knapp - weil ein CVP-Stadtrat ausscherte.

Es kommt selten vor, dass Bürgerliche im Stadtrat einen Vorstoss aus den SP-Reihen unterstützen. Am späten Donnerstagabend wars so weit. Die dringliche Motion "Bettelverbot für die Berner Innenstadt" stand zur Diskussion. Vorstösse dieser Art gab es schon früher, doch diesmal lag der Fall anders: Der Urheber war kein Bürgerlicher, sondern SP-Mann Hasim Sönmez.

Seine Partei war nicht entzückt. Als er den Vorstoss Ende November 2007 einreichte, raunten Genossen, das sei "kein SP-Vorstoss", sondern "das Anliegen des Einzelkämpfers Hasim". Die offizielle Haltung der SP, die sich im neuen Bahnhof für ein Bettelverbot stark macht, lautet: Zuerst müssen dort die Erfahrungen ausgewertet werden, dann wird weiter geschaut. "Ich kann das verstehen", sagte Sönmez gestern dem "Bund", "aber ich darf meine Meinung frei äussern." Trotz der Abweichung möchte er keinesfalls als Dissident betrachtet werden: "Ich bin ein SP-Mann und politisiere links."

Rare Gewerblersicht
Auf der Fahrt in seinem Lieferwagen habe er vorhin ständig überlegt: "Bin ich ein unsozialer Mensch?" Nein, sagt Sönmez bestimmt, das sei er nicht. "Manchmal sieht man hier bettelnde Mütter mit kleinen Kindern." Solche Missbräuche dürfe man nicht tolerieren. "Wenn einer in der Türkei bettelt, ist es eine Notwendigkeit, weil es dort keinen Sozialstaat gibt", sagt der Berner mit türkischen Wurzeln. Bei uns sei das nicht nötig, denn das Sozialsystem funktioniere. Seit dem Einreichen seines Vorstosses im November 2007 habe er "keinen Tag an der Richtigkeit gezweifelt". Sönmez ist im Stadtrat einer der wenigen Gewerbler, eine rare Spezies, besonders in der SP. Wenn er an seinem Blumenstand an der Spitalgasse steht, hört er die Sorgen der Kundschaft. Als Kleingewerbler müsse er jeden Monat schauen, wie er über die Runden komme, sagt Sönmez, der seit 17 Jahren in der Schweiz wohnt. Wenn er während der Gassensanierung 60 Prozent des Umsatzes einbüsse, helfe ihm keiner.

"Politik darf nicht kneifen"
Der unorthodoxe Vorschlag aus der SP hat die übliche Polarisierung im Rat etwas aufgebrochen. So gab ihm eine Mehrheit der GFL/EVP-Fraktion Sukkurs. "In der Innenstadt braucht es Massnahmen, insbesondere im Hinblick auf die Eröffnung von Westside", sagte Fraktionschef Ueli Stückelberger gestern, denn das Einkaufszentrum werde eine Sogwirkung entfalten. Man müsse Leute ernst nehmen, die sich vor Bettlern fürchteten: "Die Politik darf sich nicht vor solchen Fragen drücken." Er finde es inkonsequent, wenn die SP zuerst die Erfahrungen im Bahnhof auswerten wolle. Er sehe den Unterschied nicht, denn "auch in den engen Lauben hat es viele Leute".

SP-Stadtrat Andreas Flückiger verteidigt das zweistufige Konzept seiner Partei. "Ich bin nicht gegen ein Bettelverbot, aber ich möchte ein Pilotprojekt haben." Als Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe Aare-Seeland-Mobil wisse er, wie wichtig es sei, dass sich Fahrgäste ohne Angst im Bahnhof bewegen könnten: "Das müssen wir ernst nehmen, sonst verlieren wir Kunden."

"SP will gar nichts machen"
Philippe Müller, Ko-Fraktionspräsident der FDP, bezweifelt, ob es die SP ernst meint. Sie habe stets eine faule Ausrede, um kneifen zu können. So sei es unehrlich, wenn sie sage, sie unterstütze nur ein Bettelverbot gegen organisierte Banden: "Wenn dann ein solcher Vorstoss kommt, ist sie dagegen." Sönmez, der "sein Geld selbst verdient und nicht beim Staat arbeitet", verfüge über mehr Realitätssinn als seine Partei, sagt Müller: "Hasim hat eine Rose verdient."

Der Jungfreisinnige Bernhard Eicher ist enttäuscht, dass der Rat "die Chance nicht gepackt" habe, "es wäre ein Hammerzeichen gewesen". Besonders unzufrieden ist Eicher mit der CVP, die im Herbst gemeinsam mit FDP und SVP mit einem bürgerlichen Gemeinderats-Dreierticket die Wende herbeiführen soll. Am Donnerstag enthielt sich CVP-Präsident Henri-Charles Beuchat der Stimme. Da es 35 zu 35 stand, konnte Ratspräsident Andreas Zysset (sp) den Stichentscheid geben, wodurch die Motion Sönmez mit 36 zu 35 Stimmen scheiterte. "Die CVP macht schlapp", urteilte Eicher gestern.

Harte Kritik an CVP-Präsident
In der Tat hatte Beuchat im Rat erklärt, er könne die Motion nicht mittragen. Da die elektronische Anlage im Saal nicht richtig funktionierte, wurde die Abstimmung wiederholt. Besonders verärgert ist Eicher, dass sich Beuchat "auch beim zweiten Mal enthielt, obwohl er wusste, dass es auf ihn ankommt".

Beuchat musste sich danach einiges anhören. Dem "Bund" sagte er gestern, er habe nicht für die CVP gesprochen, sondern seine persönliche Haltung vertreten. Bettelei sei ein Hilferuf: "Ich kann keinem verbieten, um Hilfe zu rufen." Die biblische Geschichte des blinden Bettlers, der nach Jesus gerufen habe, berühre ihn tief. Die Umstehenden hätten ihn angeherrscht, er solle still sein, doch Jesus habe ihn geheilt. "Ich kann das nicht bewundern und in der Politik das Gegenteil machen", so Beuchat. Wie Sönmez sagt auch er: "Ich bereue das nicht." Es gebe Momente, in denen man zu seiner christlichen Überzeugung stehen müsse.

Gestern um 17 Uhr stand Beuchat mit Eicher bereits wieder auf der Strasse - und sammelte Unterschriften für eine sichere Stadt.


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