Prekarisierung und Rassismus – Ursache oder Wirkung?

ContraInfo, 27. Juli 2008

Prekarisierung – insbesondere Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen – hat erneut stark zugenommen und ist in das Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung getreten. Arbeit auf Abruf, unsichere Anstellungsverhältnisse, Temporärarbeit sind, um nur einige zu nennen, Anzeichen dieser Entwicklung. Was Prekarisierung genau bedeutet und was hat diese Entwicklung mit Rassismus zu tun, sind die im Folgenden beschäftigenden Fragen.

Eine eindeutige Definition des Begriffes Prekarisierung fehlt leider. Abgeleitet wird er vom lateinischen Adjektiv precarius (auf Widerruf gewährt; aus Gnade/ durch Bitten erlangt) und dem französischen Begriff "précaire" (widerruflich, unsicher), im deutschen Sprachgebrauch bedeutet Prekär "misslich", "schwierig", "heikel", "provisorisch" oder "vorübergehend" (1). Prekarisierung-und-Rassismus1 Um die Fassbarkeit des Begriffs zu verbessern, definiert die Caritas einen Katalog von Bedingungen (2) (Ungesicherte Zukunftsperspektiven/ Teilweise tiefe Löhne/ Eingeschränkter Kündigungsschutz/ Probleme bezüglich der Sozialversicherungen) aus welchem mindestens zwei der genannten Faktoren zutreffen müssen, damit ein Arbeitsverhältnis als prekär gilt.
Mit den Ursachen für die Zunahme der atypischen Arbeitsverhältnisse befasste sich Marc Höglinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent an der Kalaidos Fachhochschule. Er stellt dabei individualistische, also selbst gewählte, ökonomische, demnach von aussen erzwungene, Begründungsansätze gegenüber. Seine Untersuchungen lassen ihn zum Schluss kommen, dass „atypische Beschäftigungsverhältnisse […] eher aufgrund der betriebsspezifischen Bedürfnisse eingegangen – und weniger, weil sie von den Arbeitnehmenden gewünscht werden.“ (3 S. 30) Aus der Erkenntnis, dass atypische Arbeitsbedingungen eher von aussen aufgezwungen werden, als selbst aus individualistischen Überlegungen eingegangen werden, lässt sich schliessen, dass atypische Arbeitsverhältnisse mehrheitlich als Bedrohung wahrgenommen werden. Nicht selten führt die ständige Unsicherheit auf der existenziellen wie der sozialen Ebene zu Ängsten und Verunsicherung.

Prekäre Arbeitsverhältnisse im Gesamten sind jedoch keine neuen Phänomene. Strukturell diskriminierte Gruppen wie, Frauen, MigrantInnen, Sans-Papiers etc. waren und sind seit jeher in unterschiedlichem Masse stark betroffen. Neu ist, dass im Rahmen der Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft, und der damit einhergehenden Flexibilisierung nahezu aller Arbeitsbereiche, sich der Kreis der Bedrohten auf fast sämtliche von Lohn abhängigen ArbeiterInnen ausgedehnt hat. Gerade für die weisse, männliche Mittelschicht der jetzt in der Arbeitswelt tätigen, ist diese Unsicherheit eine gänzlich neue Erfahrung, was die Verunsicherung und Angst zusätzlich fördert. Um mit der realen Bedrohung auf dem Arbeitsmarkt zu Recht zu kommen, werden Ursachen für die anstehenden Probleme gesucht. Rassismen aller Art sind die Folge und stellen ein gängiges und einfaches Abwehrmuster dar. Rechtsbürgerliche Parteien – teilweise aber auch linksbürgerlichen Parteien – bedienen sich für ihre politische Propaganda gekonnt diesen Ängsten und nützen sie zu ihrem Machterhalt.

Insofern stellen sich zwei rassistische Dimensionen der Diskussion. Erste rassistische Dimension ist jene der Definitionsmacht. Es stellt sich die Frage, wer hat die Macht eine gesellschaftliche Kontroverse zu prägen und anzuregen und wer hat die Macht ein Problem auf das politische Parkett zu bringen und dessen Diskussion zu prägen? Der Fall scheint klar: Die Problematik der Prekarisierung ist erst ins gesellschaftliche Rampenlicht getreten, als auch die weisse, männliche Mittelschicht betroffen war, dass prekäre Arbeitsverhältnisse gerade von MigrantInnen seit jeher für die Betroffenen ein Problem darstellen, bleibt in der Diskussion zweitrangig. Im Endeffekt ist die Definitionsmacht also ein Sinnbild für die tiefsitzenden Rassismen einer Gesellschaft.
Zweite rassistische Dimension ist jene der oben schon angesprochenen aktiven rassistischen Abwehrmechanismen auf die aktuelle Entwicklung. Hier stellt sich die Frage ob Rassismus als Folge von den prekären Arbeitsverhältnissen gesehen werden kann (Ursache) oder ob prekäre Arbeitsverhältnisse von AusländerInnen die Folge von rassistischen Strukturen sind (Wirkung)?

An diesem Punkt setzt die Veranstaltung an und der Text wird im Nachhinein ergänzt...

Quellen:
1 Begriffsdefintion
2CARITAS (2001): Prekäre Arbeitsverhältnisse in der Schweiz, Luzern, Caritas-Verlag.
3 Höglinger, Marc (2006): Schöne neue Arbeitswelt? Flexibilisierung der Arbeit durch atypische Beschäftigungsverhältnisse, Basel/ Bern/ Genf/ Zürich, soz:mag Nr9 Mai 2006, verein virtuelle SoziologInnen, S. 26-31.


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