"Die europäische Schuldenkrise ist auch die Geschichte der Verstaatlichung von schlechten Risiken"

Arthur Rutishauser, Tages-Anzeiger, 17.06.2011

Die Banken stehlen sich aus der Verantwortung

Die Schweizer Banken gehörten zu den Ersten, die den Griechen den Rücken zukehrten. Andere konnten oder wollten nicht folgen.

Die europäische Schuldenkrise ist auch die Geschichte der Verstaatlichung von schlechten Risiken. Dies zeigt ein Blick in die Statistiken, die Auskunft darüber geben, wer eigentlich die Gläubiger der Griechen sind und waren. Im Jahr 2008, also bevor die Welt von der Eurokrise sprach, hatten die europäischen und amerikanischen Banken 267 Milliarden Dollar Griechenland-Kredite in den Büchern. Heute sind es noch 145,8 Milliarden. Wie ist das möglich? Haben die Griechen so viel Geld zurückbezahlt? Nein, aber im letzten Mai beschloss die Europäische Zentralbank (EZB) griechische Schulden gegen einen Abschlag von 13,5 Prozent als Sicherheiten zu akzeptieren. Und viele Banken haben die Chance genutzt. Inzwischen hält die EZB faule Griechenland-Papiere im Wert von 200 Milliarden Dollar und damit ein riesiges Verlustrisiko in den Büchern.

Unter den Ersten, die den Hellenen den Rücken zugekehrt haben, waren die Schweizer Banken. Noch Ende 2008 hatten sie Forderungen gegenüber Griechenland von 69 Milliarden Dollar. Heute (Ende 2010) sind es gerade mal 2,8 Milliarden. Die Amerikaner gingen den Weg der erfolgreichen Spekulanten, sie verdoppelten ihre Ausleihungen 2009, profitierten von hohen Zinsen, und Ende 2010 waren sie wieder draussen.

Am härtesten trifft es Crédit Agricole
Wer drin war und nicht raus konnte oder wollte, sind die Banken aus Deutschland und vor allem aus Frankreich. Sie halten zusammen knapp zwei Drittel der griechischen Bankschulden. Frankreich ist mit 56 Milliarden Dollar der grösste Einzelgläubiger. Vor drei Tagen nun wurden die griechischen Staatsanleihen mit Junk-Bonds gleichgesetzt, und die wichtigste Ratingagentur Moody’s hat sofort den Zeigfinger erhoben.

Gewarnt hat Moody’s, weil einige französische Banken mit Milliardenbeträgen gegenüber Griechenland exponiert sind. Am härtesten trifft es die Crédit Agricole, die 30 Milliarden Dollar in Griechenland ausstehen hat, die Société Générale ist mit 8,5 Milliarden dabei, die BNP Paribas mit 7 Milliarden Dollar.

Bei diesen Banken prüft Moody’s eine Herabstufung des Ratings. Kein Wunder, denn die Banken müssen mit einem grossen Verlust rechnen, wenn Griechenland kollabiert. Dies unter anderem auch deshalb, weil sie bisher von den Segnungen einer geschickten Buchhaltung profitierten. So müssen Anleihen, die langfristig gehalten werden (Held-to-Maturity) nicht abgeschrieben werden, solange der Schuldner seine Zinsen bezahlt. Dies, obwohl griechische Euroanleihen auf dem freien Markt mit Abschlägen von rund 50 Prozent gehandelt werden. Somit liess sich mit einem Geschäftsmodell, das darauf beruhte, sich billiges Geld bei der Notenbank zu borgen und in hochverzinsliche Griechenland-Anleihen zu investieren, viel Geld verdienen.

Sarkozys Trumpf
Das riesige Engagement von Crédit Agricole geht vorwiegend auf ihre griechische Tochtergesellschaft Emporiki zurück. Hier rechnet Moody’s damit, dass bei Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staates viele Kredite auch von privaten Firmen nicht mehr zurückbezahlt werden können. Das gesamte Eigenkapital der Bank Crédit Agricole beträgt übrigens nur gut 70 Milliarden Dollar.

Seiner Warnung hat Moody’s gleich noch nachgeschoben, als Nächstes sehe man sich die deutschen Banken an. Die haben zwar insgesamt deutlich weniger ausstehen, doch bei einzelnen Instituten geht es durchaus ins Geld. Etwa bei der Commerzbank. Diese hat 4 Milliarden Dollar ausstehend, die Landesbank Baden-Württemberg 2 Milliarden. Beide haben bisher ebenfalls nach der Held-to-Maturity-Devise gewirtschaftet. Besser dran ist angeblich die Deutsche Bank: Sie habe ihre Anleihen bereits auf den Marktwert abgeschrieben.

Wenn nun heute der französische Präsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel über die Rettung des Euro und die Sanierung Griechenlands verhandeln, hat Sarkozy eigentlich nur einen Trumpf in der Hand: Die deutschen Banken sind in Irland mit 118 Milliarden engagiert, die französischen Banken nur mit 34 Milliarden Dollar. Und eines ist klar, wenn es im Fall Griechenlands zu harten Sanierungsmassnahmen mit Schuldverzicht kommen sollte, wird innert Kürze bei den Iren dasselbe passieren.



Interview: Monica Fahmy, Der Bund, 16.06.2011

«Zahlen müssen immer die Gleichen»

Griechenland steht am Rande des Abgrunds, dennoch können sich die Griechen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Eva Webster, Journalistin bei der «Athens News Agency», erklärt warum.


Demonstration vor dem Parlamentsgebäude in Athen, Generalstreik vom 15.06.2011

Frau Webster, Rücktritte von Abgeordneten seiner Partei setzen Ministerpräsident Giorgos Papandreou unter Druck. Wie ist Ihre Einschätzung der Lage?
Insgesamt sind seit gestern drei Abgeordnete zurückgetreten. Auf die Mehrheit der sozialistischen Partei im Parlament hat es zwar keinen Einfluss, es zeigt aber, dass die Lage hier immer unübersichtlicher wird. Zurzeit findet ein ausserordentliches Treffen von Papandreous Partei statt. Eigentlich wollte er aber heute die Regierung umbilden. Dies nachdem er sich mit der Opposition nicht hat einigen können.

Was ist von einer Regierungsumbildung zu erwarten?
Es ist nicht klar, wie das in der aktuelle Situation helfen soll. Die Politik Papandreous ist bei den Griechen sehr unbeliebt, wie Sie sich vorstellen können.

Der Versuch, die Opposition zur Einheitsregierung zu bewegen, ist gescheitert. Warum?
Die Leute glauben nicht daran, dass das, was die Regierung vorschlägt, die Lösung ist, sondern sehen es höchstens als ein Hinausschieben von Problemen. Die Opposition wäre wohl kooperativer, wenn die Sparmassnahmen, welche die Regierung vorschlägt, weniger krass wären. Wieder sollen die Steuern erhöht werden, wieder sollen die Leute sparen, und es trifft immer dieselben. Die Leute haben genug.

Die «empörten Bürger» Griechenlands demonstrieren seit über 20 Tagen. Wer sind sie?
Auf Facebook wurde zu Protesten aufgerufen. An den Demonstrationen nimmt sozusagen jeder teil. Junge, Alte, Reiche, Arbeitslose, Eltern mit ihren Kindern. Ausser gestern, als eine Gruppe auftrat, die genau das bezweckte, kam es nie zu Gewalt. Ich war vom ersten Tag an dabei. Die Leute waren erst ratlos. Niemand hatte etwas organisiert, sie wussten nicht, ob sie nun Slogans singen müssen, klatschen, oder was. Aber sie kommen jeden Tag, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.

Die Bürger wollen bis zum 30. Juni, dem Tag der Abstimmung über das Sparpaket, protestieren. Ohne Sparpaket könnte es schwierig werden, den Kredit der EU zu erhalten. Leiden die Griechen an Realitätsverlust?
Sie glauben nicht, dass die Regierung das macht, was getan werden müsste. Zahlen müssen immer die Gleichen, das hat sich, trotz Krise, nicht geändert. Die gut 30 bis 40 Prozent, welche die Steuern umgehen, werden auch jetzt verschont. An die Kasse gebeten werden diejenigen, die sowieso schlecht bezahlt werden. Das macht die Leute wütend, sie wollen einen Wandel sehen.

Was ist mit den Forderungen der EU?
Die EU konnte die Märkte nicht überzeugen, dass das, was sie getan hat, genug war. Nun kann sie die Griechen nicht überzeugen, dass das, was sie verlangt, Griechenland aus der Krise helfen wird. Die Griechen denken, die EU erwarte, dass sie sich für Europa opfern, ohne dass Europa ihnen entgegen kommen will. Vor einem Jahr hiess es, man müsse sparen, es gab höhere Steuern. Jetzt heisst es, es war nicht genug. Die Leute fragen sich, was dann als nächstes auf sie zukommt. Hinzu kommt, dass sie sich in ihrer Souveränität angegriffen fühlen.

Was denken Sie, wird in den nächsten Tagen passieren?
Ich weiss es nicht. Diese Regierung wurde gewählt, weil sie sagte, es habe genug Geld und die Staatsausgaben würden erhöht. Das Gegenteil ist passiert. Vielleicht wird das Sparpaket aber doch durchkommen. Zu Neuwahlen dürfte es kaum kommen, zur Zeit hätte man hier keine Mehrheitsregierung mehr, das Land wäre gelähmt. (DerBund.ch/Newsnetz)



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