Die Krise in Europa weitet sich aus - Die Angst um Italien

Markus Diem Meier, Der Bund, 02.12.2010

Die Angst um Italien

Dass in den letzten Tagen selbst Italien ins Fadenkreuz der Märkte geriet, hat überrascht und schockiert. Immerhin hat das Land bessere Karten als andere Krisenländer. Doch das reicht möglicherweise nicht.

Wie stark die Währungsunion durch die aktuelle Krise im Mark erschüttert wird, hat sich in den letzten Tagen am Beispiel Italien gezeigt – der nach Deutschland und Frankreich drittgrössten Volkswirtschaft des Euroraums und nach Grossbritannien der viertgrössten der gesamten Europäischen Union. Wie im Fall der bereits als gefährdet geltenden Länder Griechenland, Irland, Portugal und Spanien zeigen die Sorgenbarometer der Märkte auch bei Italien einen Anstieg an, der sich nur mit Panik erklären lässt: Noch am 19. November kostete die Versicherung für italienische Staatsschulden 1,82 Prozent, in den wenigen Tagen bis zum vergangenen Dienstag hat sie sich um fast 50 Prozent auf 2,69 Prozent verteuert.

Gemessen an der Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen sind auch die Kosten für italienische Staatsschulden seit Mitte Oktober um fast ein Viertel in die Höhe geschossen. Die Renditen der auf den Märkten gehandelten Staatsanleihen sind für ein Land dann schmerzlich, wenn es auf den Märkten neue Mittel aufnehmen muss. Tatsächlich musste Italien am vergangenen Montag deutlich höhere Zinsen als vor einem Monat bieten, um auf den Kapitalmärkten per Staatsanleihen an neue Mittel im Umfang von 6,8 Milliarden Euro zu kommen. Dennoch verlief die Auktion der Anleihen laut Händlern harzig.

Höchster Bedarf an neuen Mitteln
Beruhigt sich die Lage nicht bald, kommen die höheren Risikosätze Italien bald sehr teuer zu stehen, denn keine europäische Regierung muss im nächsten Jahr soviel neues Geld auf den Kapitalmärkten aufnehmen wie Italien – laut «Financial Times» beinahe 350 Milliarden Euro. Spanien zum Beispiel benötigt nur rund die Hälfte davon. Die Angst vor einer finanziellen Instabilität kann daher in einer Art von selbsterfüllenden Prophezeiung gerade zu einer solchen beitragen: indem deutlich höhere Zinsen auf dem neu benötigten Geld die Kosten für den Staatshaushalt drastisch erhöhen.

Dennoch zeigen sich die ökonomischen Kommentatoren in den Finanzblättern und Wirtschaftsblogs mehrheitlich überrascht von der plötzlich aufgekommenen Sorge um Italien. Das Land wirkt zwar nach den verschiedenen Eskapaden seines Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zunehmend politisch instabil. Doch wirtschaftlich steht das Land in vielerlei Hinsicht deutlich besser da, als die bisher betroffenen Krisenstaaten: Anders als Spanien oder Irland leidet Italien nicht unter einer geplatzten Immobilienblase und der damit verbundenen Überschuldung seiner Bürger und Banken. Gemessen an der Arbeitslosigkeit kommt Italien mit einer geschätzten Quote von 8,4 Prozent auch besser weg als der Durchschnitt der Euroländer (10,1 Prozent) und der gesamten EU (9,6 Prozent), besser auch als die Krisenländer Griechenland (12,5 Prozent), Irland (13,7 Prozent) und Spanien (20,1 Prozent).

Noch keine Krisenlage bei den Staatsfinanzen...
Selbst bei den Staatsfinanzen schneidet Italien nicht so schlecht ab, wie es die geschätzten Bruttoschulden von 119 Prozent gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) vermuten lassen. Zwar übertrifft diese Grösse unter den gefährdeten Ländern nur Griechenland (mit 140,2 Prozent), aber die Lage Italiens hat sich hier – im Unterschied zu den anderen – kaum verschlechtert: Das Land hat seine Schuldenquote seit mehr als einem Jahrzehnt auf hohem Niveau stabilisiert. Schon 1998 – noch vor der Einführung des Euro – lag sie bei 114,9 Prozent. Schaut man statt auf die Gesamtschuld auf das geschätzte Budgetdefizit des laufenden Jahres in Prozent des BIP, kommt Italien mit 5 Prozent deutlich besser weg, als alle Krisenländer und selbst als die Europäische Union insgesamt, wo ein Defizit von 6,8 Prozent erwartet wird.

Dennoch teilt auch Italien wichtige Schwächen der anderen gefährdeten Eurostaaten. So leidet auch dieses Land an einer tiefen Produktivität. Sergio Marchionne, Chef des Fiat-Konzerns hat im Land grosse Aufmerksamkeit erregt, als er sich öffentlich über die geringe Wettbewerbsfähigkeit des Landes ausliess, vor allem mit der Aussage, dass Fiat viel besser dastehen würde, hätte der Autokonzern keine Produktionsstätten in Italien. Laut der Statistik des World Economic Forum erreicht Italien bei der Arbeitseffizienz von 139 Ländern den 118. Rang.

...aber chronisch tiefe Produktivität
Die Schwäche zeigt sich auch in weiteren Statistiken: Die Lohnstückkosten sind in Italien seit 2000 sogar stärker angestiegen als in Portugal oder in Spanien. In der Fünfjahresperiode von 2002 bis 2006 hat kein Land einen so geringen Produktivitätszuwachs verzeichnet wie dort. Der durchschnittliche jährliche Zuwachs der gesamten EU betrug über diese Periode 2 Prozent, in Italien fiel dieses Wachstum mit 0,1 Prozent zwanzigmal geringer aus.

Die strukturellen Schwächen lasten auch auf dem Aussenhandel. Die geringen Zahlungsbilanzüberschüsse, die Italien noch in den 1990er verzeichnet hat, haben sich im letzten Jahrzehnt in permanente Defizite verwandelt. Der wichtigste Unterschied zur Zeit davor: Italien ist Mitglied der Eurozone und kann nicht mehr wie früher die Landeswährung Lira abwerten. Der reale Wechselkurs – der auch die Preisunterschiede mit einbezieht – ist in Italien seit 1999 mit 19 Prozent sogar stärker angestiegen als in den anderen vier Krisenländern der Eurozone. Das heisst, die italienischen Produkte haben sich auf den Weltmärkten entsprechend verteuert. Deutsche Produkte dagegen sind im gleichen Vergleich um mehr als 5 Prozent billiger geworden.

Alles hängt von Spanien ab
Wie stark Italien tatsächlich gefährdet ist, hängt davon ab, ob die Euro-Krisen-Ansteckungswelle bei Spanien Halt macht. Eine Rettung der viertgrössten Volkswirtschaft der Eurozone würde so viele Mittel beanspruchen, dass ähnliche Massnahmen für das noch grössere Italien nicht mehr finanzierbar wären. Schon weil in den Gläubigerstaaten – allen voran Deutschland – die Bereitschaft fehlen würde, für solche Summen geradezustehen. Denn dann wäre die dort gefürchtete Transferunion Tatsache geworden. Das weiss man auch auf den Märkten. Kommt Spanien daher ernsthaft ins Wanken, würden die Risikosätze Italiens explodieren. Fällt die iberische Halbinsel, wird die europäische Währungsunion kaum in ihrer bisherigen Form weiter bestehen können. (DerBund.ch


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