Der Kampf ums Korn
Angela Barandun, Der Bund, 16.10.2010
Seit Grundnahrungsmittel knapp sind, steigen nicht nur deren Preise. Sie schwanken auch stärker. Darunter leiden die Schwächsten.
Es war der steilste Anstieg seit 1973: Am Montag schoss der Preis für Mais an der Chicagoer Rohstoffbörse um 8,5 Prozent hoch. Einen Handelstag zuvor musste der Handel mit Mais sogar ausgesetzt werden, weil der Preis innert kürzester Zeit um 6 Prozent gestiegen war.
Auslöser war eine Meldung der US-Landwirtschaftsbehörde. Sie geht davon aus, dass in den USA dieses Jahr 4 Prozent weniger Mais geerntet wird als bislang erwartet. Zwar bleibt es die zweitgrösste Ernte aller Zeiten. In Anbetracht der Dimensionen ist die Korrektur trotzdem bedeutend: Aus den USA stammen 40 Prozent der globalen Maisernte und 60 Prozent der weltweiten Exporte.
Schwankungen nehmen zu
Der Preissprung beim Mais ist nicht der einzige. Im Sommer machte der Weizenpreis Schlagzeilen, als Trockenheit und Brände ein Drittel der russischen Ernte zerstörten und das Land einen Exportstopp verhängte. Der Preis legte um 40 Prozent zu. Sojabohnen wurden im gleichen Zeitraum ein Drittel teurer, ebenso Reis. Beim Zucker waren es 60 Prozent, beim Kaffee 40 Prozent. Das spiegelt sich auch im steilen Anstieg des Nahrungsmittelindex der Welternährungsorganisation FAO.
Dabei ist die Lage nicht dramatisch: Bei keinem Grundnahrungsmittel droht derzeit ein Versorgungsengpass. Die Produktion wird zwar die Nachfrage nicht decken, aber die Lager sind gefüllt. Eine Krise wie 2008, als die Schweizer Konsumentenpreise als Folge der Knappheit stark stiegen, ist nicht in Sicht.
Dass die Preise trotzdem innert kurzer Zeit wieder stark angezogen haben, liegt gemäss Experten eher daran, dass die Unsicherheit zugenommen hat. Seit der Nahrungsmittelkrise 2007/08 gibt es laut der Weltbank viel stärkere Preisschwankungen. So kosteten 100 Pfund Reis Anfang Jahr 14 Dollar, im Juli 10 Dollar und zuletzt wieder 14 Dollar. Auch der Zuckerpreis vollführte Kapriolen.
Laut Hafez Ghanem von der FAO gibt es drei Gründe für die Turbulenzen. Erstens: Die Abhängigkeit des Welthandels von einigen wenigen Exportländern steigt. Daher haben schwankende Ernten in einem einzelnen Land Folgen für den Welthandel. Zweitens: das Klima. «Wir erwarten, dass das Wetter in Zukunft öfter verrückt spielen wird», so Ghanem. Und drittens: die Spekulanten. Sie versorgen die Rohstoffmärkte zwar mit Geld, machen den Handel aber auch intransparent und verstärken mit ihren Wetten reale Preisschwankungen. FAO und Weltbank setzen sich daher für strengere Regulierung und mehr Transparenz auf den Rohstoffmärkten ein.
Entwicklungsländer leiden
Die Leidtragenden sind laut der Weltbank die Entwicklungsländer: «Preisschwankungen sind eine besondere Belastung für arme Konsumenten und Produzenten mit tiefem Einkommen, die sich dagegen kaum absichern können.» Die volatilen Preise tragen eine Mitschuld, dass heute noch mehr Menschen an Hunger leiden. Modelle der Weltbank zeigen, dass ein abrupter Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln sich in armen Ländern direkt auf die Zahl der Unterernährten auswirkt – und zwar unabhängig vom absoluten Preis. Schlechte Nachrichten am heutigen Welternährungstag.
In Ägypten ist Brot eine politisch heikle Ware
Beim Brot verstehen die Ägypter keinen Spass: Rund 60 der 80 Millionen Einwohner des bevölkerungsreichsten arabischen Landes kaufen das vom Staat subventionierte Billigbrot. Das Aish Balady, das Volksbrot, wird in staatlichen Bäckereien und auf offener Strasse angeboten – die winzigen Laiber sind für die ärmere Bevölkerungsschicht die Konstante auf dem Speiseplan. Immer noch rund ein Drittel der Einwohner lebt mit knapp zwei Euro am Tag – weshalb der Staat rund 220 Millionen der runden Brote jährlich backen lassen muss. Im Laden kosten fünf Laibe umgerechnet weniger als 4 Rappen, jeder Preisanstieg schürt den Volkszorn. Jetzt aber drohen weltweit Engpässe, steigende Preise und möglicherweise eine globale Krise bei der Getreideversorgung. «Wir haben dennoch die Menge sichergestellt, die wir für den eigenen Verbrauch benötigen», versicherte Handelsminister Rachid Mohamed Rachid sofort.
Die Vorsicht des Ministers hat einen Grund: Nichts fürchtet die Führung in Kairo mehr als Engpässe bei der Brotversorgung. Zuletzt 2008 kam es wegen Brotmangels zu Unruhen. Es gab lange Schlangen vor den Bäckereien, lautstarken Unmut und sogar Tote und Verletzte. Angesichts der anstehenden Wahlen will die Regierung eine Wiederholung dieses Szenarios um jeden Preis verhindern. Das aber kostet.
Ägypten, in der Antike die Kornkammer des Römischen Reichs, ist wegen einer über Jahre fehlgelaufenen Landwirtschaftspolitik inzwischen der weltgrösste Weizenimporteur: Das Land verbraucht jährlich rund 14 Millionen Tonnen Weizen – mehr als die Hälfte davon wird heute importiert.
Selbst wenn Ägypten seine Anbauflächen vergrössert, wie Staatschef Hosni Mubarak angeordnet hat: Das Land wird wegen seiner wachsenden Bevölkerung noch auf Jahre sechs Millionen Tonnen Weizen jährlich einführen müssen. Da Ägypten überbevölkert ist und die Anbauflächen knapp sind, denkt die Regierung um: Kairo will den Bedarf künftig mit eigenen Anbauflächen ausserhalb des Landes decken. Im Visier ist Äthiopien: Mit einem Abkommen sicherte man sich dort Kauf und Pacht von Ackerland. Das ist entwicklungspolitisch heikel: Äthiopien kann schon heute seine Bevölkerung nicht ernähren und bleibt auf internationale Hilfe angewiesen.
Seit Grundnahrungsmittel knapp sind, steigen nicht nur deren Preise. Sie schwanken auch stärker. Darunter leiden die Schwächsten.
Es war der steilste Anstieg seit 1973: Am Montag schoss der Preis für Mais an der Chicagoer Rohstoffbörse um 8,5 Prozent hoch. Einen Handelstag zuvor musste der Handel mit Mais sogar ausgesetzt werden, weil der Preis innert kürzester Zeit um 6 Prozent gestiegen war.
Auslöser war eine Meldung der US-Landwirtschaftsbehörde. Sie geht davon aus, dass in den USA dieses Jahr 4 Prozent weniger Mais geerntet wird als bislang erwartet. Zwar bleibt es die zweitgrösste Ernte aller Zeiten. In Anbetracht der Dimensionen ist die Korrektur trotzdem bedeutend: Aus den USA stammen 40 Prozent der globalen Maisernte und 60 Prozent der weltweiten Exporte.
Schwankungen nehmen zu
Der Preissprung beim Mais ist nicht der einzige. Im Sommer machte der Weizenpreis Schlagzeilen, als Trockenheit und Brände ein Drittel der russischen Ernte zerstörten und das Land einen Exportstopp verhängte. Der Preis legte um 40 Prozent zu. Sojabohnen wurden im gleichen Zeitraum ein Drittel teurer, ebenso Reis. Beim Zucker waren es 60 Prozent, beim Kaffee 40 Prozent. Das spiegelt sich auch im steilen Anstieg des Nahrungsmittelindex der Welternährungsorganisation FAO.
Dabei ist die Lage nicht dramatisch: Bei keinem Grundnahrungsmittel droht derzeit ein Versorgungsengpass. Die Produktion wird zwar die Nachfrage nicht decken, aber die Lager sind gefüllt. Eine Krise wie 2008, als die Schweizer Konsumentenpreise als Folge der Knappheit stark stiegen, ist nicht in Sicht.
Dass die Preise trotzdem innert kurzer Zeit wieder stark angezogen haben, liegt gemäss Experten eher daran, dass die Unsicherheit zugenommen hat. Seit der Nahrungsmittelkrise 2007/08 gibt es laut der Weltbank viel stärkere Preisschwankungen. So kosteten 100 Pfund Reis Anfang Jahr 14 Dollar, im Juli 10 Dollar und zuletzt wieder 14 Dollar. Auch der Zuckerpreis vollführte Kapriolen.
Laut Hafez Ghanem von der FAO gibt es drei Gründe für die Turbulenzen. Erstens: Die Abhängigkeit des Welthandels von einigen wenigen Exportländern steigt. Daher haben schwankende Ernten in einem einzelnen Land Folgen für den Welthandel. Zweitens: das Klima. «Wir erwarten, dass das Wetter in Zukunft öfter verrückt spielen wird», so Ghanem. Und drittens: die Spekulanten. Sie versorgen die Rohstoffmärkte zwar mit Geld, machen den Handel aber auch intransparent und verstärken mit ihren Wetten reale Preisschwankungen. FAO und Weltbank setzen sich daher für strengere Regulierung und mehr Transparenz auf den Rohstoffmärkten ein.
Entwicklungsländer leiden
Die Leidtragenden sind laut der Weltbank die Entwicklungsländer: «Preisschwankungen sind eine besondere Belastung für arme Konsumenten und Produzenten mit tiefem Einkommen, die sich dagegen kaum absichern können.» Die volatilen Preise tragen eine Mitschuld, dass heute noch mehr Menschen an Hunger leiden. Modelle der Weltbank zeigen, dass ein abrupter Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln sich in armen Ländern direkt auf die Zahl der Unterernährten auswirkt – und zwar unabhängig vom absoluten Preis. Schlechte Nachrichten am heutigen Welternährungstag.
In Ägypten ist Brot eine politisch heikle Ware
Beim Brot verstehen die Ägypter keinen Spass: Rund 60 der 80 Millionen Einwohner des bevölkerungsreichsten arabischen Landes kaufen das vom Staat subventionierte Billigbrot. Das Aish Balady, das Volksbrot, wird in staatlichen Bäckereien und auf offener Strasse angeboten – die winzigen Laiber sind für die ärmere Bevölkerungsschicht die Konstante auf dem Speiseplan. Immer noch rund ein Drittel der Einwohner lebt mit knapp zwei Euro am Tag – weshalb der Staat rund 220 Millionen der runden Brote jährlich backen lassen muss. Im Laden kosten fünf Laibe umgerechnet weniger als 4 Rappen, jeder Preisanstieg schürt den Volkszorn. Jetzt aber drohen weltweit Engpässe, steigende Preise und möglicherweise eine globale Krise bei der Getreideversorgung. «Wir haben dennoch die Menge sichergestellt, die wir für den eigenen Verbrauch benötigen», versicherte Handelsminister Rachid Mohamed Rachid sofort.
Die Vorsicht des Ministers hat einen Grund: Nichts fürchtet die Führung in Kairo mehr als Engpässe bei der Brotversorgung. Zuletzt 2008 kam es wegen Brotmangels zu Unruhen. Es gab lange Schlangen vor den Bäckereien, lautstarken Unmut und sogar Tote und Verletzte. Angesichts der anstehenden Wahlen will die Regierung eine Wiederholung dieses Szenarios um jeden Preis verhindern. Das aber kostet.
Ägypten, in der Antike die Kornkammer des Römischen Reichs, ist wegen einer über Jahre fehlgelaufenen Landwirtschaftspolitik inzwischen der weltgrösste Weizenimporteur: Das Land verbraucht jährlich rund 14 Millionen Tonnen Weizen – mehr als die Hälfte davon wird heute importiert.
Selbst wenn Ägypten seine Anbauflächen vergrössert, wie Staatschef Hosni Mubarak angeordnet hat: Das Land wird wegen seiner wachsenden Bevölkerung noch auf Jahre sechs Millionen Tonnen Weizen jährlich einführen müssen. Da Ägypten überbevölkert ist und die Anbauflächen knapp sind, denkt die Regierung um: Kairo will den Bedarf künftig mit eigenen Anbauflächen ausserhalb des Landes decken. Im Visier ist Äthiopien: Mit einem Abkommen sicherte man sich dort Kauf und Pacht von Ackerland. Das ist entwicklungspolitisch heikel: Äthiopien kann schon heute seine Bevölkerung nicht ernähren und bleibt auf internationale Hilfe angewiesen.
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inkulant - 16. Okt, 11:59 Article 2150x read
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