Bundesrat Hans-Rudolf Merz half der Bankenlobby [nun mit offiziellen Berichten]

Von Arthur Rutishauser, Tages Anzeiger, 14.05.2010

Der Expertenbericht zur Finma zeigt auf, wie die Regierung bei der Bankenaufsichtsbehörde intervenierte.

Die Kritik von Bundesrat Hans-Rudolf Merz am Verhalten der Bankenaufsicht im Fall UBS war letzten Mittwoch so deutlich wie folgenlos. Die Eidgenössische Bankenaufsicht (EBK), die heute in der Finanzmarktaufsichtsbehörde Finma aufgegangen ist, habe sich zu stark auf die Einschätzungen der UBS verlassen und sich zu schnell mit den Aussagen der UBS-Verantwortlichen zufriedengegeben. Dass die zugrunde liegenden Expertenberichte aber eine ungehörige Einflussnahme der Politik, insbesondere des Finanzministeriums, auf die Aufsichtsbehörden nahelegen, verschwieg Merz.

Eine unzulässige Beeinflussung der EBK durch die UBS habe nicht festgestellt werden können, heisst es in dem vom Bundesrat verabschiedeten Bericht über das Gebaren der Finanzmarktaufsicht während der Finanzkrise.

Politiker, die sich instrumentalisieren liessen
Aus den Expertenberichten der Professoren Hans Geiger (link_ikon Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise) und David Green (link_ikon The Conduct of Financial Market Supervision during the Financial Crisis), die den Rohstoff für das Urteil des Bundesrates lieferten, geht jedoch hervor, dass es durchaus Einflussnahmen der Banken gegeben hat, aber eben via Politiker, die sich dann instrumentalisieren liessen. Mindestens in einem Fall intervenierte Walter Kielholz, der damalige Präsident der Credit Suisse, über den Finanzminister, bei Bundesrat Hans-Rudolf Merz direkt, und hatte damit sogar Erfolg.

Professor Geiger formuliert das in seinem Bericht so: «Tatsächlich ist das Risiko der Abhängigkeit in der Aufsicht von der Regierung grösser und wichtiger als von den beaufsichtigten Banken. Die beaufsichtigten Banken versuchen eher, die Aufsichtstätigkeit indirekt über die Regierung, andere politische Instanzen oder die Medien zu beeinflussen, als direkt bei der Aufsichtsbehörde.» Dafür gebe es Belege.

Krisenthema: Lehman Brothers
Wie das Bankenlobbying konkret funktioniert, zeigt eine Fussnote im Expertenbericht. Dabei ging es um den Widerstand der Grossbanken gegen die Einführung eines Mindestanteils von Eigenkapital (Leverage-Ratio) und eine Verschärfung der bisherigen Vorschriften. Dazu Geiger: «Die Grossbanken haben in den Medien dagegen argumentiert und bei der Regierung interveniert. Beispielsweise gab es dazu ein Schreiben des Verwaltungsratspräsidenten der Credit Suisse an Bundesrat Merz (3. 7. 2008). Dieser informierte (in der Folge) die EBK, dass das Finanzdepartement vor Erlass einer Verfügung durch die EBK eine meinungsbildende Diskussion im Bundesrat zum Thema der Eigenmittelvorschriften wünsche (Sitzung EBK vom 24. 9. 2008). Es ging dabei um einen Entscheid in der Kompetenz der EBK. Am Bankiertag 2008 sprach sich der Präsident der Bankiervereinigung in seiner Rede gegen eine Leverage-Ratio und gegen eine 200%-BIZ-Ratio für die Grossbanken aus. Wäre nicht Lehman Brothers in Konkurs gegangen, wäre die Bankenlobby möglicherweise erfolgreich gewesen.»

Die Kompetenz, dermassen in die Geschäfte der Finma einzugreifen, hat sich Merz vor der Gründung der neuen Behörde ausbedungen. So sah die zuständige Expertengruppe Zimmerli die Einführung einer wirklich unabhängigen Behörde vor. Der Bundesrat beschloss dann unter Führung des zuständigen Finanzministers Merz die Einführung von wirksamen Bremsen für den Fall, dass der Regulator plötzlich zu bissig werden sollte. So wurde dem Verwaltungsrat der Finma, der vom Bundesrat gewählt wird, die Kompetenz erteilt, bei wichtigen Entscheiden direkt ins operative Geschäft der Finma einzugreifen.

Zügel an Regulator gelegt
Auch die Kompetenzen, die sich der Bundesrat im Bereich der Personalpolitik der Finma im Widerspruch zu den Empfehlungen der Kommission Zimmerli gegeben hat, seien zu beseitigen, sagt Geiger. Es geht dabei vor allem um die Aufhebung der Personalverordnung, mit der sich der Bundesrat den Einfluss auf «wichtige personalpolitische Aspekte» gesichert hat. Damit wird auch die systemwidrige Einflussnahme durch das Finanzdepartement und die Finanzverwaltung vermieden. Auch der Genehmigungsvorbehalt des Vorstehers des EFD für Grundgehälter über 300'000 Franken ist nach Meinung von Geiger zu streichen.

Der unabhängig von Geiger arbeitende Engländer David Green schreibt dazu, es sei auffällig, dass im Finma-Gesetz gleich zweimal erwähnt werde, der Regulator habe dafür zu sorgen, dass die Banken in der Schweiz ein konkurrenzfähiges Umfeld vorfänden. Für Experte Green ist das ein Spagat, der für eine wirksame Aufsicht kaum zu meistern sei, darum schlägt er denn auch vor, dass eine andere Behörde die Konkurrenzfähigkeit sicherstellen soll. Die Finma müsse eine unbequeme Aufsicht ausüben. Die Politik müsse das verstehen.


Und was der Bundesrat dazu schreibt

Schlussfolgerungen aus der Finanzmarktkrise für die Finanzmarktaufsicht


Bundesratsbericht Das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzmarktkrise – Lehren für die Zukunft - Bericht in Beantwortung des Postulats David (08.4039) und der Motion WAK-N (09.3010)
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Hans Geiger Expertengutachten über das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise
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David Green The Conduct of Financial Market Supervision during the Financial Crisis
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Bern, 12.05.2010 - Der Bundesrat hat an seiner heutigen Sitzung den Bericht "Das Verhalten der Finanzmarktaufsicht in der Finanzmarktkrise - Lehren für die Zukunft" verabschiedet. Darin unterzieht er die Entscheide und das Verhalten der ehemaligen Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) und der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) während der Finanzmarktkrise einer eingehenden Prüfung und zieht daraus zum Teil kritische Schlussfolgerungen.

Der Bericht des Bundesrates beantwortet das Postulat David (08.4039) "Klärung des Verhaltens der Finanzmarktaufsicht in der Finanzkrise" und die Motion der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (09.3010) "Funktionsfähigkeit der Finma überprüfen". Im Bericht nicht thematisiert wird das Verhalten der FINMA im Zusammenhang mit den Ermittlungen der US-Behörden gegen die UBS wegen Verletzungen von Vorschriften des US-Steuerrechts. Dieses Thema ist Gegenstand eines laufenden Gerichtsverfahrens sowie von Abklärungen der Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates.

In seinem heute verabschiedeten Bericht zieht der Bundesrat folgende Schlüsse:

Die schweizerischen Aufsichtsbehörden haben die Finanzmarktkrise im Vergleich zum Ausland gut gemeistert. Es hat sich jedoch gezeigt, dass im Vorfeld der Krise innerhalb der Abteilung Grossbankenaufsicht der EKB Mängel bestanden. Zunächst kam es zu wenig oft zu einem systematischen Informationsaustausch. So wurden die unterschiedlichen Strategien der UBS und der CS für ihre Geschäftstätigkeit am US-Hypothekenmarkt zu wenig verglichen. Ausserdem hat die EBK im Vorfeld der Krise bei der UBS verschiedene Problemfelder zwar erkannt, aber nicht mit genügend Nachdruck auf ihre Behebung gedrängt. Dies war beispielsweise bei der IT-Fragmentierung, der Krisenvorsorge und im Kontrollbereich der Fall. Ferner verliess sich die EBK zu stark auf die Einschätzungen der UBS und gab sich mit deren Aussagen zu schnell zufrieden. Das Verhalten der EBK ist u.a. darauf zurückzuführen, dass sie sich durch das sogenannte "Musterschülerinnen-Image" der UBS blenden liess. Ausserdem war der Personalbestand in der Abteilung Grossbankenaufsicht der EBK eher knapp. Eine unzulässige Beeinflussung der EBK durch die UBS konnte hingegen nicht festgestellt werden.

Als wichtigen Grund für die Finanzmarktkrise nennt der Bericht eine verfehlte internationale Finanzmarktregulierung. Ein Defizit, das keine noch so umfassende und effiziente Aufsicht zu korrigieren vermag. Eine Stabilisierung des Finanzsystems ist daher allein durch Verbesserungen bei der Aufsicht nicht zu erreichen. Entscheidend sind vielmehr Korrekturen bei der Regulierung. Handlungsbedarf besteht insbesondere im Bereich der Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften, bei den Vergütungsvorschriften sowie in der Lösung der "Too big to fail­"-Problematik.

Bei der Finanzmarktaufsicht ortet der Bundesrat keinen unmittelbaren Anpassungsbedarf auf Gesetzesstufe. Insbesondere zeigt die Führungsstruktur der FINMA keine Mängel auf. Sie sorgt im Gegenteil für ein Zusammenwirken von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung im Sinne von "checks and balances". Der Bundesrat legt der FINMA jedoch nahe, den Begriff der "Geschäfte von grosser Tragweite", über die der Verwaltungsrat von Gesetzes wegen auf operativer Ebene entscheidet, eng auszulegen.

Die Untersuchungen ergaben keinerlei Abhängigkeiten der EBK oder der FINMA von den Beaufsichtigten. Der Bericht hält insbesondere fest, dass die Ausstandsregeln, die sich die FINMA selbst gegeben hat, adäquat sind und vom Verwaltungsratspräsidenten der FINMA eingehalten wurden. Die Untersuchung zeigte weiter, dass die FINMA über hinreichende personelle und finanzielle Ressourcen verfügt.

Als weitere Lehre aus der Finanzmarktkrise ist das duale Aufsichtssystem im Bereich der Grossbankenaufsicht zu überprüfen. Der Bundesrat unterstützt deshalb die in den strategischen Zielen der FINMA verankerte Absicht, die eigene Überwachungsintensität zu steigern. Eine umfassende Produkteaufsicht erachtet der Bundesrat hingegen weiterhin als nicht angezeigt.


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