Urbaner Handschlag mit den Bauern

Von Marc Lettau. Der Bund. 3.4.2010

Wenn Bernerinnen und Berner einigen Biobauern zusichern, ab jetzt jede Woche einen Korb mit saisongerechter Ware abzunehmen, dann geht es um mehr als um eine neue Shoppingvariante.

Die Vertragslandwirtschaft. Alle verstehen das Wort. Aber die wenigsten wissen, was es wirklich meint. Vertragslandwirtschaft ist eben gerade kein Begriff aus der abgehobenen Agrarpolitik, sondern umschreibt die vielleicht konsequenteste Art der Direktvermarktung, wie sie jetzt – ziemlich gemächlich – auch das Bernbiet erreicht: Bauern schliessen direkt mit Konsumentinnen und Konsumenten Jahresverträge ab. Der Bauer verpflichtet sich, ein Jahr lang jede Woche einen Warenkorb mit saisongerechten Produkten zu liefern. Und die Empfängerinnen und Empfänger sichern vertraglich zu, den Korb Woche für Woche anzunehmen. Die übergeordnete Idee: Vertragslandwirtschaft will Stadt und Land wieder stärker vereinen und die Anonymität zwischen Konsument und Produzent zum Verschwinden bringen.

Zudem ist «Sicherheitsgewinn» für beide Seiten ein Ziel. Die Bauern erhalten mehr Sicherheit, weil der Absatz ihrer Ernte planbarer wird und der Erlös ohne den Umweg über den Zwischenhandel höher ausfällt. Und die Konsumentinnen und Konsumenten erhalten die appetitanregende Sicherheit, zu wissen, wo und unter welchen Bedingungen angebaut und geerntet wird, was auf ihrem Teller landet.

Die ersten Körbe treffen ein
In Bern wird der urbane Handschlag mit Bauern aus der Region heute Mittwoch definitiv besiegelt: Sechs bernische Biobauern liefern erstmals ihre Warenkörbe an Verteilpunkte im Breitenrain, der Sulgenau und in Bümpliz. Dort werden sie von den Vertragspartnerinnen und -partnern abgeholt. Die kleine Landwirtschaftsrevolution, die der Verein Soliterre für die Bundeshauptstadt und die Region Bern in die Wege geleitet hat, folgt auch einem politischen Credo: Angesichts der Landwirtschaftspolitik, in der Liberalisierungstrends immer mehr Raum einnähmen, bestehe «mehr und mehr ein gegenseitiges Interesse von Stadt und Land, zusammenzuarbeiten und so den Druck von aussen etwas abzufedern», sagt Marina Bolzli, die Konsumentinnenvertreterin im Vorstand von Soliterre.

Kann Vertragslandwirtschaft aber jemals mehr füllen als eine bescheidene Nische im schmalen Segment der Direktvermarktung? «Wenn wir nicht daran glauben würden, hätten wir uns nicht für Soliterre eingesetzt», sagt Bolzli und verweist auf die Erfolge in der Westschweiz.

Für eine überschaubare Nähe
Dort existiert die Vertragslandwirtschaft bereits seit gut 20 Jahren. Innerhalb der Fédération romande de l’agriculture contractuelle de proximité fliessen inzwischen – ganz grob geschätzt – weit über fünf Millionen Franken ohne Umweg über den Zwischenhandel aus der Geldbörse von 5000 Konsumenten direkt in die Betriebskassen von rund 80 Bauernbetrieben.

Das Westschweizer Exempel zeigt auch, dass die Vertragslandwirtschaft stetig wächst – aber nicht dank grösseren Strukturen, sondern dank immer neuen Vertragsbündnissen zwischen weiteren Landwirten und neu überzeugten Konsumentinnen und Konsumenten. Anders ginge die persönliche Nähe, die hierzulande die Vertragslandwirtschaft prägt, rasch verloren, argumentieren die Westschweizer Bauern. Auch Soliterre setzt aufs Überschaubare und will zunächst mit maximal 200 Konsumentinnen und Konsumenten Erfahrungen sammeln. Wachstum heisse wohl auch in Bern, dass neben Soliterre weitere Vertragslandwirtschaftsprojekte entstünden, sagt Bolzli: «Wir würden solche Anstrengungen sicher unterstützen.»

link_ikon soliterre.ch

Der Bauer, der niemals nur Kalorien liefern will
Der Bund. 3.4.2010

Warum Biobauer Kurt Zaugg aus Iffwil künftig auch auf die Vertragslandwirtschaft setzt.

Kurt und Annette Zaugg bewirtschaften einen nach heutigem Massstab ungewöhnlich kleinen Hof. Aber sie haben ungewöhnlich viel zu tun. Blosse 8,5 Hektaren Land gehören zum Hof an der Iffwiler Moosgasse. Trotz solch unauffälligen Ausdehnungen gibts auf dem Hof – je nach Jahreszeit – genug zu tun für zehn bis zwölf volle Arbeitsstellen. Das klingt nicht nach hochrationalisierter Landwirtschaft – und das ist es auch nicht: «Wir machen erstens fast alles. Und wir machen zweitens praktisch alles selber.» Will heissen: Zauggs und ihre Mitarbeiter führen einen Milchwirtschaftsbetrieb, betreiben aber auch Ackerbau und produzieren Gemüse aller Art. Arbeitsintensiv ist nicht allein die Vielseitigkeit des Betriebs, sondern die entschiedene und umfassende Art, wie er geführt wird. Kurt Zauggs Beispiel zur Illustration: «Wir ziehen die Setzlinge selber, ziehen das Gemüse gross, und wir vertreiben oder verarbeiten das Angebaute auch noch gleich selbst.» Das angebaute Getreide wird auf dem Hof selber zu Mehl und Brot verarbeitet. Die gemolkene Milch wird in der hofeigenen Käserei zu Frischkäse und Quark. Wenn dazu Strom gebraucht wird, kann Zaugg auf eigenen Strom aus dem Solarkraftwerk auf dem Dach des stattlichen Bauernhauses zählen: «Abgesehen vom Diesel, den wir für unsere Traktoren brauchen, sind wir sehr nahe am geschlossenen Hofkreislauf.» Energie zukaufen muss er nicht. Dünger einkaufen erst recht nicht. Aber Arbeit bedeutet dies eben eine Menge.

Engagierter Marktfahrer
Warum aber reiht sich Zaugg unter jene Bauern, die nun unter dem Label Soliterre in der Region Bern Vertragslandwirtschaft betreiben wollen? Der Iffwiler Hof, der hiesige Bioläden beliefert und mehrmals wöchentlich in der Region Bern einen eigenen Marktstand führt, ist ja schon jetzt sehr nahe bei den Endverbraucherinnen und -verbrauchern. Der Unterschied zwischen Direktvermarktung und Vertragslandwirtschaft, sagt der 55-jährige Bauer, sei eben gross. Das liege im Wesen der Sache. Schlössen Bauern und Konsumenten einen konkreten Vertrag ab (siehe Haupttext), entstehe eine viel verbindlichere und intensivere Beziehung: «Es entsteht viel mehr Nähe. Konsumentinnen und Konsumenten können sich viel direkter mit den Produzenten identifizieren. Und für die Produzenten schafft der Vertrag eine Verbindlichkeit, wie wir sie bisher nie kannten. Bauern können sich dank dem Vertrag dem Preisdruck und dem Preisdiktat der Industrie viel besser entziehen.» Zaugg sieht die Vertragslandwirtschaft aber nicht bloss als rein wirtschaftliche Beziehung. Sie erlaube es auch, andere Bilder vom Leben im Allgemeinen und vom Bauern im Speziellen zu vermitteln. Heute würden Landwirte meist nur noch als Rohstofflieferanten verstanden. Er aber, der «Vertragsbauer», sieht seine Rolle anders: «Ich bin weder Rohstoffproduzent noch Nahrungsmittelproduzent. Ich bin Lebensmittelproduzent.» Er liefere nicht nur Kalorien, sondern gehe «eine soziale Beziehung» ein. Und mit ihrer Bindung leisteten Bauer und Konsument gemeinsam «einen Beitrag zum lebenswerten Dasein», selbstverständlich «im Wissen, dass wir nicht einfach in einer heilen Welt leben». Der Vertrag bindet letztlich mehr Menschen bewusst an die Scholle, die sie ernährt.

Globalisierungskritischer Ansatz
Das klingt recht globalisierungskritisch. Zaugg bestätigt diesen Eindruck, ohne zu zögern. Er sei überzeugt, dass es zu den Pflichten der Vernünftigen gehöre, «so weit als möglich lokal zu handeln». Von einem Agrarfreihandelsabkommen mit der EU hält er nichts. Bei einem solchen Abkommen seien die Bauern ohnehin die Nebensache: «Mit einem Agrarfreihandelsabkommen würden unsere Bauern für die Interessen unserer Industrie geopfert.» Allerdings: Wären sämtliche Bauern mit verständigen Konsumentinnen und Konsumenten vertraglich vereint, dann verlöre vielleicht auch der Agrarfreihandel einen Teil seines Schreckens.


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