Tutorium` Rassismus und Ausgrenzung - Aufstand der Jugend, Paris 2005

Veranstaltung 11, 11. Mai 2009

Weiss, Anja (2001): Rassismus wider Willen

Definitionsversuche:

1) „Biologische“ Definition (S.23)
a. „Einteilung von Menschen in spezifisch „rassistische“ Kategorien“
b. „hierarchische Anordnung der so erzeugten Menschengruppen“
c. Inhaltliche Bestimmung: „rassistische“ Kategorien rücken „naturgegebene, unwandelbare Merkmale ins Zentrum“
Pro: inhaltlich explizit
Contra: rassistische Argumentationen laufen heute nicht mehr über biologische Unterschiede, sondern über die Nichtvereinbarkeit unterschiedlicher Kulturen

2) Rassismus ohne Rasse (S.26)
a. „essentialistische Klassifikation“ (wie 1a)
b. „(implizite) Hierarchisierung“ (wie 1b)
c. „Machtunterschied zwischen rassistisch konstruierten Gruppen“/ „Konstruktionsmacht“
Pro: Einsicht, dass Kulturen wie Rassen konstruiert werden: „als statisch, vererbbar, in sich homogen und nach außen abgeschlossen“ (S.25)
Contra: Beliebigkeit; keine Abgrenzung zu anderen diskriminierenden Praktiken wie Sexismus

Interpretation rassistischer Praktiken auf Makroebene:
1) Ökonomische Fragestellungen (S.35)
a. „Rassismus als Untergliederung von Klassengegensätzen“
b. „herrschaftsstabilisierende Spielweise kultureller Phantasien“
Kritik: Neigung dazu, alle nicht ökonomisch erklärbaren Phänomene als nebensächlich zu behandeln

2) Kulturalistische Fragestellung
a. Gesellschaftliche Konstruktionen im Zentrum
b. Diskurse und Ideologien Untersuchungsgegenstand

Kritik: Gefahr vage zu bleiben, da konkrete Bezüge zu Handlungen schwer herzustellen sind; Gefahr hauptsächlich „explizite und intentionale Äußerungsformen des Rassismus zu erfassen“ (S.39) und nicht implizite, „diskriminierende Effekte von Taten“ (S.38)

Kobayashi, Audrey/ Peake, Linda (2000): Racism out of place
Definition von „whiteness“:
1) Position, die strukturelle Vorteile und Macht beinhaltet (bessere Bezahlung, bessere Grundversorgung, längeres Leben…)

2) Standpunkt, von dem aus man sich selbst, andere und die Gesellschaft wahrnimmt; dieser Standpunkt wird als normal und sogar als moralisch höherstehend begriffen.

3) Sammlung von kulturellen und politischen Praktiken, die auf ideologischen Normen basieren und häufig nicht als „white“ sondern als normal oder amerikanisch bezeichnet werden.


Die Autorinnen zeigen anhand des Amoklaufs an der Columbine High School in Littelton, wie die amerikanische Kultur implizit von „whiteness“ bestimmt wird. In den öffentlichen Diskursen, seien die Täter als „unnormale“ Einzelpersonen dargestellt worden, da sie sonst nicht in das Weltbild des „normalen“ Amerikaners passen würden. Dadurch, dass das Konzept „whiteness“ implizit und somit auch unreflektiert angewendet wird, wird Rassismus soweit naturalisiert bis er nicht mehr wahrnehmbar/existent ist.
Als Konsequenzen für die Geographie fordern die Autorinnen, dass sowohl die Disziplin, wie auch jeder einzelne lernen muss, sich vom Konzept „whiteness“ wie auch von sonstigen impliziten Vorurteilen freizumachen.

Frankreichs Vorstadtproblematik
Banlieue [bɑ̃ˈljø] (weiblich, französisch wörtlich Bannmeile, von lateinisch bannum leucae) ist der französische Ausdruck für eine Vorstadt im Sinne der Gesamtheit der Vororte einer Großstadt. Es ist nicht ein einzelner Vorort gemeint. Historisch entstand die Bezeichnung für den Bereich von einer Meile um die Stadt, der noch der städtischen Gerichtsbarkeit unterstand. (Wikipedia, 4.5.09)

Heutige Umgangssprache: Banlieue => Lieu du ban = Ort der Verbannung

In Frankreich sind es die Banlieues rund um Paris, in denen sich seit den 70er Jahren die Problematik, der teilweise entwurzelten, jedoch sicherlich stark marginalisierten Jugendlichen zugespitzt hat. Aus den verschiedenen gelesenen Artikeln geht hervor, dass es eine neue Art des Konfliktes, eine neue Problematik ist, welche sehr diffus und schwer fassbar ist. Dieser Konflikt hat sich schon lange angekündigt, brennende Autos sind keine Neuheit von 2005.

1970/80 Arbeitskräftemangel im Industriesektor. Bau von Plattenbau ähnlichen Bauten in der Nähe von Industriezonen um die benötigten Arbeitskräfte unterzubringen. Einwanderung vieler Gastarbeitenden, vor Allem Männer, welche die Intention hatten wieder in ihr Heimatland zurückzukehren.

80/90er Die Gastarbeiter konnten mittlerweile ihre Frauen, Familien nachziehen, was dazu führte, dass sie stärker an Frankreich gebunden wurden. Jedoch nahm gleichzeitig die Auslagerung eines Großteils der Produktion in Billiglohnländer stark zu. Dies führte dazu dass die Arbeitslosigkeit stieg und eine starke Segregation nach sozialer Schicht im Zusammenhang mit der ethnischen Herkunft begann.

Frankreich hat eine republikanische Einbürgerungspraxis, diese funktioniert nach der Jus Solis. Was heißt, dass wer im Land geboren wird automatisch Französische/r Staatsangehörige/r ist. Somit sind die Kinder der zweiten Generation automatisch Franzosen und Französinnen, im Zusammenhang mit der Banlieue Problematik, wurden sie jedoch zu Franzosen/innen zweiter Klasse degradiert.

Diskussionspunkte:
  • Macht der Begriff „Rassismus“ im Kontext „Rassismus ohne Rasse“ noch Sinn? Wie lautet deine persönliche Definition von Rassismus? Außerdem „hinkt die Wissenschaft zwangsläufig der politischen Entwicklung rassistischer Ideologien hinterher.“ (Weiss, 2001, S.29) Was bedeutet das für die Diskussion und die Forschung?
  • Könnte sich in anderen Ländern eine ähnliche Situation ergeben, oder ist diese Entwicklung durch die speziellen Bedingungen in Frankreich (Jus Solis, Kolonialstaat) einzigartig?
  • Ist die Revolte ohne Anführer ein Ausdruck einer globalisierten, entwurzelten Jugend, welche aus Verzweiflung zur Gewalt greift. Ist diese Hypothese richtig? Stärken die Krawalle die Führungsschicht oder sind sie ein adäquates Mittel der Jugendlichen um sich aus ihrer Situation zu befreien?
  • Weshalb dauerte es so lange bis die Presse auf die Problematik in den Banlieues aufgesprungen ist. Wie stark wird ein solcher Konflikt von den Medien konstruiert?


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