Christiania: Staat und Bewohner kämpfen um Nutzungsrecht des "Freistaats"
Hannes Gamillscheg, Kopenhagen, Basler Zeitung 5.11.08
Dürfen die Bewohner von Christiania dort bleiben, weil sie seit Jahrzehnten dort wohnen, oder darf der Staat das frühere Kasernengelände in Kopenhagen nutzen? Die Frage entscheidet ab jetzt das Gericht.
Gerichtsfall Christiania
Letzte Woche prallten die Kampfhähne wieder in Kopenhagens Strassen aufeinander. Da hatten die Einsatztruppen der Polizei in Kampfuniform das Gelände des Freistaats Christiania gestürmt, um dort eine illegal errichtete Baracke zu schleifen. Die Christianiter und ihre Sympathisanten rächten sich, indem sie die Ordnungshüter mit Steinen bewarfen und Autos abfackelten. Seit Montag geht es im Streit um Christiania wieder gesitteter zu: Vor dem Oberlandesgericht hat die wohl letzte Etappe im Tauziehen um den legalen Status des selbst ernannten Freistaats begonnen. Die entscheidende Frage: Hat der Staat das Nutzungsrecht über das vor 37 Jahren besetzte einstige Kasernengelände? Oder haben sich dessen Bewohner inzwischen ein Gewohnheitsrecht ersessen?
In offiziellen Broschüren, die das Kopenhagener Aussenministerium vertreibt, verweisen die Autoren gerne auf Christiania als Beispiel für die angeblich typisch dänische Toleranz. Der Fremdenverkehrsverband reiht die "Hippie-Republik" als Touristenattraktion auf einer Stufe mit dem Tivoli und der Kleinen Meerjungfrau. Doch im Parlament hatte die Alternativgesellschaft mit ihrer Ablehnung des Eigentumsrechts, mit ihrem liberalen Umgang mit "weichen Drogen" und ihrer Konsensdemokratie, in der ein Beschluss erst gilt, wenn alle zugestimmt haben, von Anfang an wenig Freunde. Zwar akzeptierte die Regierung Christiania ursprünglich als "soziales Experiment". Doch schon 1975 beschloss das Parlament, dass das besetzte Gelände wieder geräumt werden müsse.
Selbstreinigungsaktionen
Anderseits wollte man nicht gerade Panzer schicken, um die Kaserne gewaltsam zurückzuerobern, und dass in Christiania soziale Aussenseiter eine Bleibe fanden, die man andernfalls mit teuren Programmen hätte versorgen müssen, trug dazu bei, dass die Drohungen nie verwirklicht wurden. Christiania blieb. Christiania wuchs mit phantasievollen Gebäuden und pfiffigen werkstätten, mit üblen Spelunken und offenem Drogenhandel. In Selbstreinigungsaktionen befreiten sich die Bewohner von den Junkies und ihren Dealern und Rockergruppen, doch billige Hehlerwaren und eine Pfeife Haschisch blieben umstrittene Markenzeichen des Freistaats. Die einen hielten Christiania für eine notwendige Freistätte für Menschen, die sich den ausserhalb geltenden Normen nicht anpassen können, die anderen für eine „Eiterbeule“ der Wohlfahrtsgesellschaft.
Erholungsgebiet
"Normalisiert" müsse Christiania werden, beschloss die bürgerliche Parlamentsmehrheit nochmals vor vier Jahren und kündigte den Bewohnern das kollektive Nutzungsrecht. Die naturschöne Anlage solle Erholungsgebiet für alle Kopenhagener werden, die Eigenart will man teilweise bewahren und einen Teil der Gebäude erhalten, andere aber will man abreissen und durch Eigentumswohnungen ersetzen. Für die Christianiter, die meinen, sie hätten ihr Bleiberecht verbürgt bekommen, als sie 1982 begannen, für ihren Verbrauch an Wasser und Strom zu zahlen, ist der Vorschlag nicht annehmbar. Sie wollen weiter bestimmen können, wer in Christiania wohnen darf, und Eigentum ist im Freistaat verpönt. So müssen nun die Richter entscheiden, ob der Staat oder die rund 2000 Bewohner den stärkeren Rechtsanspruch auf das Gelände haben. Mit einem Urteil wird im Januar gerechnet.
Ablauf der Ereignisse
Dürfen die Bewohner von Christiania dort bleiben, weil sie seit Jahrzehnten dort wohnen, oder darf der Staat das frühere Kasernengelände in Kopenhagen nutzen? Die Frage entscheidet ab jetzt das Gericht.
Gerichtsfall Christiania
Letzte Woche prallten die Kampfhähne wieder in Kopenhagens Strassen aufeinander. Da hatten die Einsatztruppen der Polizei in Kampfuniform das Gelände des Freistaats Christiania gestürmt, um dort eine illegal errichtete Baracke zu schleifen. Die Christianiter und ihre Sympathisanten rächten sich, indem sie die Ordnungshüter mit Steinen bewarfen und Autos abfackelten. Seit Montag geht es im Streit um Christiania wieder gesitteter zu: Vor dem Oberlandesgericht hat die wohl letzte Etappe im Tauziehen um den legalen Status des selbst ernannten Freistaats begonnen. Die entscheidende Frage: Hat der Staat das Nutzungsrecht über das vor 37 Jahren besetzte einstige Kasernengelände? Oder haben sich dessen Bewohner inzwischen ein Gewohnheitsrecht ersessen?
In offiziellen Broschüren, die das Kopenhagener Aussenministerium vertreibt, verweisen die Autoren gerne auf Christiania als Beispiel für die angeblich typisch dänische Toleranz. Der Fremdenverkehrsverband reiht die "Hippie-Republik" als Touristenattraktion auf einer Stufe mit dem Tivoli und der Kleinen Meerjungfrau. Doch im Parlament hatte die Alternativgesellschaft mit ihrer Ablehnung des Eigentumsrechts, mit ihrem liberalen Umgang mit "weichen Drogen" und ihrer Konsensdemokratie, in der ein Beschluss erst gilt, wenn alle zugestimmt haben, von Anfang an wenig Freunde. Zwar akzeptierte die Regierung Christiania ursprünglich als "soziales Experiment". Doch schon 1975 beschloss das Parlament, dass das besetzte Gelände wieder geräumt werden müsse.
Selbstreinigungsaktionen
Anderseits wollte man nicht gerade Panzer schicken, um die Kaserne gewaltsam zurückzuerobern, und dass in Christiania soziale Aussenseiter eine Bleibe fanden, die man andernfalls mit teuren Programmen hätte versorgen müssen, trug dazu bei, dass die Drohungen nie verwirklicht wurden. Christiania blieb. Christiania wuchs mit phantasievollen Gebäuden und pfiffigen werkstätten, mit üblen Spelunken und offenem Drogenhandel. In Selbstreinigungsaktionen befreiten sich die Bewohner von den Junkies und ihren Dealern und Rockergruppen, doch billige Hehlerwaren und eine Pfeife Haschisch blieben umstrittene Markenzeichen des Freistaats. Die einen hielten Christiania für eine notwendige Freistätte für Menschen, die sich den ausserhalb geltenden Normen nicht anpassen können, die anderen für eine „Eiterbeule“ der Wohlfahrtsgesellschaft.
Erholungsgebiet
"Normalisiert" müsse Christiania werden, beschloss die bürgerliche Parlamentsmehrheit nochmals vor vier Jahren und kündigte den Bewohnern das kollektive Nutzungsrecht. Die naturschöne Anlage solle Erholungsgebiet für alle Kopenhagener werden, die Eigenart will man teilweise bewahren und einen Teil der Gebäude erhalten, andere aber will man abreissen und durch Eigentumswohnungen ersetzen. Für die Christianiter, die meinen, sie hätten ihr Bleiberecht verbürgt bekommen, als sie 1982 begannen, für ihren Verbrauch an Wasser und Strom zu zahlen, ist der Vorschlag nicht annehmbar. Sie wollen weiter bestimmen können, wer in Christiania wohnen darf, und Eigentum ist im Freistaat verpönt. So müssen nun die Richter entscheiden, ob der Staat oder die rund 2000 Bewohner den stärkeren Rechtsanspruch auf das Gelände haben. Mit einem Urteil wird im Januar gerechnet.
Ablauf der Ereignisse

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rageo - 5. Nov, 17:12 Article 1121x read
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