Wohnraum bleibt rares Gut

Ruedi Kunz, Der Bund, 14. Oktober 2008

In Bern wird Wohnungsbau betrieben wie schon lange nicht mehr. Bevölkerungsmässig wird die Stadt dennoch nicht gross zulegen können. Zu stark ist der Raumbedarf gestiegen.

Es ist einiges in Bewegung gekommen in Stadtpräsident Alexander Tschäppäts «Wohnstadt Bern». Seit 2005 sind durch Neubauten, Umnutzungen und Verdichtungen rund 1350 Wohnungen entstanden. Allein 2008 werden gegen 600 Neubauwohnungen bezogen, was dem höchsten Wert seit 1980 entspricht. «Wir befinden uns in einer sehr wohnintensiven Phase», sagt Tschäppät. Besonders stolz ist er, dass 70 Prozent der zwischen 2001 und 2007 fertiggestellten Neubauwohnungen über vier Zimmer oder mehr verfügen.

Ein Ende des Baubooms ist vorerst nicht in Sicht. In Brünnen entstehen bis 2012 rund 350 Eigentums- und Mietwohnungen. In fortgeschrittenem Stadium befinden sich die Siedlungen Weissenstein (rund 300 Wohnungen), Acherli (107 Wohnungen) und Wangenmatt (113 Wohnungen) in Bern West. Auf der anderen Seite der Stadt richtet sich der Fokus auf Baumgarten Ost und Schönberg Ost: Auf beiden Arealen wird 2009 mit dem Bau der ersten von insgesamt 500 Wohnungen begonnen. Dieser Wohnungstyp ist nach dem Gusto der Bürgerlichen, die neue Bauzonen fordern, wo grosszügiges Stockwerkeigentum möglich ist oder wo Ein- oder Zweifamilienhäuser mit reichlich Umschwung hingestellt werden können. «Für Leute, die solches wünschen, ist in den letzten Jahren viel zu wenig getan worden,» sagt Finanzdirektorin Barbara Hayoz (fdp). RGM habe mit seiner Wohnbaupolitik lange bloss Leute mit tiefem Einkommen nach Bern geholt.

«Wende ist endlich geschafft»
Tschäppät ist der Meinung, die Stadt habe ihre Hausaufgaben gemacht: «Wir haben die Wende endlich geschafft und die Abwanderung stoppen können.» Stadträtin Verena Furrer, Wohnbauspezialistin bei der GFL, ist mit dem Erreichten nur bedingt zufrieden: «Uns ist bisher im Neubaubereich zu wenig passiert.» Immerhin seien in letzter Zeit weitere Grossprojekte aufgegleist worden. FDP-Fraktionschef Philippe Müller sagt, Tschäppät betreibe Augenwischerei. Es werde wohl viel umgebaut, doch beim Neuwohnungsbau hapere es weiterhin. Die paar 100 Wohnungen genügten bei Weitem nicht, um die von Tschäppät angepeilte Marke von 140000 Einwohnern zu erreichen. Das bestätigt auch ein Bericht des Stadtplanungsamtes: Die 2600 Wohneinheiten, die in den nächsten Jahren mit grosser Sicherheit entstehen, deckten kaum den Raumbedarf der heute in Bern lebenden Bevölkerung (knapp 130000 Personen) ab. Wolle die Stadt bis 2020 um 10 Prozent wachsen, so müssten grössere neue Gebiete eingezont werden, heisst es weiter. Mögliche Standorte: Riedbach, Viererfeld, Hintere Schosshalde, Wittigkofen und der Waldstreifen zwischen Bremgartenstrasse und Autobahn (Waldstadt Bremer).

Dauerbrenner Wohnungsnot
Das Bedürfnis nach immer mehr Raum – Bern 1970: 30 m2; Bern 2007: 44 m2 – hat die Wohnungsnot in den grossen Städten verschärft. Ende Juni betrug der Leerwohnungsbestand in der Stadt Bern 0,38 Prozent; gar nur 0,03 Prozent aller Wohnungen standen in Zürich frei. Die Wohnungskrise hat zur Folge, dass die Mietzinse ansteigen und Personen mit tiefen Einkommen immer mehr Mühe bekunden, eine zahlbare Wohnung zu finden. Aber auch mittelständische Familien geraten zusehends unter Druck. Wer sich nicht 2200 bis 2500 Franken Monatsmiete leisten kann, der muss sich gar nicht erst um dem Grossteil der Neubauwohnungen bewerben, die derzeit auf dem Markt angeboten werden. Ob Weissenstein, Scheuerrain/Sulgenau, Wohnpark Von Roll, Schnellgutareal Wyler oder Breitenrainstrasse: Eine Viereinhalbzimmerwohnung mit dem heute üblichen Ausbaustandard unter 2000 Franken sucht man vergebens. Solche finden sich höchstens in Ausserholligen oder Bern West.


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