Buch und Ausstellung zu Berns verschollenem Arbeiterquartier

Simona Benovici, Ebund, 09.02.2012

Die «Wylerhüsli» waren das erste Projekt sozialen Wohnungsbaus in der Schweiz. Längst in Vergessenheit geraten, ist die Armeleute-Siedlung nun Thema einer Ausstellung.

Ausstellung
Die Ausstellung «Wylerhüsli – Berns erste Arbeitersiedlung» im Kornhausforum, Kornhausplatz 18, dauert bis am 3. März. Eintritt frei.



Es war ein «Quartier billiger Wohnungen», eine Siedlung mit Modellcharakter für die Armen in der Stadt Bern. Am 13. November 1889 genehmigte der Berner Gemeinderat die Pläne für eine Siedlung auf dem Wylerfeld zur Linderung der Wohnungsnot: 98 Wohnungen in Doppel- und Reihenhäusern aus Holz, allesamt mit Garten zur Selbstversorgung. Einfachster Wohnraum ohne Strom und fliessend Wasser. Heute erinnert nichts mehr an das bescheidene Dörfli diesseits der Bahnlinie. 1972 fiel das letzte Hüsli den Flammen zum Opfer – im Rahmen einer Feuerwehrübung. Auf dem Wylerfeld musste Platz geschaffen werden für moderne Wohnblöcke und Hochhäuser.

«Wylergiele» galten als Vaganten
In einem Buch hat nun der Berner Fotograf Andreas Blatter, der seine Jugendjahre selbst im Wylerfeld verbracht hat, Zeitdokumente zusammengetragen, die das längst vergessene Arbeiterquartier im Norden Berns wieder aufleben lassen. Der 120-seitige Band «Wylerhüsli – Legendäres Arbeiterquartier im Berner Wylerfeld» zeichnet die Entstehungsgeschichte der Siedlung nach, erzählt vom Leben im verrufenen Quartier und seinen Bewohnern.

«Die Wylergiele galten als Vaganten», sagt Blatter. Nicht viel Geld in den Taschen, stibitzten die Buben nicht selten Obst von fremden Bäumen und trugen Bandenkämpfe gegen die «Aareggler» aus. Die Wylerfeld-Kinder wurden ihrer ärmlichen Kleidung wegen gehänselt, manche Mütter verboten ihren Sprösslingen gar den Umgang mit den Gleichaltrigen aus dem Wylerfeld.

Der Duft der Hüsli wieder in der Nase
«Manchmal habe ich das Gefühl, dass mir der muffelige Duft der Hüsli wieder in die Nase steigt», sagt Andreas Blatter nach fünf Jahren Zusammentragen von Dokumenten, Zeitzeugen-Aussagen und Bildern. Letztere werden ab heute auch im Kornhausforum ausgestellt und machen so die Geschichte des «verschollenen Quartiers», wie es Blatter nennt, wieder sichtbar.



«Wylerhüsli»: Ein ungeahnter Erfolg
Das Buch «Wylerhüsli» des Autors Andreas Blatter stösst auf grosses Interesse: Seit zwei Monaten auf dem Markt, ist die erste Auflage bereits ausverkauft, 600 Exemplare sind abgesetzt.

Dabei hätte es den Band um ein Haar nicht gegeben: «Die Verlage, denen ich das Projekt angeboten habe, lachten mich beinahe aus», erinnert sich Blatter. Schliesslich brachte er sein Werk selbst heraus.

Die zweite Auflage ist in den nächsten Tagen wieder lieferbar. Unter www.wylerhuesli.ch kann das Buch bestellt werden. (hjo)


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