Fichenskandal in der Schweiz 2. Akt im Jahr 2010 - Hintergründe und Aufruf zur Akteneinsicht

Aufruf von Grundrechte.ch: Sofort Akteneinsicht verlangen!


Fichendemo 3.3.1990 nach Bekanntwerden, dass der Schweizer Staat über 900'000 Menschen politisch motiviert überwacht hatt.


grundrechte.ch befürchtet, dass im Zuge des Ende Juni 2010 publik gewordenen Fichenskandals Hunderte von Staatsschutz-Einträgen und Akten vernichtet werden.

Alle, die möglicherweise von einer Fichierung betroffen sind, ruft grundrechte.ch dringend dazu auf, sich umgehend ihre Akteneinsicht zu sichern bzw. die Vernichtung der Fichen zu verhindern:

Gestützt auf Art. 18 Absatz 6 sind die Staatsschützer verpflichtet, denjenigen registrierten Personen, die ein Auskunftsgesuch gestellt haben, vor der Löschung bzw. bei Ablauf der Aufbewahrungsdauer Auskunft zu erteilen. Wer also umgehend ein Einsichtsgesuch einreicht, kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, mehr Licht ins Dunkel der Geheimdienstkeller zu bringen. Das Einsichtsgesuch muss deshalb sowohl an den Eidg. Datenschutzbeauftragten wie auch an den NDB (vormals DAP) direkt geschickt werden.

link_ikon Musterbrief Ficheneinsicht

Zum Hintergrund und weitere Infos

link_ikon Bericht GPDel vom 21. Juni 2010
link_ikon Rendez-vous vom 30.06.2010 (DRS 1)
link_ikon Medienmitteilung grundrechte.ch vom 30. Juni 2010
link_ikon Interview mit Daniel Vischer
link_ikon Eingebürgerte in Staatsschutzdatenbank
link_ikon Datenschützer wollen durchgreifen
link_ikon Presseschau vom 5. Juli 2010
link_ikon Drei Beispiele von Betroffenen, Tages-Anzeiger

siehe auch
link_ikon 20 Jahre Protest gegen den Fichenskandal
link_ikon Aufsicht über Staatsschutz in Basel
link_ikon 13 000 Fichierte mit Wohnsitz in der Schweiz
link_ikon Fichenaffäre II
link_ikon Fichenaffäre I


200 000 neue Fichen
link_ikon Grundrechte.ch, 30. Juni 2010

GPDel legt endlich Bericht zum Staatsschutzinformationssystem ISIS vor
Harte Kritik an der Fichierung beim Bund: Der Nachrichtendienst hat laut dem Aufsichtsgremium jahrelang die vorgeschriebene Pflege der Staatsschutz-Datenbank vernachlässigt. Dafür sammelte er laufend neue Einträge: Heute sind 200'000 Personen registriert.

Das neue Urteil der parlamentarischen Oberaufsicht ist brisant: Sie habe «Zweifel an der Richtigkeit und Relevanz der Daten» in der Datenbank, schreibt sie. Der ehemalige Dienst für Analyse und Prävention (DAP) habe den gesetzlichen Anforderungen an die Qualitätssicherung der Daten «in keiner Art und Weise entsprochen».

Verdoppelung der Einträge
Das Resultat: Heute sind nach Angaben der GPDel 120'000 Personen in der Datenbank ISIS registriert - zudem ungefähr 80'000 sogenannte Drittpersonen. Letztere sind lediglich registriert, weil sie einer Verbindung zu einer registrierten Person oder zu einer Meldung in der Datenbank haben. Ende 2004 waren es 60'000 registrierte Personen.

Bis Ende 2009 war der DAP für die Datenbank zuständig. Er gehörte bis Ende 2008 zum Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), danach zum Verteidigungsdepartement (VBS). Seit Anfang 2010 ist der neue Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zuständig. Mit ein Grund für die Untersuchung der GPDel war die Fichierung von Basler Grossräten im Jahre 2007.

Daten aus Überwachungen werden nicht mehr an die Auftraggeber übermittelt, sondern zentral beim Bund gespeichert und bis zu 30 Jahren aufbewahrt.

Qualität der Daten nicht überprüft
In der Datenbank sollten nur Personen registriert sein, die staatsschutzrelevant sind. Unter anderem deshalb sieht das Gesetz eine periodische Beurteilung von Einträgen spätestens fünf Jahre nach der ersten Meldung vor. Die GPDel geht davon aus, dass diese zwischen Ende 2004 und Ende 2008 nicht durchgeführt wurden. Grund waren unter anderem technische Probleme.

Die Regeln bei der Erfassung hätten zudem dazu geführt, dass keine genaue Prüfung stattfand, ob eine Person wirklich in die Datenbank gehört, stellte die GPDel weiter fest. Auch seien systematisch falsche Daten eingetragen worden. Die GPDel wirft dem DAP eine falsche Prioritätensetzung vor: Anstatt die Qualität der vorhandenen Daten zu prüfen, konzentrierte er sich auf die Erfassung neuer Daten.

Bis Ende Oktober 2010 muss der Bundesrat zu 17 Empfehlungen der GPDel Stellung beziehen.

Urs von Daeniken abgesägt
Das erste greifbare Resultat des Berichts zu ISIS ist der Rücktritt Urs von Daenikens als Reorganisator der Bundesanwaltschaft. Aufgrund schwerer Vorwürfe der GPDel an seine Adresse entzog ihm die GPK das Vertrauen, und am 2. Juli 2010 trat er zurück. Er bleibt aber noch 18 Monate auf der Lohnliste des EJPD. Gleichentags hat der Direktor des NDB, Markus Seiler, eine «restriktivere Linie» für den Umgang mit der Staatsschutz-Datenbank Isis verordnet. Ab sofort wird nur noch fichiert, wer in einer Prüfung als Gefahr für die Sicherheit der Schweiz taxiert wurde. Eine derartige Praxisänderung wäre aber schon vor 2 Jahren, nach Bekanntwerden der ersten ungerechtfertigt fichierten Personen, angezeigt gewesen.

Eingebürgerte in Staatsschutzdatenbank
Der Inlandgeheimdienst DAP kontrolliert alle Eingbürgerungswilligen und registriert sie systematisch in der Verwaltungsdatenbank Isis02. Schnell wandern Personendaten von der Verwaltungsdatenbank Isis02 in die Datenbank Isis01, in welcher Personen registriert sind, die als Gefahr für die Schweiz betrachtet werden. Mit zwei weiteren Meldungen zur selben Person geschieht dieser Datentransfer automatisch.

Unbekannte Anzahl weiterer Fichen in den Kantonen - Datenschützer wollen durchgreifen
In vielen Kantonen existieren auch kantonale Staatsschutzdatenbanken. Die genaue Zahl dieser Fichen kennen die kantonalen Datenschützer nicht. «Im Kanton Bern waren es vor zwei Jahren rund 1800 Datensätze - doch es sind sicher mehr fichierte Personen», sagt der Datenschutzbeauftragte Markus Siegenthaler. Weil die Aufsicht beim NDB versagt hat, wie der GPDel-Bericht zeigt, wollen die Datenschützer jetzt handeln. Sie verlangen eine starke Aufsicht im Kanton. Deshalb haben sie eine Arbeitsgruppe «Innere Sicherheit» eingesetzt. «Es muss die Frage geklärt werden, welche Kompetenzen die Datenschützer auch ohne Zustimmung vom Bund haben, um Daten zu prüfen», sagt Aargaus Datenschützerin Kersten, Leiterin der Arbeitsgruppe. Bis zum Herbst soll ein Bericht vorliegen.


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