Machtkampf (und Neuorientierung) im IWF

Robert Mayer, Der Bund, 06.10.2009

An der Jahresversammlung des Internationalen Währungsfonds in Istanbul werden die Karten neu gemischt – Europa wird dabei an Macht verlieren.

Es gibt sie tatsächlich: Institutionen, die von der Finanzkrise profitieren konnten. Zu ihnen gehört der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Sitz in Washington, der sich heute mit massiv aufgestockten Geldmitteln sowie erweitertem Aufgaben- und Kompetenzkatalog präsentiert. Wenn der Fonds die 186 Mitgliedsländer in diesen Tagen zur Jahresversammlung nach Istanbul ruft, wird trotzdem dicke Luft herrschen; dafür sorgt ein zusehends heftiger ausgetragenes Machtgerangel. Unter der Führung von Brasilien, Indien, China und Russland fordern die Schwellenländer mehr Stimmrechte im IWF. Tatsächlich widerspiegelt die heutige Gewichtsverteilung nur noch bedingt die weltwirtschaftlichen Gegebenheiten. Deutlich überrepräsentiert sind die europäischen Länder, die nicht nur traditionsgemäss den IWF-Chef stellen, sondern auch rund ein Drittel der Stimmrechte auf sich vereinen. Sie stellen im obersten Leitungsgremium des IWF 10 von 24 Exekutivdirektoren. Einer dieser Direktoren entfällt auf die Schweiz, die damit eine Ländergruppe mit Polen, Serbien, Aserbaidschan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan vertritt.

Belgien kommt vor Brasilien
Geradezu grotesk mutet an, dass beispielsweise Belgien auf 2,09 Stimmprozente kommt, während sich Brasilien mit 1,38 Prozenten begnügen muss. Und China (3,66) sieht sich von Ländern wie Frankreich (4,85) oder Deutschland (5,88) deutlich überflügelt. Der Schweiz stehen im IWF 1,57 Stimmprozente zu. Auch sie ist, gemessen am Beitrag zur Weltwirtschaft, klar überrepräsentiert.

Solange diese Missverhältnisse fortbestehen, sieht sich der IWF mit einem Legitimationsproblem konfrontiert. Dies vorab in Lateinamerika und Asien, wo noch immer in Erinnerung ist, wie die mit übermässig harten wirtschaftlichen Auflagen verbundene Kredithilfe des Fonds in den 1990er-Jahren die damalige Krise zusätzlich verschärfte. Doch nur ein auch von den Schwellenländern vollauf respektierter IWF kann seine neuen Rollen als Überwacher der einzelstaatlichen Finanzmarktreformen, als Mahner gegen den Protektionismus oder als Forum für ein ausgeglicheneres Wachstum der Weltwirtschaft überzeugend spielen.

Aus diesen Überlegungen heraus hat der kürzlich in Pittsburgh veranstaltete G20-Gipfel beschlossen, den Schwellenländern einen zusätzlichen Stimmenanteil von mindestens 5 Prozent im IWF bis Januar 2011 zuzugestehen.

Schweizer IWF-Sitz wackelt

Bei der Frage, wer zugunsten der Schwellenländer Federn lassen soll, beginnt der Disput so richtig. Die Europäer, einschliesslich die Schweiz, wehren sich mit Händen und Füssen gegen die absehbare Einbusse an Macht. Der Schweiz droht der Verlust ihres Sitzes im IWF-Exekutivdirektorium – vor allem, wenn sich die USA mit ihrem Vorschlag durchsetzen sollten, die Zahl der Direktoren von 24 auf 20 zu verringern.



Maren Peters und Susanne Giger,Echo der Zeit (DRS1), 5.10.2009
IWF gewinnt durch die Krise an Bedeutung

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Vor zehn Tagen haben die G-20-Staaten beschlossen, den Internationaler Währungsfond (IWF) zum Wächter über die globale Finanzstabilität zu machen - eine klare Aufwertung. Ab morgen nun diskutieren IWF und Weltbank die dazugehörenden Details. Doch längst nicht alle Staaten sind überzeugt, dass der IWF seine neuen Aufgaben auch erfüllen kann.


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