Film`La forteresse

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ab 12. März in den Kinos der Deutschschweiz !



Ein Interview mit dem Regisseur und Produzent Fernand Melgar

«Damit man sieht, was passiert»
Thomas Allenbach, Der Bund, 10.03.2009

Während zweier Monate hat der Lausanner Filmemacher das Leben im Asyl-Empfangszentrum Vallorbe beobachtet. Das Resultat: ein subtiles Zeugnis ohne ideologische Scheuklappen aus dem Innern des Asylwesens.

«Bund»: Ihrem Film gaben Sie den Titel «La forteresse». Ist für Sie, Fernand Melgar, die Schweiz eine Festung?
Fernand Melgar: Nicht nur die Schweiz, Europa ist eine Festung. Eine Festung ist ein Ort, in den man nur sehr schwer eindringen, den man aber leicht verlassen kann. Zugleich erinnert das Wort an das Mittelalter. Ich habe den Eindruck, dass wir in einem mittelalterlichen Krieg stecken. Wir schliessen uns in Festungen ein und werfen Steine und brennendes Öl auf die Menschen, die sich der Festung nähern.

In einer Festung ist man aber auch geschützt . . .

Ja, aber sie hat keine Fenster, nur Schiessscharten. Man sieht nicht, was ausserhalb passiert. Die Idee des Filmes war es nicht etwa, die Tore der Festung zu öffnen, sondern ihr Fenster zu geben, damit man sieht, was passiert.

Was war der Auslöser für den Film? Waren das eher politische oder persönliche Gründe?
Beides. Ich bin der Sohn eines spanischen Saisonniers, der in den Sechzigerjahren in die Schweiz kam. Das Saisonnier-Statut verbot damals den Nachzug der Familie, meine Schwester und ich lebten deshalb illegal hier. Jedes Mal, wenn sich die Türe öffnete, versteckten wir uns unter dem Bett und hatten Angst, entdeckt zu werden. In meinen Filmen geht es immer wieder darum, wie man das Fremde, das Andere akzeptieren kann.

Und was war der politische Auslöser?
Den Ausschlag gab die eidgenössische Abstimmung vom 24. September 2006, als das Schweizer Volk eine massive Verschärfung des Asyl- und Ausländergesetzes beschloss. Das Resultat überraschte mich zwar nicht, erschütterte mich aber dennoch. Wie konnte eine Mehrheit der Schweiz, des Depositärstaates der Genfer Konvention, das restriktivste Asylgesetz Europas annehmen? Ich glaube an die politischen Institutionen der Schweiz. Der Abstimmungskampf zeigte aber auch, dass die Demokratie fragil ist und dass man mit Kampagnen und Geld die öffentliche Meinung manipulieren kann. Ich sagte mir, ich reagiere auf die Kampagne mit den schwarzen Schafen nicht mit einem militanten Film. Ich will kein Urteil fällen, sondern Zeuge sein und die konkreten Konsequenzen dieser Abstimmung aufzeigen.

Muss man nicht Partei ergreifen, wenn man einen Film zu diesem Thema macht?

Ich mache engagiertes Kino in dem Sinne, dass ich vom Zuschauer Engagement fordere: Er muss sich selber eine Meinung bilden. In einem militanten, parteiischen Film urteilt man über eine Situation und diktiert eine Meinung. Meine Grosseltern waren spanische Anarchisten und Anarchosyndikalisten. In unserer Familie herrschte eine Kultur des freien Denkens, zugleich wurde uns stets vermittelt, dass jeder die Macht hat, mit kleinen Aktionen zu Veränderungen beizutragen. Ich mache keine Filme, in denen ich sage, was man denken muss, ich mache Filme, welche die Debatte öffnen und Diskussionen anregen.

In der Realität haben Sie mit den Aktionen für den verhafteten irakischen Übersetzer Fahad – einer der Hauptfiguren Ihres Films, der derzeit in Zürich in Ausschaffungshaft sitzt – ganz konkret Partei ergriffen.
Ich war nicht als Filmemacher, sondern als Bürger am 2. März in Kloten, als Fahad hätte ausgeschafft werden sollen. Ich respektiere das Gesetz, aber im Falle von Fahad hatte ich den Eindruck, dass fundamentales Unrecht geschieht und dass sein Leben bedroht ist. Die Reaktion der Passagiere im Flugzeug, die sich für Fahad einsetzten, hat mich enorm berührt. Sie haben sich gefragt, was mit ihm passiert, und dann reagiert. Ich glaube an das Mitgefühl und die Menschlichkeit. In einer direkten Demokratie kann man durch das eigene Beispiel etwas verändern. Das ist auch ein wesentlicher Grund für meine Filme.

Weshalb haben Sie eines der fünf Asyl-Empfangszentren als Schauplatz für Ihren Film gewählt?
Die Empfangszentren sind das Herz des Dispositivs, das durch das neue Gesetz installiert worden ist. Ich erwartete, dass ich in Vallorbe auf engstirnige Funktionäre treffe, die stur und ohne Mitgefühl das Gesetz anwenden. Im Gegenteil aber entdeckte ich Menschen, die versuchten, sich mit andern Menschen zu arrangieren, um den Willen des Volkes umzusetzen, der ein schrecklicher Wille ist.

Wie schwierig war es, die Drehgenehmigung zu erhalten?

Sehr schwierig. Es dauerte sechs Monate, bis ich sie erhielt, mein Gesuch wanderte vom Bundesamt für Migration bis auf das Pult von Bundesrat Christoph Blocher. Die grösste Herausforderung beim Drehen war es, die Leute im Zentrum immer wieder von Neuem zum Mitmachen zu bewegen. Jede Woche einmal haben wir die Asylsuchenden, die in den zwei Monaten unserer Drehzeit häufig wechselten, zusammengetrommelt. Ich sagte ihnen, ihr seid geflohen, ihr habt Meere durchfahren, Wüsten durchquert. Ihr glaubt, dass ihr im gelobten Land angekommen und gerettet seid. Es tut mir leid, aber ich habe schlechte Neuigkeiten für euch: Ihr seid hier nicht willkommen, und man wird alles daran setzen, euch wieder wegzuweisen. Damit habe ich für Diskussionen gesorgt und ihr Interesse geweckt.

Haben Sie beim Drehen Kompromisse machen müssen?

Ich habe nur Kompromisse aufgrund meiner Ethik gemacht. So habe ich nie jemanden ohne dessen Einwilligung gefilmt. Alle hatten die Möglichkeit, bis zum Schluss des Films ihre Aufnahmen zurückzuziehen. In Vallorbe konnten die Leute auf einem Computer anschauen, was wir gedreht haben. Den Film habe ich auch dem Bundesamt für Migration gezeigt. Dieses hatte aber kein Recht, zu intervenieren.

Stimmt es, dass Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf Ihnen in Locarno zum Film gratuliert hat?

Ja, in aller Öffentlichkeit. Sie war aufgewühlt und hat gesagt, das sei ein notwendiger Film, den möglichst viele Leute sehen sollten. Mich stimmt nur traurig, dass sie einen Monat nach Locarno das Asylgesetz noch einmal verschärft hat. Aber ich will sie nicht verurteilen, ich schätze sie sehr, sie ist eine Politikerin, die mir moralisch sehr glaubwürdig scheint. Für mich zeigt dieses Beispiel nur, dass die Asylpolitik in einer Sackgasse steckt.

Sie zeigen in Ihrem Film auch, wie schwierig es ist, zu entscheiden, ob die Geschichten der Asylsuchenden wahr sind oder nicht.
Es ist nicht nur schwierig, darüber zu urteilen, es ist auch schwierig, vom Horror zu erzählen. Nehmen Sie das Beispiel des Somaliers: Die Beamtin sagt, seine Geschichte sei nicht glaubwürdig, weil er zu wenig konkret von sich erzähle. Jeder Psychologe aber sagt Ihnen, dass man, wenn man eine derart dramatische Situation erlebt hat, von sich wie von jemand anderem erzählt. Das ist eine Form des Selbstschutzes.

Eine wichtige Rolle spielt im Film der Glaube. Eine der schönsten Szenen ist jene, in welcher afrikanische Asylsuchende in einer Messe gar für die Schweiz beten.
Es kommt da zu einer Verbrüderung zwischen ihnen und dem Leiter des Zentrums. Ich bin gläubiger, aber nicht praktizierender Christ. In Vallorbe traf ich immer wieder auf Situationen, in denen es nicht um Konfessionen oder Kirchen ging, sondern um Glaube und Spiritualität in einem universellen Sinn. Dabei zeigte sich immer wieder, was einem bleibt, wenn man gar nichts mehr hat: Es bleiben einem nur noch Hoffnung und Glaube.

Sie dokumentieren und beobachten nicht nur, sie fügen Ihre Erfahrungen auch zu einer Art Erzählung. Am Schluss besucht der Weihnachtsmann das Zentrum, und es wird gar ein Baby geboren . . .

Der Film erzählt eine Weihnachtsgeschichte. Dies zum einen, weil er über Weihnachten spielt. Das haben wir nicht gewählt, das ergab sich aus dem Zeitpunkt der Drehbewilligung: Am Tag, nachdem ich diese erhalten hatte, begannen wir zu drehen, weil ich befürchtete, sie könnte wieder zurückgezogen werden. Die Szene mit dem Baby war mir wichtig wegen der Bemerkung des Securitas, der das Kind bringt. Er sagt, die Neugeborenen haben keinen Status: Das ist für mich ein zentraler Satz im Film. Man kann in dieser Szene auch eine Anspielung an das Krippenspiel sehen. Der Securitas und der kahlköpfige Leiter des Zentrums gleichen dabei ein wenig dem Ochsen und dem Esel im Stall zu Jerusalem.

In Ihrem Film gibt es keine Gewalt, weder unter den Asylsuchenden noch zwischen ihnen und den Aufsehern. Ist das realistisch?
Es gab während unserer Dreharbeiten keine Gewalt. Man sagte mir, das sei ausserordentlich. Vielleicht hatte das etwas mit unserer Präsenz zu tun. Die schlimmste Gewalt ist aber die im Alltag. So etwa, wenn die Schalterbeamtin einem Asylsuchenden mitteilt, er habe 24 Stunden, um das Land zu verlassen. Sie sagt ihm das freundlich lächelnd und verabschiedet sich mit einem «Au revoir et merci», als hätte er in einer Bäckerei ein Gipfeli gekauft. Das ist schrecklicher als eine Faust ins Gesicht.

Zur Person: Fernand Melgar wurde 1961 als Sohn spanischer Gewerkschafter geboren. 1963 reiste er heimlich mit seiner Mutter in die Schweiz zu seinem Vater, der hier als Saisonnier arbeitete. In Lausanne gründete er mit Freunden das alternative Kulturlokal Le Cabaret Orwell und später die Konzertbühne La Dolce Vita. Er bildete sich autodidaktisch zum Filmemacher aus und arbeitete als Cutter u. a. für Jacqueline Veuve. «La forteresse» ist sein zweiter abendfüllender Dokumentarfilm nach «Exit – Das Recht zu sterben», mit dem er 2006 den Schweizer Filmpreis gewann. (all)


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