Verhindert Wettbewerbsgedanke den PROGR Kulturbetrieb?

Seit längerer Zeit wird in der Stadt Bern diskutiert, was mit dem Progr - altes Progymnasium, heute eine aktives Künstlerprojekt, Ausgehort und Treffpunkt an bester innenstädtischer Lage - geschehen soll. Nachdem die Stadt vor einigen Jahren das Gebäude zur kulturellen Zwischennutzung freigegeben hatte, soll nun das geplante Gesundheitszentrum umgesetzt werden. Die ZwischennutzerInnen ihrerseits haben jedoch der Stadt den Kauf des Hauses angeboten, damit das Projekt fortgesetzt werden kann. Dem widersetzt sich die Berner Finanzkommission mit der Argumentation:

Das Projekt eines Gesundheits- und Schulzentrums habe sich in einem offenen Wettbewerb durchgesetzt. Es gebe keine plausiblen Gründe, davon abzuweichen, teilte die Kommission mit.

Auch die städtische Liegenschaftsverwaltung sieht keine Möglichkeit, dem KünstlerInnevorschlag zu entsprechen:

es gebe «aufgestauter Unterhalt» im Bereich Haustechnik von mehreren Millionen Franken bestehen. Die strengen Grenzwerte für Haustechnik gemäss neuer Energieverordnung führten dazu, dass Teilsanierungen rasch zu ganzheitlichen Erneuerungen führten, «deren Mehrkosten nicht absehbar sind», hielt die Verwaltung fest. Zudem sei der Bodenpreis an der zentralen Lage für eine kulturelle Nutzung zu teuer, da der Baurechtszins in der Höhe von 320000 Franken 34 Prozent der budgetierten Mietzinseinnahmen ausmache

An einer Podiumsdiskussion vom 4.3.2009 wies die SP-Stadträtin in aller Deutlichkeit auf den Kern des Problems hin:

Hätten die KünstlerInnen am Architekturwettbewerb teilgenommen, hätten sie gar keine Chance gehabt, zumal der Zuschlag an den Meistbietenden gehen sollte

In der aktuellen Debatte wird ein weiteres Mal verdeutlicht, wie zentral die ökonomischen und bodenpreislichen Überlegungen für die Stadt Bern sind. Soziale und Kulturelle Aspekte scheinen ein auf die lange Bank geschoben zu werden, wenn es um satte Gewinne geht. Ein Aspekt der in der aktuellen Reitschuldiskussion sicherlich auch mitberücksichtig werden sollte.

Ganzer Atikel:
Progr droht zum Rechtsfall zu werden
Bernhard Ott, Der Bund, 05.03.2009

Gesundheitszentrum oder Künstlerprojekt? Falls der Stadtrat heute Abend beschliesst, dem Volk eine Variante zur künftigen Nutzung des Progr vorzulegen, droht die SVP mit einer Verwaltungsbeschwerde.

Wie soll das einstige Progymnasium künftig genutzt werden? Heute Abend dürfte sich die Mehrheit im Stadtrat dafür entscheiden, den Stimmbürgern die Wahl zwischen dem Gesundheits- und Schulzentrum und dem Künstlerprojekt zu lassen. Ursprünglich hätte Mitte Mai aber nur über das erste Projekt abgestimmt werden sollen, das aus einem Architektur- und Investorenwettbewerb als Sieger hervorgegangen ist.

Mit dem wahrscheinlichen Entscheid für eine Variantenabstimmung sind jedoch beträchtliche Unsicherheiten verknüpft: Erstens schliesst die Firma Allreal als Investorin des Gesundheits- und Schulzentrums nicht aus, beim Entscheid für eine Variantenabstimmung ihr Projekt zurückzuziehen («Bund» vom 3. März). Und zweitens droht die SVP mit einer Verwaltungsbeschwerde, da mit einer Variantenabstimmung womöglich übergeordnetes Recht verletzt würde. Eine solche Beschwerde hätte aufschiebende Wirkung, was den Entscheid über die Zukunft des Progr für mindestens ein Jahr vertagen würde.

Offene «Deklaration» verlangt
Gegen eine Variantenabstimmung sprach sich auch die Mehrheit der Finanzkommission aus. Das Projekt eines Gesundheits- und Schulzentrums habe sich in einem offenen Wettbewerb durchgesetzt. Es gebe keine plausiblen Gründe, davon abzuweichen, teilte die Kommission mit. Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder zweifelte zudem daran, ob die Progr-Künstler den Betrieb des Zentrums längerfristig sichern können.

Laut der SVP kommt nun auch ein juristischer Vorbehalt ins Spiel. Mit einer Variantenabstimmung würden die Bestimmungen der interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen verletzt, sagt Stadtrat Peter Bernasconi. Der Gemeinderat habe gemäss diesen Bestimmungen dem Siegerprojekt der Allreal in Form einer Verfügung den Zuschlag gegeben. In diesem Fall könnten die Stimmberechtigten als «zuständiges, übergeordnetes Organ» nur über einen Vertragsabschluss mit den Initianten des Siegerprojekts befinden. Dies allein wäre in den Augen der SVP bereits Grund genug für eine Verwaltungsbeschwerde. Da Variantenabstimmungen aber derzeit «in Mode» seien, solle zumindest in der Abstimmungsbotschaft Transparenz geschaffen werden. «Wenn in der Abstimmungsbotschaft darauf hingewiesen wird, dass das Künstlerprojekt den Wettbewerbsbedingungen widerspricht, verzichten wir auf eine Beschwerde», sagt Bernasconi. Wenn dem Volk schon eine Variantenabstimmung vorgelegt werde, «dann sollen wenigstens die fragwürdigen Voraussetzungen des Künstlerprojekts offen deklariert werden», sagt Bernasconi. Sonst werde mit «ungleichen Ellen» gemessen, und die Stadt mache sich als Organisatorin von Wettbewerben unglaubwürdig.

Unterschiedliche Berechnungen
Als Unternehmer aus der Baubranche geht es Bernasconi im Wesentlichen darum, dass die Argumente der Liegenschaftsverwaltung in die Abstimmungsbotschaft aufgenommen werden. Die Liegenschaftsverwaltung kam nach einer Prüfung des Kaufangebotes der Progr-Künstler zu einem vernichtenden Ergebnis. So bleibe «aufgestauter Unterhalt» im Bereich Haustechnik von mehreren Millionen Franken bestehen. Die strengen Grenzwerte für Haustechnik gemäss neuer Energieverordnung führten dazu, dass Teilsanierungen rasch zu ganzheitlichen Erneuerungen führten, «deren Mehrkosten nicht absehbar sind», hielt die Verwaltung fest. Zudem sei der Bodenpreis an der zentralen Lage für eine kulturelle Nutzung zu teuer, da der Baurechtszins in der Höhe von 320000 Franken 34 Prozent der budgetierten Mietzinseinnahmen ausmache. Schliesslich seien die Kosten der Parkplatzersatzabgabe in der Höhe von gegen 800000 Franken im Künstlerprojekt nicht berücksichtigt («Bund» vom 20. Februar).

Progr-Finanzchef Günther Ketterer konterte, dass der vorgesehene Unterhaltsbetrag in der Höhe von 220000 Franken ausreiche, da die Künstler Oberflächensanierungen meist selber ausführten und auch eine sukzessive Sanierung denkbar sei. Er beklagte, dass die Kalkulation der Liegenschaftsverwaltung «Angaben wie aus der Kalkulationsschulung» enthalte und auf das konkrete Kaufangebot der Künstler kaum eingehe. «Die Stadt glaubt uns einfach nicht, dass wir viel weniger Geld brauchen als ein Gesundheitszentrum», sagte Ketterer. Er räumte einzig ein, die Parkplatzersatzabgabe nicht einberechnet zu haben. «Wir hoffen, dass wir sie nicht zahlen müssen.»

Stadtratsbeschluss angezweifelt

Als Sprecher der Finanzkommission wird Bernasconi heute aber nicht nur infrage stellen, ob das Künstlerprojekt den Wettbewerbsbedingungen entspricht. Er bezweifelt zudem, ob sich der Stadtrat am 6. November tatsächlich dafür ausgesprochen hat, dass der Gemeinderat dem Stadtrat das Künstlerprojekt als Variante vorlegen soll. Im Stadtratsprotokoll ist dieser Beschluss zwar enthalten. «Es hat jedoch niemand einen Antrag zur Durchführung einer Variantenabstimmung gestellt.» Über die einzelnen Punkte des Stadtratsbeschlusses sei auch nicht einzeln abgestimmt worden. Bernasconi räumt ein, dass das betreffende Stadtratsprotokoll an einer späteren Sitzung wohl genehmigt worden ist. Solche «Ungereimtheiten» seien aber stossend.


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