Rohstoffabbau im Kongo

Schmutzige Geschäfte in Walikale

Von Johannes Dieterich, Walikale. Der Bund, 30. März 2009

In dem seit Jahren schwelenden Bürgerkrieg im Nordosten Kongos geht es auch um die Kontrolle über die zahlreichen Rohstoff-Minen in der Region. Am Handel mit den kostbaren Gütern bereichern sich nicht nur die Krieg führenden Parteien.

Der Pilot bremst. Ächzend kommt die zweimotorige, fast 30 Jahre alte tschechische Let L-410 zum Stillstand: Im letzten Moment, denn die Strasse, die der ehemalige russische Militärpilot zum Landen benutzt, macht kaum fünfzig Meter weiter eine Kurve. Das Stückchen Teerstrasse, das wir vor der Landung überfliegen mussten, um erst einmal Menschen und Ziegen zu verscheuchen, ist das letzte Überbleibsel eines chinesischen Entwicklungsprojektes: Der Rest der Strasse, die einst die kongolesischen Provinzhauptstädte Goma und Kisangani verband, versinkt im Schlamm.
Pjotr ist in Eile. Der Pilot mit einem Gesicht voller Narben will heute noch mindestens zwei weitere Male die Strecke zwischen Goma und dem Urwalddorf Walikale, knapp eineinhalb Flugstunden, zurücklegen: «Vite, vite», ruft er den Männern zu, die neben einer Ansammlung von weissen Säcken stehen, «schnell». Im Laufschritt laden die in Fetzen gekleideten Kongolesen die Fracht in die Maschine. Die Säcke sind so schwer, als ob sie mit Blei gefüllt wären. In Wirklichkeit bergen sie Brocken von Kasseterit – das ist ein gräuliches Gestein, das ausser Zinn auch so wertvolle Stoffe wie Wolfram, Niob und Tantal enthält. Ohne Tantal gäbe es keine Laptops, keine Weltraumkapseln, keine Playstations und keine Handys.

Schwerstarbeit für Kinder
Wir dürfen das Flugzeug nicht verlassen, weil Journalisten zum Besuch der «roten Zonen», der umkämpften kongolesischen Rohstoffgebiete, keine Genehmigungen mehr erhalten; zwei US-Reporter, die sich trotzdem nach Walikale begaben, wurden vor wenigen Tagen verhaftet, eingesperrt und ausgewiesen. Die Nervosität der Regierung hat gute Gründe: Die Zustände, die in der 80 Kilometer von Walikale entfernten Mine Bisihe herrschen, sind kaum geeignet, den ramponierten Ruf der Demokratischen Republik Kongo (DRC) aufzubessern.
Mein Begleiter Patient Mulhozi hat die Mine jüngst besucht und berichtet von Hunderten von Kindern, die dort in einer in den Dschungel gehauenen Lichtung schuften: zehn- bis vierzehnjährige Burschen, die in zwei bis drei Meter tiefen Gruben mit Pickeln und Hämmern auf das anthrazitfarbene Gestein einhauen. Die Kumpelknirpse bekommen für ihre Schufterei in brütender Hitze zwischen einem und drei Dollar pro Tag und wohnen in aus Ästen und Zweigen errichteten Unterständen weit weg von ihren Familien. Die einzigen weiblichen Personen, die sich auf dem Minengelände aufhalten, sind Prostituierte.

Rohstoffe finanzieren den Krieg
Die Gesteinsbrocken werden von Männern in ein- bis zweitägigen Gewaltmärschen durch den Dschungel erst nach Mubi und dann auf Motorrädern nach Walikale geschafft: Eine archaische Prozedur, die von den Arbeitsprozessen in den automatisierten Minen der Ersten Welt Lichtjahre entfernt ist. Und doch wird das begehrte Metall in Kongo wesentlich billiger gewonnen als irgendwo sonst in der Welt: Die australische Wodgina-Mine, aus der bis dato ein Drittel des globalen Tantal-Bedarfs geborgen wurde, machte Ende vergangenen Jahres dicht. Zur Begründung gab die Betreiberfirma Talison an, sie könne mit den niedrigen Preisen des kongolesischen Tantals nicht konkurrieren. Und das, obwohl in der kongolesischen Provinz Nord-Kivu zur gleichen Zeit der Bürgerkrieg neu aufflammte: Dort lieferten sich ruandische Hutu-Milizen, Tutsi-Rebellen und kongolesische Regierungstruppen wieder einmal blutige Gefechte.
Niemand zweifelt daran, dass der Stein des Anstosses des seit zwölf Jahren immer wieder auflebenden Konfliktes nicht zuletzt die anthrazitfarbenen Mineralien sind. Könnten sich die unzähligen Milizionäre, Rebellen, dörflichen Selbstverteidigungstruppen und Regierungssoldaten nicht an den Einkünften aus den von ihnen wechselweise kontrollierten Minen schadlos halten, wären die Kämpfe längst nicht mehr zu finanzieren.
Noch bis vor Kurzem wurde die Bisihe-Mine von den sich Demokratische Streitkräfte für die Befreiung Ruandas (FDLR) nennenden Hutu-Milizionären kontrolliert, die mit den kongolesischen Regierungstruppen gemeinsame Sache machten. In einem dramatischen Kurswechsel verbündete sich die Regierung in Kinshasa jedoch Anfang dieses Jahres mit ihrem bisherigen Erzfeind, dem Präsidenten Ruandas, der die Tutsi-Rebellen zu unterstützen pflegte: Gemeinsam suchten die beiden Armeen die FDLR aus ihren an Bodenschätzen reichen Hochburgen zu vertreiben. Zumindest vorübergehend gelang ihnen das auch: Derzeit ist es das Privileg der kongolesischen Regierungsarmee, von den Minenarbeitern und den als Comptoirs bezeichneten örtlichen Handelsfirmen alle möglichen Abgaben einzutreiben. Die nur etwas tiefer in den Urwald getriebenen Hutu-Milizen warten allerdings auf ihre Chance zum Gegenschlag.

Comptoirs im Zentrum
Barry ist Manager eines der knapp zwanzig Comptoirs in Goma, die die täglichen rund 15 Flüge nach Walikale organisieren. Der weisse Mann mit dem blonden Pferdeschwanz kommt aus dem fernen Zimbabwe und hat angeblich keine Ahnung, was im Urwald vor sich geht. Sein Job ist es, die Kasseterit-Brocken im Hof der nahe des Kivu-Sees gelegenen Villa mahlen zu lassen – wobei der Gesteinsstaub gleich mit Magneten in seine zinn- und tantalhaltige Eisenanteile getrennt wird. Danach lässt Barry das Pulver in Lastwagen laden, die ihre Fracht über zweitausend Kilometer oft miserabler Strassen zur kenianischen Hafenstadt Mombasa transportieren – alles angeblich ganz legal. In Wahrheit stehen die meist von Ausländern geführten Comptoirs – darunter Österreicher, Südafrikaner, Chinesen, Russen und Belgier – im Zentrum der Schattenwirtschaft. Hier machen korrupte kongolesische Beamte, hohe Militärs aus den Nachbarländern Ruanda und Uganda sowie Händler aus Industrienationen wie Deutschland und der Schweiz gemeinsame Sache.

Machtlose Kontrollbehörde
Internationale Institutionen wie das belgische Friedensinstitut IPIS, regierungsunabhängige Organisationen wie Global Witness, aber auch von der Uno berufene Expertengruppen erforschten in zahlreichen Untersuchungen den Schwarzmarkt und stellten fest, dass sich neben internationalen Waffen- und Mineralienschiebern wie dem Russen Viktor Bout und dem Schweizer Chris Huber auch höchste Kreise aus Ruanda und Uganda an dem Handel bereicherten. Und dass den bewaffneten Gruppen in Kongo auf diese Weise Jahr für Jahr fast 150 Millionen US-Dollar zufliessen.
Gilbert Bin Samine, Direktor der kongolesischen Exportkontrollbehörde CEEC, sitzt in seinem Büro zwischen einer Unzahl kleiner Säckchen mit Gesteinsmehl und wischt sich den Schweiss von der Stirn. Während der jüngsten Feindseligkeiten konnten seine Mitarbeiter nichts tun, weil Rebellen weite Teile der Provinz kontrollierten, kam die Aufsicht praktisch ganz zum Erliegen. Auch in friedlichen Zeiten käme ihre Arbeit jedoch der Tätigkeit des mythologischen Helden Sisyphus gleich, sagt Samine: «Wir haben nicht die Mittel, um den Handel tatsächlich unter Kontrolle zu bringen.» Der CEEC-Chef hofft nun auf eine neue Technologie, die ihm die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) für Anfang dieses Jahres versprochen habe. Das sogenannte Fingerprinting, mit dem die exakte Herkunft von Gesteinsproben ermittelt und Tantal oder Zinn aus illegalen Abbaugebieten von dem aus «sauberen» Minen unterschieden werden soll.

Kaum Alternativen zu Kongo
Ob das von der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover entwickelte Verfahren hält, was es verspricht, wird von Insidern allerdings bezweifelt. Um einen Atlas der unzähligen kongolesischen Abbaugebiete anlegen zu können, müssten Pioniere der Bundesanstalt monatelang durch das Gelände streifen – unter den derzeitigen Bedingungen ist das so gut wie ausgeschlossen. Später müssten die Gesteinsproben jeweils nach Hannover geschickt werden. Ein Labor vor Ort aufzubauen, könne aus Kostengründen nicht erwogen werden, heisst es in Hannover. Schliesslich pflegen die Comptoirs Rohstoffe aus verschiedenen Regionen zu vermischen, schon alleine, um ihre Zuordnung zu verhindern. «Das Fingerprinting ist völlig unrealistisch», sagt der deutsche Mitarbeiter eines Comptoirs.
Die Goslaer H.C.Starck GmbH, die sich ihren Ruf als eine der vier grössten Tantalschmelzen der Welt vor zehn Jahren mit kongolesischem «Blut-Tantal» zu ruinieren drohte, verzichtet auf Lieferungen aus dem Land auch weiterhin lieber völlig, sagt ein Firmen-Sprecher. Ein Vorsatz, der angesichts der Schliessung der australischen Wodgina-Mine und der Tatsache, dass 60 Prozent aller Tantal-Vorräte in Zentralafrika vermutet werden, immer schwerer aufrecht zu halten ist. «Irgendwann», sagt der deutsche Comptoir-Mitarbeiter, «kommen sie alle nach Kongo zurück.»

Pauline Mbusas Geschichte

Von Johannes Dieterich, Goma. Der Bund, 30. März 2009

Im Konflikt zwischen der kongolesischen Armee und verschiedenen Milizen werden Zivilisten, und ganz besonders Frauen, immer wieder Opfer fast unvorstellbarer Gewalt. Ein privates Spital in der Provinzhauptstadt Goma kümmert sich um Verwundete.

Der Krieg ist, zumindest offiziell, vorbei. Doch die Opfer der jüngsten Gemetzel schleppen sich noch immer aus dem Dschungel, um in der kongolesischen Provinzhauptstadt Goma endlich professionelle medizinische Hilfe zu finden.
Die jüngste Neuaufnahme in «Heal Africa», einem aus Spendengeldern finanzierten Spital, kommt aus dem Dörfchen Kalembe bei Masisi – dort war es jüngst zu besonders blutigen Kämpfen gekommen. Während Pauline Mbusa (Name geändert) ihre Geschichte erzählt, starrt sie ununterbrochen auf den Boden: Augenkontakt sucht die in sich zusammengesunkene Frau unter allen Umständen zu vermeiden.
Es war nachts, als die Männer in das abgelegene Gehöft kamen, in dem Pauline mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern lebte – welcher Rebellentruppe die Eindringlinge zuzuordnen waren oder ob sie gar der Regierungsarmee angehörten, kann Pauline nicht sagen. Ihre zwischen neun und zwölf Jahre alten Kinder fingen an zu schreien, als sie die uniformierten Männer sahen: Kaltblütig hackten diese einen von Paulines Buben nach dem anderen tot. Dann brachten sie ihren Ehemann um und wandten sich schliesslich Pauline zu, die im siebten Monat schwanger war. Sie vergewaltigten sie reihum eins ums andere Mal: Insgesamt, sagt sie leise, habe die Quälerei fünf Stunden gedauert.

Auf der Flucht erneut gequält
Als sich die Männer schliesslich davonmachten, floh Pauline in den Wald – und wurde dort von einer anderen Meute von Männern aufgegriffen. Auch sie machten sich einer nach dem anderen über Pauline her und schlugen sie mit Stöcken. Endlich liessen sie Pauline liegen, die am ganzen Körper, vor allem aber aus der Scheide blutete. «In meinem Bauch bewegte sich nichts mehr», flüstert die 27-Jährige. Nachbarn fanden die bewusstlose Pauline schliesslich im Wald. Vier Männer wollten sie ins Hospital nach Kitshanga bringen, schon die halbe Strecke nach Kirisi dauerte eine Woche. Gestützt von zwei Männern schleppte sich Pauline durch den Wald, in ihrem Bauch das tote Kind.

Sämtliche Angehörigen verloren
Nach zwei Wochen kam die Gruppe schliesslich in Kitshanga an. Weil keiner Geld fürs Spital hatte, wurde Pauline in ein Flüchtlingscamp gebracht, wo eine weitere Woche verstrich. Der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation wurde schliesslich auf Pauline aufmerksam und brachte sie ins Spital. Dort wurde ihr jedoch nur mitgeteilt, dass man nichts für sie unternehmen könne: Sie müsse nach Goma zu «Heal Africa» gebracht werden. Noch einmal vergingen drei Wochen, bis ein Krankenwagen der Klinik schliesslich nach Kitshanga kam und die völlig entkräftete Patientin mitnahm.
Morgen soll Pauline untersucht werden. Sie selbst geht davon aus, dass ihr Baby noch immer in ihrem Bauch ist – die Hoffnung, dass es noch leben könnte, hat sie inzwischen aufgegeben. Besonders nachts kehren ihre Gedanken immer wieder nach Kalembe zurück: Ob ihre Kinder und ihr Mann noch immer in der Hütte liegen, oder ob sie jemand begraben hat? Ob ihre Hütten überhaupt noch stehen oder längst vom Urwald zurückerobert wurden?
Pauline will nie wieder in das Dorf zurück. Verwandte hat sie dort ohnehin keine mehr: Ihre Eltern sind genauso dem Krieg zum Opfer gefallen wie ihre vier Schwestern und ihre drei Brüder. «Ich habe keinen einzigen Verwandten mehr», sagt sie mit schwacher Stimme.

Ein Anflug von Hoffnung
Wenn sie aus dem Spital entlassen wird, will sie nach Kitshanga gehen, wo eine Freundin von ihr lebt. Dort möchte sie eine Schneiderei aufmachen, auch wenn sie weder über eine Nähmaschine verfügt noch nähen kann. «Aber Gott wird mir schon helfen», sagt Pauline mit einem Anflug von Hoffnung in der Stimme: «Und nähen kann man ja lernen.»

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