Wegweisungsartikel, Diskussion in Basel

Philipp Loser, Basler Zeitung 17.1.09

Die Niederlage vor Augen
Komitee gegen Wegweisungsartikel präsentiert seine Argumente

Der Wegweisungsartikel sei reine Symptombekämpfung, nicht durchsetzbar und berge die Gefahr, nach einer Annahme rasch verschärft zu werden. Das Bündnis "Basel für alle" hat seinen kurzen Abstimmungskampf begonnen.

So viel Ehrlichkeit ist bei Politikern selten anzutreffen. "Das Risiko ist gross, dass wir bei der Abstimmung über den Wegweisungsartikel abschiffen", sagte BastA!-Grossrätin Heidi Mück gestern vor den Medien. Sie stockte kurz und schob dann den obligaten "trotzdem"-Satz nach. "Trotzdem ist es wichtig, dass wir diese Diskussion führen. Wir dürfen diesen Eingriff in unsere Grundrechte nicht einfach so akzeptieren."

Mit dieser Ansicht ist Mück selbst im links-grünen Lager nicht unbestritten. Die Parteimitglieder von SP und Grünen haben nach teils aufreibenden Diskussionen die Stimmfreigabe für die Abstimmung vom 8. Februar beschlossen. Sie könne die Zurückhaltung der beiden Parteien durchaus verstehen, sagte Mück. Wer gegen den Wegweisungsartikel Stellung beziehe, laufe Gefahr, als Gewaltbefürworter abgestempelt zu werden. Dabei gebe es ganz andere - und gute - Gründe, am 8. Februar Nein zu stimmen.

"Gefahr der Willkür"
Trotz der schwierigen Ausgangslage hat das Bündnis "Basel für alle" einige prominente Unterstützer für sich gewinnen können. In der Abstimmungszeitung, die in einer Auflage von 30 000 Exemplaren gedruckt wurde, beziehen unter anderem der ehemalige SP-Parteipräsident Beat Jans, SP-Nationalrätin Silvia Schenker, Anni Lanz vom Solidaritätsnetz und der ehemalige Strafgerichtspräsident und Strafrechts-Professor Peter Albrecht Stellung gegen den neuen Artikel im Polizeigesetz. "Der neue Artikel leistet keinen konstruktiven Beitrag zur Gewaltprävention, er ist kaum umzusetzen und beinhaltet wegen seiner offenen Formulierung die Gefahr der willkürlichen Anwendung", begründete Albrecht seine Haltung. Der Artikel stehe für die in vergangener Zeit immer häufiger anzutreffende symbolische Gesetzgebung, die einzig die kurzfristige Beruhigung der Bevölkerung zum Ziel habe.

Die Mitglieder des Komitees fürchten weiter, dass mit dem Gesetz "Citypflege" betrieben werden könnte, also beispielsweise Randständige von einem öffentlichen Ort vertrieben werden. In der vorliegenden Version des Gesetzes wird diese Möglichkeit zwar ausgeschlossen, das Bündnis traut der Formulierung jedoch nicht. Heidi Mück: "Die Gefahr ist gross, dass der Artikel nach einer Annahme ausgeweitet und verschärft wird." Und Strafrechtsprofessor Albrecht ergänzte resolut: "Wehret den Anfängen!"

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Ursula Haas, Basellandschaftliche Zeitung, 17.1.09

Ein Bündnis gegen die Wegweisung

Komitee Umstrittener Wegweisungsartikel


Am 8. Februar wird in Basel-Stadt über den Wegweisungsartikel abgestimmt. Anlass zur Debatte gaben die Rayonverbote an der Herbstmesse 2007, die ohne rechtliche Basis ausgesprochen wurden. Im Grossen Rat wurde die Vorlage für einen "Wegweisungsartikel" angenommen, woraufhin das "Bündnis Basel für alle" ein Referendum mit 2062 Unterschriften einreichte. Gestern informierte das Referendumskomitee, aus welchen Gründen es sich gegen den Wegweisungsartikel stellt.

"Die Wegweisung ist ein Beispiel für symbolische Gesetzgebung", meinte Peter Albrecht, Professor für Strafrecht und ehemaliger Strafgerichtspräsident. Denn es gäbe keine Notwendigkeit für dieses neue Polizeigesetz, das ausserdem schwierig umsetzbar sei. "Gewalt im öffentlichen Raum gab es immer, sie ist in den letzten Jahren nicht angestiegen", sagte Albrecht. Hingegen sei die Angst vor der Gewalt in der Bevölkerung gewachsen, wohl aufgrund genereller Unsicherheit.

Willkürliches Instrument

Allgemein wurde der präventive Charakter eines Rayonverbotes angezweifelt. "In anderen Städten ist die Gewalt mit dem Wegweisungsartikel nicht sprunghaft gesunken", bemerkte Grossrätin Heidi Mück vom Grünen Bündnis. Für sie ist der Artikel keine Lösung, sondern blosse Symptombekämpfung. "Damit verschieben wir einfach die Gewalt."

Auch die JUSO Basel-Stadt unterstützten das Referendum. Vorstandsmitglied Raphael Pfister befürchtet, dass "die Gefahr viel zu gross ist, dass hier ein unnötiges Instrument geschaffen wird, welches willkürlich eingesetzt werden kann." So muss in der Praxis die Polizei vor Ort auch entscheiden, wer durch sein "Verhalten die unmittelbare Gefahr einer gewalttätigen Auseinandersetzung schafft", wie es im Gesetzesentwurf heisst.

Michael Steiner vom Schwarzen Peter, Verein für Gassenarbeit, sieht die Gewaltprävention nur als vorgeschobenes Ziel. "Bei dieser Vorlage geht es darum, wer sich wie und wann im öffentlichen Raum aufhalten darf", erklärte er. In Basel werde unter dem Vorwand der Aufwertung Störendes immer mehr vom öffentlichen Raum an den Rand gedrängt. Diese Meinung teilte auch Peter Albrecht: "Die Wegweisung wird in erster Linie randständige Personen betreffen, die sich nur schwer gegen staatliche Sanktionen wehren können."

Mehr Polizeipräsenz gefordert
Als Alternativen zur Wegweisung wurden aber andere Lösungsansätze vorgebracht, die eher auf Prävention und Vermittlung zielen. Raphael Pfister erzählte von guten Erfahrungen, wenn an grösseren Anlässen wie beispielsweise dem Jugendkulturfestival dunkle Gassen ausgeleuchtet werden. Peter Albrecht unterstützte den Ausbau der mobilen Jugendarbeit, selbst wenn dieser kostenintensiver sei als der "billige" Wegweisungsartikel. Aber auch mehr Polizeipräsenz im öffentlichen Raum ist für Heidi Mück vorstellbar. "Es ist gut möglich, dass sich viele Leute sicherer fühlen, wenn mehr uniformierte Polizei sichtbar ist", sagte die Grossrätin.


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