EU-Bankenkrise - "Heute sind auch die Retter gefährdet"

Markus Diem Meier, Der Bund, 05.10.2011

Der Dämon von 2008 kehrt zurück

Was sich in Europa abspielt, gleicht immer mehr den dramatischen Ereignissen in den USA vor drei Jahren. Nur dass diesmal ein «Happy End» noch weniger wahrscheinlich ist.

Genau drei Jahre ist es her, seit die weltweite Finanzkrise ihren Höhepunkt erreicht hat. Doch was sich dieser Tage an den Finanz- und Kapitalmärkten abspielt, gleicht immer stärker dem Drehbuch jenes dramatischen Herbsts. Nur, dass diesmal das Epizentrum des finanziellen Bebens nicht in den USA liegt, sondern in Europa. Angesichts der engen Verwobenheit der westlichen Kapitalmärkte bleibt aber auch diesmal die ganze Weltwirtschaft bedroht.

Die Ähnlichkeiten haben sich schon beim Vorspiel gezeigt. Die Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken untereinander und auf den Kapitalmärkten haben sich immer mehr verschlechtert. Geldmarktfonds und selbst grosse Unternehmen wie Siemens oder Lloyd's ziehen ihre Gelder von den Konten europäischer Banken ab. Die Prämien für die Kreditausfallversicherungen der Finanzinstitute sind förmlich explodiert. Sie sind heute für europäische Institute höher als nach dem Kollaps von Lehman Brothers im Herbst 2008. Die Aktienkurse der Banken sind weltweit deutlich eingebrochen – nur kurzzeitig unterbrochen durch hoffnungsgetriebene Korrekturen. Und selbst die Zentralbanken haben schon mit koordinierten Rettungsaktionen eingegriffen, um die Versorgung der Banken mit Dollar sicherzustellen – weil vor allem aus den USA die Geldströme zu versiegen drohen. Die Europäische Zentralbank stützt die Banken ebenfalls mit aussergewöhnlichen Massnahmen.

Wieder müssen Banken gerettet werden
Doch seit dem drohenden Zusammenbruch der belgisch-französischen Grossbank Dexia ist die Krise in die heisse Phase geraten. Auch hier sind die Parallelen mit 2008 erschreckend. Wiederum müssen die Steuerzahler einspringen, um den Zusammenbruch des Instituts zu verhindern, wiederum wird debattiert, die gefährlichsten Anlagen in eine Bad Bank auszulagern. Nur diesmal sind diese gefährlichen Anlagen keine komplex verbrieften Hypotheken mit hohen Ratings, die an faktisch zahlungsunfähige Bürger vergeben wurden. Diesmal sind es Staatsanleihen von Eurostaaten, die aber ebenfalls bis vor kurzem noch als weitgehend risikolos beurteilt wurden. Vor der US-Finanzkrise, wie auch vor der Eurokrise, mussten die Banken die nachmalig hochriskanten Anlagen kaum mit Eigenkapital absichern. Denn die Erfordernisse für Kapitalpuffer richten sich an risikogewichteten Anlagen aus. Doch damals wie heute wurden die Risiken falsch eingeschätzt. Dennoch halten selbst die geplanten schärferen Kapitalvorschriften an der Risikogewichtung fest.

Erschreckend ähnlich wie damals ist auch die Reaktion der Politik. In beiden Fällen haben die Politiker lange das wahre Ausmass der Risiken kleingeredet und unterschätzt. 2008 hat die US-Regierung noch im Sommer 2008 erklärt, man habe alles im Griff. Nur um kurze Zeit später Hals über Kopf gleich das ganze Finanzsystem stützen zu müssen. Europa befolgt auch hier das Drehbuch. Seit bald zwei Jahren haben die Politiker die Risiken der sich stetig verschärfenden Lage ignoriert. Verärgert haben sie noch vor wenigen Tagen Warnungen aus den mittlerweile krisenerfahrenen USA und selbst des Internationalen Währungsfonds unter der Leitung von Christine Lagarde – der Ex-Kollegin der Euro-Finanzminister – zurückgewiesen. Beide haben die Europäer dringend aufgefordert, Massnahmen zur Sicherung des Banksystems einzuleiten, bevor dieses im hochansteckenden Teufelskreis mit Kapitalrückzügen, Notverkäufen von Anlagen zu Spottpreisen und letztlich Zusammenbrüchen ganzer Institute endet. Die Europäer dagegen haben auf ihre Stresstests verwiesen, nach denen fast alles in bester Ordnung sein müsste.

Heute sind auch die Retter gefährdet
Wie die internationale Finanzpresse vermeldet, vollziehen die Politiker jetzt in Panik eine scharfe Kehrtwende und planen genau das, was die Amerikaner vor drei Jahren getan haben. Gemäss den Berichten sind die Eurofinanzminister jetzt daran, aus den Staatsbudgets der jeweiligen Länder Rettungspakete für die Banken zu schnüren, um das Kapital ihrer Banken zu stärken. «Die Kapitalpositionen der Banken müssen verstärkt werden, um zusätzliche Sicherheitsmargen aufzubauen und die Unsicherheit zu reduzieren», erklärte laut der «Financial Times» Wirtschaftskommissar Olli Rehn. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble seinerseits verwies darauf, dass man die Massnahmen von 2008 wieder reaktivieren könnte. Ursprünglich hätte das eine Aufgabe für den Rettungsschirm European Financial Stability Facility (EFSF) sein sollen. Doch bis dieser solche Eingriffe überhaupt vornehmen darf, müssen erst alle Parlamente der Euroländer den erweiterten Möglichkeiten für den Fonds zustimmen. Ausserdem ist er für die neuen Aufgaben trotz der verfügbaren Summe von 440 Milliarden viel zu knapp dotiert – immerhin soll er nicht nur die Banken, sondern auch grosse Länder wie Italien und Spanien stützen. Daher versuchen die Europolitiker bereits, den Fonds durch «Financial Engineering» so zu hebeln, dass er über eine finanzielle Feuerkraft verfügt, die dem Vielfachen seiner Summe entspricht. Auch das ist eine Parallele zur Finanzkrise von 2008. Nur dass die europäischen Politiker diesmal genau das zur Lösung versuchen, was in den USA die Katastrophe verschlimmert hat: Die Kreation von Finanzprodukten mit Risiken, die einem Vielfachen des angeschriebenen Risikos entsprechen. Doch selbst für solche Pläne reicht mittlerweile offenbar die Zeit nicht mehr. Deshalb bleibt der Griff in die Staatsschatulle der einzige Notausgang.

Doch genau hier besteht der grösste Unterschied zur Krise von 2008. In dieser Schatulle klafft ein gähnendes Loch. Die Retter sind heute selber gefährdet. Die Staaten sind nicht nur deutlich höher verschuldet als 2008, sie kommen auch nicht wie damals aus einer Zeit des wirtschaftlichen Booms, und die konjunkturellen Aussichten haben sich bereits eingetrübt. Dazu kommt, dass die Bereitschaft der Bevölkerungen zu weiteren Bankenrettungen noch weit geringer sein dürfte als 2008. Und eine koordinierte Politik, wie es sie in der letzten Krise noch gegeben hat, fehlt heute komplett. Anders als in den USA fehlen für eine solche Politik in Europa nicht nur die wirtschaftspolitischen Institutionen, die in der Lage wären, schnell und entschieden durchzugreifen, es fehlt allein schon an der Einigkeit und Entschlossenheit, dies zu tun.

(DerBund.ch/Newsnetz)


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